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Mode

Das Mädchen, der Tod und gehäutete Tiere

Iris Schieferstein hat eine Vorliebe für Tiere. In großen Fässern lagern Hunde in Salz oder Rehe in Alkohol bevor sie zu Schuhen, Masken oder Skulpturen verarbeitet werden.

Iris Schieferstein hat eine Vorliebe für Tiere. Bevor sie ihre Lieblinge zu Schuhen, Masken oder Skulpturen verarbeitet, sind sie in ihrem Arbeitszimmer untergebracht. In großen Fässern lagern Hunde in Salz, Rehe in Alkohol oder Reptilien in der Tiefkühltruhe. Ihre Kunstwerke sind irgendetwas zwischen gut und böse und genauso faszinierend wie abstoßend. Mit zusammengesetzten Tiermutationen á la Wolpertinger oder kunstvoll verzierten Embryos hat sie bereits Menschen in Deutschland, Japan und den USA geschockt. Für Lady Gaga hat sie eine Kuh zu einem Paar Schuhe verarbeitet und außerdem lässt sie auch gerne mal erigierte Penisse in Kirchen rumlaufen. Wer ist diese Frau, die sich mit der Essenz des Lebens beschäftigt; mit Tod, Sex und Religion? Was sie uns zu sagen hat: Jesus war ein geiler Typ, wenn du die Bauchdecke durchschneidest, wird es blutig und Deutschland ist nicht Amerika. Was sie bis jetzt dafür bekommen hat: Todesmails.

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VICE: Wie entstehen deine Ideen, siehst du ein Tier und denkst dir: Das wäre ein guter Schuh?
Iris Schieferstein: Die Essenz der Gegensätze, das ist die Basis. Das leben wir im Prinzip auf der ganzen Welt. Es sind Konglomerate aus verschiedenen Gedanken, die sich zu einer Idee verdichten. Und dann führe ich imaginäre Zwiegespräche mit mir selbst, bis sie ausgereift ist. Und warum ist Sex so ein großes Thema in deiner Kunst?
Die Frage ist doch: Wer sind wir eigentlich? Was haben wir für ein Frauenbild? Wir haben Sex and the City und trotzdem haben wir Tausende Frauen, die sich aufregen. Bei Emanzipation darf man keine Sexualität ausleben? Das ist doch Bullshit. Das hat Alice Schwarzer mal ins Leben gerufen, aber das hat doch mit der Realität nichts zu tun. Ich denke, wir sind an einem Punkt, an dem sich das Frauenbild total verschoben hat, und es keiner mitbekommt. Gerade in Deutschland. Wenn ich nach Spanien schaue, dann stehen sie zu ihrer Sexualität. Sie haben Familie und sitzen in leitenden Positionen. Und wir, die wir uns für so unglaublich emanzipiert halten, sind absolut rückständig. Ich konterkariere oft das Frauenbild. Das ist natürlich auch ein Statement zur eigenen Sexualität. Also lasst uns unser eigenes Frauenbild überdenken, warum soll das alles pfui sein und warum müssen wir so superkatholisch sein, wo ganz Deutschland so super protestantisch ist—das ist ja eigentlich noch viel schlimmer. Die Gegensätze sind also dein Hauptmotiv?
Viele Sachen sind natürlich auch aus einer kleinen inneren Revolution entstanden. In Deutschland hast du zum Beispiel auch ein Friedhofsgesetz. Wo haben sich Bildhauer auf der Welt immer verewigt? Auf Friedhöfen. Sozusagen in Gedenken an den Tod, aber eine Hommage an das Leben. Jede Individualität des Lebens wird sozusagen im Tod negiert. Die toten Viecher landen in der Tierverbrennungsanlage und die ganzen toten Menschen bekommen Grabsteinklötzchen darauf gestellt. Wie so eine Art Geschmackspolizei, sonst würde sich ja wer eine Mickey Mouse oder so auf das Grab stellen … Und wenn schon? Wir leben hier nicht in Amerika. Der Mensch als solcher wird eigentlich immer weniger gefragt. Er wird zugetextet, in passende Formen gepackt und die Leute merken das nicht. Es ist irre, wie ambivalent Menschen funktionieren. Auf der einen Seite regen sie sich auf, ich würde die Tiere missbrauchen. Auf der anderen Seite beißen sie genau in dem Moment in die Bockwurst rein.

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Und das hier sind die Rattenschuhe?
Diese Schuhe gehen an eine Performance-Künstlerin. Deshalb sind das auch nur halbe Schuhe, weil sie klassische Tänzerin ist. Die werden mit einem weißen Kleid kombiniert und mit diesem Hut: Die gehören nämlich zusammen. Der Frühling sozusagen. Hier ist ja noch etwas Eingelegtes … Ist das hier die Fundgrube, wenn du mal was brauchst?
Ja, genau. Die Reste. Hier ist auch die Tiefkühltruhe. Wenn das hier auftaut, dann ist das ganz labberig und beweglich und dann schneide ich es, je nachdem wie ich es brauche, unten am Bauch auf und dann musst du das freilegen. Aber das ist alles sehr unblutig, weil darunter direkt das Fleisch ist. Und dann kannst du sie optimal abziehen. Dann hast du den Schlangenkorpus, und den Kopf musst du noch auseinander schneiden. Das Einzige, was wirklich eklig ist, ist, wenn du die Augen herausnimmst. Wenn du es nicht richtig machst, dann spritzt es dir ins Gesicht.   Und bei größeren Tieren?
Da ist es auch so einfach. Was blutig ist, ist, wenn du durch die Bauchdecke durchschneidest. Dann kommt dir natürlich das Ganze entgegen. Das mache ich alles hier. Und du hast sie immer tiefgekühlt im Schrank wie andere Leute Pizza?
Ja, oder in Alkohol, nicht alle sind tiefgekühlt. Das hier ist nur Alkohol. Daran habe ich angefangen zu arbeiten. Das ist jetzt zum Beispiel ein Reh. Das ist ein abgezogenes Wildschwein, so sieht das dann aus. Dann wird es gegerbt. Das machst du auch selbst?
Ja, wenn es nicht flexibel sein muss. Ansonsten ist das ein langwieriger Prozess. Das hier ist jetzt ein Salz. Oh, ich glaube, das ist ein Hund! Ist das ein Hund? Ich wusste gar nicht, dass ich noch einen weißen Hund habe … ist das ein Hund? Das ist ja wirklich super! Ja! Da! Hübsches Kerlchen! Du hattest doch noch die Kuh-Schuhe, die du für Lady Gaga gemacht hast … Machst du eher Kunst oder Mode?
Na ja, also, es ist eher Kunst, als das es Mode ist. Man könnte es aus Plastik vervielfältigen und dann produzieren lassen. Wie bist du dann dazu gekommen, Schuhe zu machen?
Es ist so … Ich hab mehr Schuhe, als ich gucken kann—habe bestimmt 50 Paar. Ich liebe Hüte, ich liebe Schuhe. Du kannst rumlaufen wie der letzte Penner, du schaust den Menschen auf die Füße und weißt, wer sie sind. Es sind immer Schuhe und Hüte. Ich vermisse diesen Glamour.

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Alexander McQueen und D&G haben ja auch so etwas gemacht.
Die hatten das nach mir. Meine waren 2006 auf der Scope zu sehen. D&G hatten sie erst 2007. Überall habe ich Furore damit gemacht. Nur nicht in Deutschland.
In New York hätte ich schon längst eine Galerie. Ich kann hier nicht weg wegen dem Aufenthaltsbestimmungsrecht, ich muss warten, bis meine Kinder volljährig sind. Ich hatte mich auch mal beim Stipendium angemeldet. Die haben gemeint, sie machen tolle Sachen, aber sie werden nie eines bekommen und zwar, weil sie Kinder haben. Bei einem Mann wäre es kein Problem, meinten sie, die müssen die Kinder ja nicht mitnehmen. Meine Professorin hat gesagt, man hätte sich zu entscheiden: Kunst oder Kinder. Und im Endeffekt hat sie Recht. Gibt es auch andere Probleme bei deiner Arbeit?
Tiere auseinandernehmen. Schon alleine einen toten Hund auf den Tisch zu wuchten, ist halt schon … Manchmal muss ich mir dann was einfallen lassen, wie bekomme ich das Ding jetzt hoch? Und wie bekommst du es dann hoch?
Je nachdem, manchmal mit Seilen. Hast du ein Tier, mit dem du gern zusammen arbeiten würdest?
Die Tiere haben einen ganz eigenen Charakter. Ich mag Schweine und Ferkel total gerne. Um sie zu häuten oder als Haustier?
Auch als Tier, ich habe mal eines dressiert. Maria, die Sau. Ich mag Ziegenböcke sehr gerne und ich liebe Pferde. Ich mag aber auch Hunde und Katzen. Jedes hat seinen speziellen Charakter. Das Einzige, mit dem ich nichts anfangen kann, sind Reptilien, die sagen mir jetzt nicht wirklich was. Außer dass sie mich daran erinnern, dass ich auch ein Amygdala-Gehirn habe. Du machst ziemlich viel Religionskritisches und das obwohl deine Familie so religiös ist.
Mein Opa ist Pastor. Ein Jahr habe ich bei ihm gelebt. Und ich bin ja nicht getauft, da konnte ich mich wehren. Meine Oma hatte auch Theologie studiert und Philosophie und die fand das natürlich … Und ich musste jeden Samstag und Sonntag in der Kirche vorsingen, das war dann der Deal. Krass, dass du dagegen schon als Kind so eine starke Abneigung hattest.
Das ging nicht. Ich habe dann immer gesagt: An so einen Gott glaubst du? Der so rachsüchtig ist? Der die Leute in die Hölle tritt, um sie dann zu befreien, um sie dann wiederum kolossal zu vernichten? Wo Menschen nicht ihres gleichen Geschlechtes lieben dürfen? Ich fand das so absurd. Das ist ja total böse. Die Apokalypse zum Beispiel, das ist doch ein Nightmare. Die haben damals doch alle schon Pilze geschluckt. Also Jesus Christus war ein geiler Typ, aber ich glaube, da haben die einiges von Echnaton genommen.

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In einer Wissenschaftszeitschrift habe ich gelesen, dass die ganzen Testamentteile aus Ägypten kommen und dann wie ein Puzzle zusammengesetzt wurden.
Genau. Das liest sich wie eine Abschrift von dem Leben Echnatons. Ich habe auch mal eine Ausstellung in einer Kirche gemacht, mit dem Thema Jesus Christus. Und sein Symbol sind ja Fische. Dann habe ich Bilder von erigierten Penissen durchs Wasser laufen lassen. Es war wunderschön anzusehen. Die Leute standen davor, waren sprachlos. Ich hatte den Altar gedeckt, als Abendmahl mit Teilen von Fischen in Gläsern. Dein Fischsymbol, kommt das dann auch daher?
Nee, aber ich finde Fische, das ist so eine andere Welt. Da kann man hintauchen, aber man wird nie Teil davon sein—obwohl wir auch irgendwann mal daher kamen. Es hat ja auf der einen Seite was mit dem Mutterfruchtwasser zu tun und auf der anderen ist das Meer ja eine eigenständige Welt. Wir haben ja keine Ahnung. Ich kann zum Beispiel auch sehr gut schwimmen, aber ich schwimme nur aus Panik, weil ich dann zwischen den Elementen bin. Ich gehöre nicht richtig zur Luft, ich gehöre auch nicht richtig zum Wasser, deshalb tauche ich immer, damit ich wenigstens ein Element überblicken kann. Wahrscheinlich hat es was damit zu tun, dass mein Vater mal so ein abgebissenes Frauenbein aus dem Meer rausgeholt hat. Aus dem Atlantik. Ein abgebissenes Frauenbein. Aber Haifische finde ich toll. Und schon wieder sind wir bei den Gegensätzen.
Ja, ich behandle das Thema Gegensätze, weil das ganze Leben ein Gegensatz ist. In der Liebe suchen wir auch immer unsere andere Hälfte—ob das jetzt eine Frau ist oder ein Mann, das ist ja Wurst. Und ich sehe auch Parallelen zu anderen Kulturgeschichten der Menschheit. Bestimmte Dinge wiederholen sich immer. Bei allen Kulturen und bei allen Völkern scheint ja so ein Grundbedürfnis nach zum Beispiel Märchen zu herrschen und es sind doch immer ähnliche Gestalten. Das kommt nicht von ungefähr. Deswegen denke ich, wenn einem so etwas gelingt, dann hat man einen großen Schritt gemacht. Das ist wie mit den Kuh-Schuhen—das sagt sogar den Afrikanern was. Damit kann jeder etwas anfangen. Das betrifft die ganze Menschheit. Das sind die Gegensätze und das gibt es überall. Der Tod ist wie ins Wasser springen und nicht wissen was dann kommt. Keiner kann sagen wie es dann weiter geht und das füllt die Religion aus. Die Religion funktioniert aber nur durch den Angstmechanismus. Dieses Abstrafen und belohnen.  Ob das jetzt der Islam ist—gut der ist im Jahr 632 aus dem Christentum entsprungen. Und das Christentum ist aus dem Judentum entsprungen, Die einzigen, die eine andere Einstellung dazu haben sind die Buddhisten und die wiederum kennen keine Nächstenliebe. Anscheinend beschäftigst du dich sehr damit.
Ja, Religion bestimmt schon das Leben. Und die ganzen Todesemails, die ich bekomme … die Leute können überhaupt nicht differenzieren. Todesmails? Wegen der Tiere?
Absolut! Meistens sind es Frauen und die sind wirklich geschmacklos. Die schreiben dann, ich sollte doch meine Kinder skelettieren und ihre Füße abtrennen und sie ausstopfen und Schuhe draus machen. Ich sammle die immer. Ganz viele Todesdrohungen … Wie viele?
Bestimmt 150 Stück.

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Alles nur weil sie sich drüber aufregen, dass du tote Tiere weiterverarbeitest?
Ja, das hat was mit der Einsamkeit zu tun. Wenn die Tiere wichtiger werden als die Menschen. Ich meine, seien wir ehrlich. Diese ganzen Tierschützer regen sich auf, wie Tiere gehalten werden. Sind aber selbst keine Vegetarier. Damit würden sie der Welt einen großen Dienst erweisen. Dann hätten wir auch keine CO2-Verschmutzung—52% davon läuft über die Fleischindustrie. Wir hätten keine Wasserprobleme in dem Maße … und den Tieren würde es auch besser gehen. Und den Menschen.
Und den Menschen! Aber sie negieren ja alles. Nehmen wir den Somaliakrieg, wo die Hunde die Leichen gefressen haben, die auf der Strasse lagen. Da war ein Genozid am Start und keinen hat es interessiert. Der Mensch hat einfach kein Verhältnis zu sich selbst. Wenn der Mensch akzeptieren würde, dass er auch ein Lebewesen ist und, dass es auch darum geht, sich selbst zu schützen—nur wenn ich mich selber liebe, dann kann ich Andere lieben. So funktioniert das. So kann ich auch einem Tier gegenüber Respekt darbringen. Das machen wir aber nicht. Denn letzten Endes beherrscht Geld die Welt.

Fotos: Grey Hutton

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