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Fragen an einen Flüchtling, die du dich niemals zu stellen trauen würdest

Wie haben Menschen in Asylheimen Sex? Findest du die Österreicher rassistisch? Und was hältst du von Homosexuellen?
Foto von der Autorin

Wenn es um Flüchtlinge geht, stehen angesichts der Debatte um die Obergrenze immer die großen Zahlen im Vordergrund. Über 34.650 Asylanträge wurden bis Ende Oktober in Österreich gestellt und mehr als 24.600 geflüchtete Menschen bekamen in diesem Jahr einen positiven Asylbescheid. Einer von ihnen ist Omar. Der 23-jährige Syrer ist aus einem Dorf südlich von Damaskus und wohnt derzeit in der Vinzi Rast mittendrin—einem Wohnprojekt, bei dem Studenten und ehemals Obdachlose zusammenleben. Omar fällt unter die erste Kategorie.

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In Syrien begann er 2011 sein Wirtschaftsstudium. Dann floh er mit seiner Familie in den Libanon und entschied sich wegen der mangelnden Chance, sein Studium dort fortzusetzen, dafür, in die Türkei zu gehen. Aber auch dort war es für ihn aber nicht möglich, die Uni zu besuchen: "Mir wurde gesagt, dass Flüchtlinge in der Türkei nur bis zum 22. Lebensjahr studieren dürfen", erzählt er.

Also beschloss er, nach Europa zu gehen. Mit einem Schlepperboot durchquerte Omar das Mittelmeer und machte sich zu Fuß mit vier Freunden auf den Weg nach Deutschland. Über Makedonien und Serbien marschierten sie bis nach Budapest. Dort erklärte sich ein Taxifahrer bereit, die jungen Männer für 1000 Euro nach Wien zu bringen. Kurz vor der Grenze wurden sie von der österreichischen Polizei verhaftet und nach vier Tagen im Gefängnis in ein Asylheim in Tirol gebracht.

Nach 11 Monaten bekam er schließlich doch noch einen positiven Asylbescheid und hofft darauf, sein Studium in Wien fortsetzen zu können. Derzeit erhält Omar die Mindestsicherung und versucht, einen Job zu finden. Er kann nur studieren, wenn er nebenbei arbeitet—immerhin verfällt in Österreich der Anspruch auf die Mindestsicherung, sobald man an einer Uni inskribiert ist.

Ich habe Omar in der Vinzi Rast besucht und mich mit ihm über Themen unterhalten, die viele von uns interessieren, aber sich niemand anzusprechen traut.

Omar ist Teil des Projekts Vinzi Chance. 12 Flüchtlinge arbeiten zwei Stunden täglich in der Kellerwerkstatt der Vinzi Rast mittendrin. Davor haben sie eine Stunde Deutschunterricht | Foto von der Autorin

Wie handhabst du das mit Sex im Asylheim?
Ich bin 23 und hatte bis jetzt noch keinen Sex. Ich warte damit, bis ich verheiratet bin. Das hat religiöse Gründe. Ich denke aber, in Asylheimen ist es generell sehr schwierig, mit jemanden zu schlafen. Man ist nie alleine und teilt sich das Zimmer mit anderen. In Tirol wurde einmal darüber gesprochen, dass Leute im Asylheim Sex hatten. Ich selbst habe es nicht gehört oder gesehen. Ein Mann aus unserem Stock war anscheinend zu Besuch bei einer Frau, die im ersten Stock lebte. Dort haben Frauen und Familien zusammengewohnt. Im zweiten Stock waren die Single-Männer untergebracht.

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Was hältst du von Homosexuellen?
Ich persönlich finde es nicht normal. Aber die Leute sind frei und können lieben, wen sie wollen. Also möchte ich nicht sagen "Das ist nicht normal". Ich habe auch eine Freundin, die lesbisch ist. Ich mag sie sehr und habe kein Problem damit. Jeder hat eine eigene Meinung darüber—du deine und ich meine.

Was findest du schrecklich an der österreichischen Kultur?
Es gibt nichts, was ich nicht gut finde. Ich habe kein Problem mit der österreichischen Kultur. Ich habe meine Kultur—du hast deine Kultur. Ich würde nicht sagen, dass deine schlecht wäre. Sie ist eben anders. Mir gefällt es, dass Österreicher so weltoffen sind.

Was hältst du von österreichischen Frauen?
Ich finde sie sehr nett. Überall auf der Welt gibt es hübsche Frauen—auch in Österreich. Hier kann ich mit Frauen frei sprechen und mich mit ihnen unterhalten. In meiner Kultur ist es nicht üblich, Frauen einfach anzusprechen und mit ihnen eine Unterhaltung zu führen—es wäre ein bisschen unhöflich. Ich finde es toll, dass ich in Österreich mit Frauen auf der Straße oder mit der Nachbarin reden kann.

Was hältst du von den 1-Euro-Jobs?
Ich finde, das Leben in Österreich sehr teuer und 1 Euro ist einfach zu wenig für eine Stunde Arbeit. 5 Euro pro Stunde wären in Ordnung. Ich würde gerne arbeiten um besser Deutsch zu lernen und Leute kennen zu lernen. Aber 1 Euro ist viel zu wenig.

Bist du oft einsam?
Ja. Ich habe in Syrien mit meiner Familie zusammengelebt. Sie haben viele Probleme und mir geht es sehr gut hier. Deshalb mache ich mir ständig Sorgen und denke an sie. Ich reise das erste Mal alleine und war noch nie ohne meine Familie unterwegs. Deswegen ist es für mich sehr schwer und ich bin schon manchmal einsam.

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Omar beim gemeinsamen Mittagessen mit anderen Teilnehmern der Vinzi Chance in der Werkstatt | Foto von der Autorin

Hat sich dein Leben verändert? Trinkst du zum Beispiel jetzt Alkohol oder tust Dinge, die du vorher nicht gemacht hast?
Nein. Ich mache die gleichen Dinge, die ich in Syrien auch gemacht habe. Dort gibt es auch Bars, wo Alkohol getrunken wird und natürlich auch Partys. In Österreich war ich erst einmal auf einer Party. Ich höre oft, dass die Asylwerber nicht in Diskos reinkommen. Ich habe Angst, wenn ich auf eine Party gehe, dass mir jemand sagt, dass keine Asylwerber reinkommen. Es wäre sehr schlimm für mich, das zu hören. Ich muss nicht unbedingt weggehen. Da bleibe ich lieber zu Hause, bevor jemand so etwas zu mir sagt.

Findest du die Österreicher rassistisch?
Eigentlich nicht. Die meisten Österreicher sind sehr offen und freundlich und lächeln immer. Aber in Tirol gab es zwei Vorfälle. Ich war gerade mit den Gemeindebediensteten unterwegs, um im Ort mitzuhelfen. Ein Auto ist vorbeigefahren und vier junge Männer haben uns beschimpft. Ein anderes Mal grüßte ich eine alte Frau auf einer Parkbank. In Tirol ist es üblich, dass man sich beim Vorbeigehen grüßt. Sie spuckte plötzlich auf den Boden und sagte irgendwelche Schimpfwörter, die ich nicht verstanden habe. Aber das ist wirklich selten. Die Österreicher sind sehr nett.

Würdest du gerne in einem anderen Land leben?
Es gefällt mir sehr gut hier und ich würde in keinem anderen Land leben wollen. Ich würde vielleicht ein anderes Land besuchen, aber leben möchte ich in Österreich. Ich wusste vor meiner Ankunft wirklich gar nichts über Österreich. Nicht einmal, dass Deutsch die Landessprache ist. Ich kannte nur den Namen "Austria", aber hatte keine Ahnung, wie das Leben hier wohl sein wird.

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"Ich wusste vor meiner Ankunft wirklich gar nichts über Österreich. Nicht einmal, dass Deutsch die Landessprache ist."

Gibt es Flüchtlinge, die Österreich deiner Meinung nach verlassen sollten?
Das kann ich nicht sagen. Wenn es eine Person gibt, die Probleme macht, möchte ich nichts mit ihr zu tun haben. Sonst könnte ich auch Schwierigkeiten bekommen. Wenn ich von Asylwerbern höre, die viel getrunken haben oder etwas Strafbares tun, dann will ich nicht mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Wenn jemand etwas anstellt, ist die erste Frage immer: "Woher kommst du?" Und viele Menschen denken dann schlecht über Syrer. Das möchte ich nicht und das ärgert mich auch sehr.

Hast du dich vorher über das Sozialsystem informiert?
Nein. Und ich verstehe es auch bis heute nicht. Einige meiner Freunde bekommen mehr Geld, andere weniger.

Was sagst du dazu, dass euch viele Menschen "Wirtschaftsflüchtlinge" nennen?
Das finde ich natürlich nicht gut. Ich weiß, dass viele glauben, dass Flüchtlinge nach Österreich kommen, um Geld zu bekommen—aber das ist nicht so. In Syrien hatte ich alles: ein Auto, ein Haus, mein Studium, meine Freunde, meine Familie und meine Sprache. Warum hätte ich das alles zurücklassen sollen? Für Geld? Ich hatte Geld in Syrien. Dort ist das Leben billiger als in Österreich. Wenn man gearbeitet hat, konnte man sich wirklich sehr viel leisten.

In Österreich bekommt man für 800 Euro nicht sehr viel. Es geht sich zwar aus, aber ich kann nicht behaupten, dass ich wegen dem Geld gekommen bin. Es herrscht Krieg in Syrien. Es gibt keine Arbeit und niemand kann dort studieren—deswegen bin ich gekommen. Ich spreche natürlich nur für mich. Aber eine neue Sprache zu lernen, ist wirklich nicht einfach. Und erst wenn ich sehr gut Deutsch sprechen kann, kann ich von Null anfangen. Warum sollte ich das alles auf mich nehmen, wenn ich nicht müsste?

Würdest du wieder zurückgehen wollen, wenn der Krieg enden würde?
Ja sicher. Ich wünschte, ich könnte in Syrien studieren. Aber wenn der Krieg nicht endet, würde ich gerne in Österreich bleiben.

Folge Sabrina auf Twitter: @Sprinert