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Campus, Sex und Ravioli

Ich war beim Speed-Dating der ETH und der Uni Zürich

Ich rechnete mit pickligen Kellerkindern und verzweifelten Medizinstudentinnen und stufte meine Chancen dementsprechend hoch ein.
Foto von Courtney Carmody

Es ist wieder Frühling und die Stadt ist voller knutschender Pärchen. Für mich als Single bedeutet das regelmässige Ekel- und auch manchmal Neid-Wallungen. Ich bin eigentlich gerne Single und nicht verzweifelt auf der Suche nach einem Menschen, mit dem ich mich in den Schlaf kuscheln und meine Neurosen teilen kann. Eher im Gegenteil: Ich kann tun und lassen, was ich will und muss mich vor niemandem rechtfertigen (ausser mir selbst, wenn ich mal wieder feststellen muss, dass ich es nicht hinbekomme, einmal nicht mitzutrinken).

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Obwohl ich Single bin, sind meine Dating-Skills etwas rostig, weshalb ich das ETH-Uni-Speed-Dating für eine gute Übung hielt. Ich rechnete mit pickligen Kellerkindern und verzweifelten Medizinstudentinnen, die keine Zeit für Dinge wie Körperrasur haben und stufte meine Chancen dementsprechend hoch ein.

Foto von Wikipedia; Conny; CC BY-SA 3.0

Das Speed-Dating ist in einem kleinen Nebengebäude der Uni. Bei der Suche nach dem Raum hoffe ich inbrünstig, niemanden zu treffen, den ich kenne. Im Zimmer warten bereits neun Frauen auf das Männerangebot. „Die sind ja voll hübsch", denke ich erstaunt, als ich die Frauen unauffällig beäuge. Nichts mit Pickeln und Übergewicht. Ich setze mich hin und muss erst einmal meine Personalien angeben und mir ein Namenschild auf die Brust pappen. Die Stimmung ist angespannt, man betrachtet sich neugierig und lächelt verlegen, wenn sich Blicke treffen. Niemand redet über die Motive, und darüber bin ich auch froh.

Laut einer der Veranstalterinnen gibt es einen Frauenüberschuss: Zehn Frauen, sechs Männer. Im Ernst? Ich hätte nicht Gedacht, dass es Frauen nötiger haben. Eigentlich habe ich mit einer Horde ETH-Studenten gerechnet, die wegen Zeit- und Hygienemangel das Speeddating unweit von der Uni-Bibliothek dominieren. Die Flexiblen unter uns werden gebeten, in drei Stunden wiederzukommen. Dann gebe es wieder ein Gleichgewicht. Als sie weggeht, sieht man den Anwesenden die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Mir ist das ganz egal, ich habe mir eh nicht erhofft, hier den Jackpot zu knacken. Drei gehen und damit entspannt sich die Stimmung. Die Chancen sind gestiegen.

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Foto von Wikipedia; Conny; CC BY-SA 3.0

Wir bekommen ein Gläschen Champagner und setzen uns in ein grösseres Zimmer, jede Frau an einen Tisch, Rücken zur Tür. Uns wird von den drei Organisatorinnen (die leicht beschwipst sind) erklärt, wie wir vorgehen sollen. „Wenn euch ein Typ gefällt, einfach ein Kreuz bei seiner Nummer machen." Den Zettel müssen wir am Schluss mit dem Geld (der Spass kostet 10 Franken) abgeben. Dann geht's los. Die Männer strömen in den Raum und die Frauen beginnen zu kichern wie pubertäre Gymnasiastinnen. Traurigerweise bin ich aber auch nicht besser.

Vor mich setzt sich ein schlanker Typ mit Geheimratsecken und strengem Blick. Er reicht mir seine Hand in einer sehr förmlichen Geste und stellt sich vor. Ich nenne ihn jetzt einfach mal Peter. Peter will wissen, was ich studiere. Auf meine Antwort hin meint er, er könne mit Philosophie nichts anfangen, seine Mutter sei Philosophin und sowieso sei ihm das viel zu tiefgründig. Sieben Minuten pro Mann liegen vor mir und bei Peter sind sieben Minuten recht lang. Er ist übrigens ETH-Student. Als der Timer die letzten Sekunden anzeigt (mit einem Beamer wird die Uhr auf eine Leinwand projiziert), atme ich auf.

Foto von Flickr; liftconferencephotos; CC BY 2.0

Da nur die Frauen Champagner bekommen, gehe ich von einer allgemeinen Bevorzugung des weiblichen Geschlechts aus und bleibe auf meinem Stuhl sitzen, bis der nächste Mann kommt. Mit dem zweiten plaudere ich ein bisschen und er traut sich nicht recht, sich hinzusetzen. Er studiert Elektrotechnik (ETH) und sieht auch genauso aus. Es stellt sich dann heraus, dass wir Frauen von Tisch zu Tisch rotieren müssen und ich also mit der falschen Nummer ein Gespräch angefangen habe. Ich verabschiede mich von (sagen wir Mike) und gehe zum nächsten Tisch.

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Der Typ dort macht sich gerade Notizen zur vergangenen Gesprächspartnerin und würdigt mich keines Blickes. Ich setze mich schon mal und nehme einen kräftigen Schluck Champagner. Er scheint nun Zeit für mich zu haben, auch er reicht mir die Hand und auch er ist ETH-Student. Er sieht nicht mal so übel aus und als er meint, eigentlich zu faul für die ETH zu sein, finde ich ihn sympathisch. Ich erzähle ihm, dass ich mehr arbeite als studiere und er verzieht das Gesicht. Ich ertappe mich, wie ich nervös mit dem Kugelschreiber herumspiele und während dem Gespräch aus dem Fenster schaue (deshalb wurde ich im Kindergarten übrigens auch als AD(H)S-Fall eingestuft). Der Timer geht los, man reicht sich wieder die Hand und macht Kreuze oder auch nicht.

Der nächste Kandidat sieht nett aus. Er studiert Informatik und macht Musik. Mit Philosophie kann er ziemlich viel anfangen, denn seine Augen leuchten, als ich ihm mein Studienfach nenne. Wir reden über Musik und Filme und empfehlen uns Bands, die wir uns auf den Zettel notieren. Am Schluss geht Andreas auf das Klischee des ETH-/Informatikstudenten ein und meint, er sei nicht so nerdig wie man vielleicht denken würde. „Und ich bin nicht so verschupft, wie man es von einer Philosophiestudentin annehmen würde." Andreas weiss nicht, was verschupft bedeutet und als ich versuche, es ihm zu erklären, sagt er „Ach, das mag ich eh."

Foto von Flickr; Linh Do, CC BY 2.0

Mein nächster Gesprächspartner ist ein Österreicher, den ich kaum verstehe. Er reisst einen schlechten Witz nach dem anderen. „Manche dachten schon, ich sei aus Bayern, aber ich will doch nicht für einen Deutschen gehalten werden. Bei Holländern hört der Spass definitiv auf!" und ich versuche so zu tun, als fände ich ihn witzig, indem ich aufzähle, wie viele Male man mich schon für eine Brasilianerin gehalten hat. Dann rede ich mit einem netten Basler, der einen Doktor machen will und gern Red Hot Chilli Peppers auf der Gitarre spielt. Er ist recht cool drauf, aber auch nicht wirklich mein Typ. Langsam habe ich eh keinen Bock mehr, mir die Seele aus dem Leib zu quatschen. Dazu kommt noch der Champagner-Schwips.

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Als Letztes spreche ich mit Mike, dem Typen, mit dem ich mich versehentlich zusammengesetzt habe und das Gespräch wegen falscher Reihenfolge unterbrechen musste. „Das Thema Studium haben wir ja vorher schon abgehakt", sagt er. „Sorry, was studierst du?" Mike schaut mich ungläubig und enttäuscht an „Elektrotechnik." Ups, der war fies von mir. „Ah ja klaar, jetzt kommt's mir wieder in den Sinn." Doch es ist zu spät. Ich kann mich nicht mehr aus der Scheisse reiten. Wir reden über Mode (er hält nichts davon) und ich empfehle ihm das Manesse-Brockenhaus, wo alles nur fünf Franken kostet. „Wenn's dir eh egal ist, was du einkaufst." Er war schon da. Dann will er wissen, wer von den Typen hier am besten angezogen ist und ich bin ehrlich, er ist es nicht. Sein Studium vergleicht er mit einem ewigen Kampf gegen sich selbst, einem Gipfel, denn es zu erklimmen gilt. Das wird wohl nichts mit uns.

Nach 70 Minuten ist der Anlass vorbei und meine Zunge schwer. Ich gebe den Zettel ab (ich habe Andreas und den faulen, namenlosen ETH-Studenten angekreuzt) und bezahle die zehn Franken. Falls sich zwei gegenseitig wieder sehen wollen, bekommt man einen Brief mit der Handynummer. Ich bin schwer gespannt, ob einer meiner Auserwählten ebenfalls Interesse an mir hat, aber wenn nicht, soll's mir auch egal sein.

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Titelbild von Flickr; Courtney Carmody; CC BY 2.0