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Popkultur

Ja, Instagram ist auch nur ein Job, ihr Heulsusen

Wir haben von unseren Eltern „Du kannst alles werden, was du willst" gehört und darunter „Alles, was du werden willst, steht dir auch zu" verstanden.

Ein Instagram-Star weint, weil sie die Inszenierung im sozialen Netz nicht mehr aushält. „ Alles, was ich gemacht habe, war bearbeitet und nur dazu da, um mehr Views und Follower zu generieren", sagte Essena O 'Neill im November 2015—und prangerte unter anderem an, dass sie ihre Fotos bis zu 200 Mal wiederholen musste, bevor das Ergebnis gut genug für ihren Account war.

Andere Menschen, die professionell mit Bild- oder Videobearbeitung zu tun haben, haben für dieses Phänomen einen Fachausdruck etabliert: er heißt Arbeit und ist für die meisten eher dann ein Grund zum Weinen, wenn man dafür nicht mehr (wie in Essenas Fall) 2.000 Euro pro Monat verdient.

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Dass man dafür auch auf Instagram oder YouTube einiges leisten muss, ist klar—wer das nicht versteht, glaubt vermutlich immer noch, dass ein Job beim Fernsehen einfach ist, weil die Leute vor der Kamera immer Spaß haben.

Genauso klar ist, dass das Wegfallen traditioneller Hierarchien nicht nur mehr Freiheiten bringt, sondern auch mehr Gelegenheit zur Selbstausbeutung. In Essenas Fall führte das zu tagelangen Magerdiäten für das perfekte Bikini-Selfie. Inzwischen hat sie deshalb alle ihre Social-Accounts gelöscht—und sogar eine neue Website gelauncht, auf der sie zu Spenden aufruft, weil sie sich sonst „die Miete nicht mehr leisten" könne.

Das ist tragisch, seltsam und auch ziemlich weltfremd. Es ist aber kein Grund, die Verlogenheit von sozialen Medien zu kritisieren, weil sie kein unverfälschtes Abbild der Wirklichkeit liefern. Es ist eher ein Grund, sich eine andere Frage zu stellen. Und zwar: Sind die Menschen, die über Social Media plötzlich Zugang zu einer vermeintlich einfachen Geldquelle bekommen, sich wirklich darüber im Klaren, dass diese Jobs kein bisschen weniger anspruchsvoll sind als jede andere Arbeit? Sind sie reif genug für vollwertige Jobs als Werbeträger und wissen sie, welchen Aufwand sie das kurzlebige Star-Dasein in unseren Newsfeeds kostet?

Screenshot via YouTube

Wenn Essena O'Neill auf YouTube weint, weil sie die „stundenlangen Shoots" nicht mehr aushält und alle ihre Instagram-Postings nachträglich mit „Daran ist absolut gar nichts echt #celebrityconstruct" editiert, ist das nicht nur, wie wenn man einer 18-Jährigen dabei zusieht, wie sie sich zum ersten Mal wie Neo in der Matrix fühlt. Es zeigt auch, dass junge Instagram-Stars gerne den ganzen Ruhm hätten, aber doch ein bisschen überrascht sind, wie viel echte Arbeit damit verbunden ist.

Damit ist Essenas Fall ein Musterbeispiel für das, was Bret Easton Ellis „ Generation Schwächling" nennt: Wir wollen uns nicht verbiegen, uns nicht anpassen und nichts tun, worauf wir keine Lust haben, aber trotzdem die besten Jobs auf dem sozialmedialen Silbertablett serviert bekommen. Wir haben von unseren Eltern „Du kannst alles werden, was du willst" gehört und darunter „Alles, was du werden willst, steht dir auch zu" verstanden.

Aber es gibt kein Anrecht auf Erfolg und keine Abkürzung zu Berühmtheit und Reichtum. Soziale Netzwerke sind für Endkonsumenten Spaß, aber insgesamt sind sie immer noch Unternehmen mit Geschäftsmodellen. Die Grenzen zwischen Job und Spaß (oder zwischen „Beruf und Berufung", wie mittelalte Motivationstrainer sagen würden) werden zwar immer undeutlicher, aber es gilt nach wie vor: Wenn du nicht daf ür bezahlst, bist du wahrscheinlich das Produkt—und wenn du dafür bezahlt bekommst, bist du derjenige, der das Produkt verkauft.

Genau wie beim Fernsehen ist das Machen manchmal weniger lustig als es ausschaut. Und genau wie beim Fernsehen sollte das langsam auch bei Social Media allen klar sein. Sonst sind YouTube-Stars und Instagram-Models nicht das moderne Äquivalent zu TV-Moderatoren—sondern das moderne Äquivalent zu Leuten, die gerne TV-Moderatoren geworden wären, weil sie dachten, dass sie dafür einfach nur 10 Minuten vor der Kamera stehen müssen. Ich wette, diese Leute sind am Ende in anderen Jobs gelandet. Und es sind ziemlich sicher Jobs, bei denen sie niemand in Videos heulen sehen will.

Markus auf Twitter: @wurstzombie