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Wie ein Foto aus Kärnten für Online-Hetze in Deutschland missbraucht wird

Das Foto aus der Zeltstadt Krumfelden wird plötzlich auch zur Darstellung von einem Dresdner Flüchtlingslager herangezogen.
Foto via Facebook / Montage von VICE Media

Das Foto aus einem Flüchtlingslager, auf dem ein mit Sachspenden gefülltes Zelt allem Anschein nach in totalem Chaos versinkt, ging vor kurzem viral. Über 30.000 Shares auf Facebook und Kommentare wie „Geht man so mit Spenden um?", die sich gegen scheinbar undankbare Flüchtlinge richten, wurden gepostet, ohne die tatsächlichen Hintergründe der Aufnahme zu kennen.

Dass das Foto aus einem Kärntner Zeltlager stammt und nicht etwa die gegenwärtigen Umstände, sondern vielmehr anfängliche Schwierigkeiten, Ordnung zu schaffen, dokumentiert, konnten wir nach einem kurzen Gespräch mit dem Bürgermeister der Stadtgemeinde Althofen bereits klären.

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Nova Rock, nicht Traiskirchen. Screenshot via Facebook

Inzwischen gibt es auch eine Gegeninitiative junger Menschen, die ein weiteres Foto einer vermeintlich versifften Zeltstadt in Umlauf bringen soll—mit dem Unterschied, dass es sich diesmal nicht um eine tatsächliche Aufnahme aus einem Flüchtlingslager, sondern vom Zeltplatz nach dem Nova Rock handelt. Wer die Bildunterschrift nicht zu Ende liest, teilt den Beitrag blindlings als ein weiteres Beispiel für die Schlampigkeit und Undankbarkeit der Asylwerber in Österreich, in diesem Fall im Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen.

Mit dieser Aktion wird Menschen, die sich aus Wut und Enttäuschung ein vorschnelles Urteil über Flüchtlinge erlauben, der Spiegel vorgehalten—denn auch das Foto aus dem Zeltlager Krumfelden in Kärnten wird inzwischen zweckentfremdet.

Die deutsche Facebook-Seite „Sondershausen gegen Asylmissbrauch" teilte ein Posting der Seite „Pegida Chemnitz-Erzgebirge", das besagtes Foto aus Kärnten ohne weitere Erklärung benutzt, und betitelte den Beitrag mit den Worten „Spendenzelt (Dresdner Zeltstadt)". Das wurde einfach dazugedichtet. Hinterfragt wurden die Umstände von den wenigsten, Kommentare wie „So wird es bald in ganz Deutschland aussehen" oder „Undankbares Gesindel" ließen somit nicht lange auf sich warten.

Das ist nicht mal mehr das bekannte Zurechtbiegen von Fakten, das ist schlichtweg Erfinden. Seiten wie „Pegida Chemnitz-Erzegebirge" oder auch das ursprüngliche Posting des Fotos aus Kärnten scheinen von Emotionen gesteuert, die sich aus Angst und Wut ergeben, letztendlich zu Hass werden und damit vernünftiges Denken völlig lahmlegen. Damit machen diese Seiten und die Kommentatoren genau das, was einer „Lügenpresse" ständig vorgeworfen wird—auf Wahrheiten scheißen, Fakten für eigene Zwecke entfremden und verfrüht urteilen.

Erst vor kurzem berichteten wir vom Fall einer Frau, die unverfrorenerweise in einem teuren Auto beim Samariterbund vorfuhr und daraufhin als „Sozialschmarotzerin" bezeichnet wurde. Als die Geschichte schlussendlich aufgeklärt wurde, blieben die Hetzer trotz der offiziellen Aussendung des Samariterbundes bei ihrer ursprünglichen Version: „Wer's glaubt wird selig".

Die Logik ist bestechend: Wenn ein Fall widerlegt wird, bezweifeln die Skeptiker die Faktenlage. Und selbst, wenn den Fakten zur Abwechslung mal geglaubt wird, argumentieren „Asylkritiker" mit Ausnahme und Einzelfall—und sehen weiterhin keinen Grund, vom festgefahrenen Standpunkt abzuweichen.

Das sagt aber nicht nur einiges über Quellenkritik und Faktenverständnis, sondern vor allem über die Angst der Menschen aus. Anscheinend sitzt diese so tief, dass sie viele dazu treibt, bewusst—oder zumindest bereitwillig—falsche Tatsachen zu verbreiten. So wird wohl auch weiterhin das Bild aus dem Kärntner Althofen von Asylgegnern als Abbild eines Flüchtlingslagers in Dresden (oder wo es eben gerade passt) geteilt werden—ganz egal, was die Fakten sagen.

Franz auf Twitter: @FranzLicht