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Sex

Sex im Wald macht gesund, sagt ein Biologe

Clemens G. Arvay erklärt, wie die Natur unser Liebesleben verbessern kann und Versteckspiele im Wald unsere Triebe anregen. Und nein, das ist kein Witz.
Alle Fotos von Lukas Beck

Wir haben den Biologen Clemens Arvay schon zwei Mal interviewt, weil er immer ziemlich spannende Sachen zum Thema Tierschutz und Ernährung zu sagen hat. Jetzt hat er ein neues Buch mit dem Titel Der Biophilia-Effekt – Heilung aus dem Wald geschrieben, das sich auf den ersten Blick wie pseudowissenschaftlicher Bullshit anhört und uns sofort an Kristalle denken lässt, die böse Schwingungen abhalten sollen. Aber wenn sogar der Rektor der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik in Wien, Dr. Thomas Haase, sagt, dass ihn die „verständliche Darstellung der großen Zusammenhänge der Natur in diesem Buch tief beeindruckt" hat, dann wollen wir mal nicht so voreingenommen sein und uns von Clemens persönlich erklären lassen, was am Wald so toll ist, wie Bäume vielleicht sogar bei Krankheiten helfen und warum Bumsen in der Natur einfach das Beste ist.

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Sex im Wald hat schon so manchem Paar wieder auf die Sprünge geholfen und vielen Menschen einen neuen, intensiveren Zugang zu ihrer Sexualität und zu ihrem Körper eröffnet. Das habe ich in den Recherchen für mein neues Buch Der Biophilia-Effekt – Heilung aus dem Wald herausgefunden.

Wegen der vielen Sinnesreize im Wald fühlt sich der Körper dort intensiver an.

Karin und Pascal, ein Paar, mit dem ich mich im Zuge meiner Recherchen unterhalten habe, berichteten über ihre gemeinsamen Erfahrungen: „Die Verstecksuche im Wald ist für uns ein Teil des Vorspiels. Das steigert die Vorfreude und wirkt extrem anregend". Und an diesem Punkt wurde mein Biologen-Hirn hellhörig: Besteht da vielleicht ein Zusammenhang mit der menschlichen Evolution?

Als Teil der Natur hatten unsere Vorfahren über Äonen ausschließlich Sex in der Wildnis. Die Verstecksuche gehörte jedenfalls zum Ritual der sexuellen Vereinigung. Vielleicht ist das Fehlen der reizvollen Verstecksuche mit all ihren Vorfreuden der Grund dafür, dass vielen Paaren die Leidenschaft in den abgeschotteten vier Wänden mit der Zeit einschläft. Ein Abenteuer in der Natur kann euch vor sexueller Routine bewahren. Ich lernte sogar einen Mann und eine Frau kennen, die sich im Wald ganz neu ineinander verliebten.

Karin und Pascal, ein junges Ehepaar mit drei Kindern, finden Verstecksuche im Wald besonders anregend.

Angela Meyer, eine Professorin für Umweltsoziologie an der Universität von Montana, fand in ihren Studien heraus, dass die Erfahrung der Natur zu einer Aussöhnung mit dem eigenen Körper führt, zu einer respektvollen Perspektive auch auf den Körper der Partnerin oder des Partners. Das hat mit einem der wichtigsten Biophilia-Effekte zu tun, den die Natur uns bietet: Das „Being-away", wie es die international einflussreichen Umweltpsychologen Rachel und Stephen Kaplan an der Universität von Michigan nennen. Im Wald zu sein bedeutet, weg von den Einflüssen der Gesellschaft zu sein, in der Sex immer mehr mit Konsum und Leistung zu tun hat.

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Meine Interview-Partnerin Karin beschrieb das so: „In der Natur gibt es kein Richtig und Falsch, kein Zu-dick oder Zu-dünn. Es gibt so viele unterschiedliche Formen und Wesen in der Natur und die sind gut, so wie sie sind. Deswegen fühlt man sich im Wald so angenommen, wie man ist." Selbst die Wissenschaftler der Rocky Mountains Research Station des US-amerikanischen Umweltministeriums belegen in ihrem Sammelband mit dem Titel Wilderness Visitor Experiences („Erfahrungen von Wildnis-Besuchern"), dass die Natur unserer Psyche unter anderem deswegen so gut tut, weil sie uns weder für unseren Körper noch für unsere sexuelle Ausrichtung verurteilt—ganz anders als in unserer Gesellschaft.

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Unsere archaischen Gehirnsysteme, das 500 Millionen Jahre alte Reptiliengehirn und das über 250 Millionen Jahre erprobte limbische System, reagieren völlig unbewusst auf Sinnesreize aus der Natur und vermögen dabei sogar unser emotionales Befinden zu beeinflussen. Die Eindrücke im Wald und auf Waldlichtungen sind unserem evolutionär geschulten Gehirn vertraut. Die Umweltpsychologen Rachel und Stephen Kaplan haben durch Blutproben bewiesen, dass in Naturlandschaften und unter Einflüssen von Pflanzen und Vogelstimmen der Parasympathikus aktiviert wird, das ist der Nerv der Ruhe. Stresshormone gehen zurück. Der schwedische Psychologe Terry Hartig von der Uppsala-Universität stellte fest, dass die Faszination, die die Natur in uns auslöst, nicht nur unsere geistige Leistungsfähigkeit sondern auch die Fantasie anregt. Diese Anregung der Fantasie kann beim Sex im Wald nur förderlich sein.

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Außerdem: „Ein nackter Körper, der mit der Natur verschmilzt, sieht immer ästhetisch aus", berichteten meine Interviewpartner Sonja und Jonathan aus ihrem Erfahrungsschatz.

Wer Abwechslung und neue Reize für das Intimleben sucht, hat mit dem Wald eine körperfreundliche Alternative zu trendigen Experimenten mit Handschellen und Kabelbindern. Damit nach meinem Buch Der Biophilia-Effekt die Wälder nicht von Paaren überlaufen werden, habe ich im Buch Vorschläge für ein Liebesnest im eigenen Garten gemacht, das der menschlichen Psyche gerecht wird. Wer sich dennoch in die Wildnis wagt, sei darauf hingewiesen: Beim Sex im Wald macht man sich nur dann strafbar, wenn man durch unmittelbare Wahrnehmung ein berechtigtes Ärgernis erzeugt, wie der Gesetzestext in Österreich und Deutschland sagt.

„Unsere sexuellen Begegnungen in unserem Versteck im Wald haben nichts Anstößiges und sind so respektvoll wie nie zuvor", sagten Sonja und Jonathan.

Natürlich geht der Biophilia-Effekt weit über die menschliche Sexualität hinaus und hat vor allem medizinisches und psychologisches Potenzial. Der Wald ist ein Ort der regen Kommunikation. Pflanzen informieren einander beispielsweise über Schädlinge oder rufen Insekten zur Hilfe. Dazu benutzen sie chemische Pflanzenvokabeln, sogenannte Terpene.

Unser Immunsystem, ein laut der modernen Psycho-Neuro-Immunologie ebenfalls kommunikationsfähiges Sinnesorgan, entschlüsselt diese Terpene auf ähnliche Weise wie die Pflanzen selbst und reagiert auf die Terpene mit einer signifikanten Steigerung der Anzahl und Aktivität der natürlichen Killerzellen, die Viren und potenzielle Krebszellen bekämpfen. Auch die drei wichtigsten Anti-Krebs-Proteine, mit denen unser Körper Tumore und gefährliche Zellen vergiftet, werden gestärkt. Die Beweise dazu erbrachten in mehreren Feldstudien die Forscher der Nippon Medical School in Tokio—das ist eine renommierte medizinische Universität. Die dabei entstandene Waldmedizin entwickelt sich gerade zu einem internationalen Forschungsfeld.

Ein Video von Clemens Arvay über die Natur als Sexualtherapeutin (mit ziemlich viel Nacktheit) findet ihr hier.

Clemens G. Arvay ist Biologe, Autor und Blogger. Er ist Mitglied im österreichischen Forum Wissenschaft und Umwelt. Der Biophilia-Effekt - Heilung aus dem Wald ist sein sechstes Buch und sein bisheriges Lieblingsprojekt.