Menschen

Warum es besonders wehtut, von diesem Sommer Abschied zu nehmen

Der Sommer ist bald vorbei und ihr müsst wieder bei jedem Schluck Weißwein seufzen.
Die Autorin hält ein Weinglas, in dem eine Olive schwimmt, links hinter ihr sieht man Gebäude und das Meer
Die Autorin im Urlaub

Ich bin in Rom und es ist meteorologischer Herbstanfang. Ich habe elf Mückenstiche. Die Stechmücken halten sich nicht an den Herbstanfang, also tue ich es auch nicht. Ich schwitze weiter vor mich hin, als wäre es nicht bald Oktober. Auf meinem linken Oberschenkel zähle ich vier Mückenstiche, zwei auf meinem Bauch, fünf auf Füßen und Knöchel. Vielleicht sind es eigentlich mehr, aber ich kann meinen Kopf nicht richtig drehen, um meinen Rücken im Spiegel zu begutachten. Dort könnten noch einige sein. Aber ich habe Muskelkater.

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Ich habe mich vor ein paar Tagen verrenkt und schlecht im Bett dieses Typen geschlafen. Er könnte vielleicht als Summer Romance durchgehen, wäre es die letzten Monate nicht so kalt gewesen. Ich sei es auch, hat er mir gesagt. Kalt. Vielleicht kommt der Muskelkater auch vom Wandern. Eins von beidem. Es ist ja schließlich gerade noch Sommer. Man ist immer entweder verknallt oder draußen.

Demnach habe ich eigentlich alles richtig gemacht. Doch ich bin immer unzufrieden mit meinem Sommer. Ich habe dieses Jahr keinen Sonnenbrand bekommen und jetzt ist es wahrscheinlich zu spät, um noch an einem zu arbeiten. Nur zweimal bin ich an den See gefahren. Wahrscheinlich, weil ich es hasse, mit dem Fahrrad in eine S-Bahn zu steigen und mir an den Pedalen die Schienbeine aufzuschürfen, wenn sich Leute an mir vorbeidrängen. Trotzdem kommt mir zweimal zu wenig vor.

Vielleicht darf ich den Sommer gar nicht verabschieden, wenn ich ihn gar nicht wirklich begrüßt habe. Nur eine Nacht habe ich komplett draußen verbracht. Ein paar Freunde und ich sind nach Brandenburg in einen Wald gefahren, um zu tanzen. An dem Abend waren wir so gut im Mückenstiche bekommen und unsere Jacken zu Hause vergessen, als würden wir das ganze Jahr nichts anderes tun.

Der Sommer reicht nie. Der September traf mich also unerwartet. Das ist jedes Jahr so, doch dieses Jahr besonders. Denn dieser Sommer musste mehr erfüllen als die Sommer vor ihm. Corona hat uns so viel genommen und die drei Monate sollten es uns nun zurückgeben. Der Asphalt sollte glühen und wir auch. Glühen für das Jetzt. Und dann war es gar nicht so heiß und wir konnten unmöglich alles tun, was wir uns vorgenommen haben, weil wir damit beschäftigt waren, erleichtert zu sein, dass der Corona-Winter vorbei ist. Ganz so wie sonst war der Sommer also nicht. Es fühlt sich merkwürdig an, etwas zu verabschieden, was gar nicht richtig da war. Und jetzt ist der September gekommen und ich finde es fast ein bisschen unhöflich. 

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Ich verbringe den letzten Abend in Rom und der nächste Winter atmet mir in den Nacken. Ein Typ aus Berlin ist gerade auch hier. Das schreibt er mir. Wir verabreden uns und ich finde es sportlich von mir, dass ich nach dem meteorologischen Herbstanfang noch eine Summer Romance lostreten will. Wahrscheinlich mögen wir uns gar nicht so, deshalb treffen wir uns immer nur im Sommer. Da ist es so warm und das Leben so gut, dass das egal ist. Er wartet auf einer Brücke auf mich und ich komme zu spät, weil ich einen Umweg laufe, um länger verknallt tun und "Felicità" hören zu können. Er trinkt Wein. Ich trinke Negroni und merke, dass ich das ganz gut kann. Blöd nur, dass mir das bald nichts mehr bringt. 

Wenn wir beide wieder in Berlin sind, dann ist wahrscheinlich nur noch ganz wenig übrig vom Sommer. Als ich um eins nach Hause gehe, ist es immer noch warm. Ich schwitze zwischen Nase und Oberlippe, möglicherweise das letzte Mal dieses Jahr.

Im Zug zurück nach Deutschland denke ich an alle italienischen Hotels, die bald schließen, weil die Bettdecken zu dünn werden für die Temperaturen. Ich blinzle aus dem Fenster in die Sonne und höre "Eternal Summer" und fühle mich trotzig.

Als ich in Berlin ankomme, frage ich mich, ob sie es noch nicht gemerkt haben, die Aperol und Weißweinschorle trinkenden Leute und alle, die immer noch Birkenstocks tragen oder Hosen aus Leinen, die nicht am Bein kleben, wenn man schwitzt. Weiter tun sie so, als würde es nicht Herbst werden. Ich frage mich, ob sie merken, dass bald nichts mehr so leicht ist. Ich will ihnen sagen: Bald müsst ihr wieder bei jedem Schluck Weißwein seufzen.

Das restliche Jahr ist anstrengender als der Sommer, weil man sich die ganze Zeit auf etwas freuen muss. Ab Oktober warten wir. Im Sommer sind wir nur. Das ist einfach. Der Sommer fühlt sich leicht an. 

Gerade scheint noch die Sonne. Heute Nachmittag soll es regnen. Vielleicht seufze ich heute Abend mal beim Aperol trinken. 

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