Ich war an einer Privat-Liquidation an der Zürcher Goldküste
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Ich war an einer Privat-Liquidation an der Zürcher Goldküste

Das Unglück des Einen wird zum Schnäppchen des Nächsten.

Die Goldküste ist der Schweizer Wohnraum für das obere Ende der Gesellschaft. Würden wir im antiken Rom leben, wäre die Goldküste unser Palatin. Der Hügel, von dem aus die Reichen und Herrscher auf das gemeine Volk hinabblicken und dessen Geschicke leiten. Der Pöbel wiederum lebt für Brot und Spiele und die seltenen Augenblicke, in denen einer vom Hügel des Wohlstands hinunterfällt und in Scham und Schande aus der Stadt exiliert oder im besten Fall gar erdolcht oder gesteinigt wird. Das kam im alten Rom gar nicht so selten vor und es ist auch heutzutage alles andere als rar, aber es spritzt viel weniger Blut.

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In der Moderne werden die Leute, die von den Höhen der Gesellschaft in ihre Niederungen fallen, nicht mehr gesteinigt, exiliert, erschossen und durch die Strassen geschleift. In der "westlichen Zivilisation" wird der Fall eines Grossen bei Interesse oder dem Versprechen von Klicks in der digitalen Arena breitgetreten, aber das ist nicht dasselbe wie im Sand der römischen Arena breitgetreten zu werden.

So weit haben wir uns entwickelt. Heutzutage werden die Besitztümer nicht mehr einfach so geplündert—je nach Zivilisationsgrad sind Plünderungen sogar bei Kriegseinsätzen nicht mehr normal. Ja, die Auswirkungen unseres Neids sind heute unter der deckenden Maske des formal Korrekten verborgen. Wir haben zum Beispiel die Gelegenheit, uns an Liquidationen zu Spottpreisen jenes unter den Nagel zu reissen, das mal jemandem gehört hat, der oder die es sich effektiv leisten konnte. In solchen Momenten entsteht Euphorie. Das Unglück des Einen wird zum Schnäppchen des Nächsten.

Ich schreite also durch das offene Tor der Liegenschaft, die dereinst im Besitz eines Zahnarztes war. Das Anwesen wirkt beeindruckend und galt wohl als architektonisch innovativ, als es in den frühen Achtzigern gebaut wurde. Vor dem Haus steht ein muskulöser Typ in schwarz und mit Oakley Sonnenbrille. "Vermutlich ein Sicherheitsangestellter", denke ich und schalte automatisch auf den Am Security- vorbeikommen"-Modus um: Einerseits so tun, als würdest du den Türsteher nicht bemerken und dabei dem Türsteher nicht den geringsten Grund geben, dich zu bemerken.

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Ich betrete einen Gang, der mit antiken Möbeln vollgestellt und mit Kunst behangen ist, die zumindest den Eindruck erwecken will, als stamme sie aus dem 17. Jahrhundert. Da das Gemälde eines Adligen im Porträt preislich nicht das Niveau zweier daneben stehender Holzsäulen übertrifft, gehe ich davon aus, dass entweder der Adlige nicht wichtig oder sein Abbild nicht besonders alt ist.

Als Kind habe ich Indiana Jones und die DuckTales geliebt und in den hintersten, verstaubten Winkeln des Hauses meiner Grossmutter nach Schätzen gesucht. Im Augenblick wünsche ich mir, Kunstgeschichte studiert und eine Ahnung zu haben, was Ramsch unter Umständen wert sein kann. Das Studium der Politikwissenschaften lehrt einen lediglich, dass die Welt ohnehin in den Abgrund gefahren wird—von eben denjenigen Leuten, die ihre Geschicke lenken.

Ich betrete den Salon und da ich an jeder Ecke irgendein lustiges Etwas zum Fotografieren finde, lege ich die Kamera gar nicht mehr weg. Es riecht nach alten Menschen, abgestandenem Lavendel und Parfüm. "Ich habe Persönlichkeitsrechte", werde ich von einer kleinen Frau in ihren Sechzigern angequäkt, deren hellblau geblümtes Kleid sehr wohl aus dem Inventar einer Liquidation stammen könnte.

Ihr Haar ist grau und eines ihrer Augen verblasst, das andere blickt argwöhnisch auf meine Kamera. Normalerweise bestehen ganz andere Leute in ganz anderen Situationen mir gegenüber auf ihre Persönlichkeitsrechte. Ich fühle mich zu einer Reaktion genötigt und bestätige sie in ihrer Feststellung, was mir zustimmendes Lächeln der umstehenden Handvoll Rentner einbringt. Danach wenden sie sich wieder dem Silberbesteck, dem Geschirr oder dem Pfeifentabak zu, als hätte ich nie existiert.

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Ich höre Lärm von draussen. Hier passiert sonst vermutlich eher selten etwas, das nicht die nächsten drei Stunden weiterhin passiert. Also folge ich den Hydraulikgeräuschen und treffe auf einen Laster, der von zwei Bediensteten bedient wird. Unter den losen Anweisungen einer weitgehend weiss gekleideten, ledrig braungebrannten und mit Schmuck behangenen Dame mit spanischem Akzent werden gerade Jesus und Buddha verladen. Der Anblick, wie die Götzen vom Anwesen wegschweben macht mich nachdenklich—Gott hat das Gebäude endgültig verlassen. Die Frau filmt den sakralen Abgang mit ihrem iPhone.

Ich verwickle den Sicherheitsmann in ein Gespräch und erfahre, dass der dahingeschiedene Besitzer sich wegen seiner angehäuften Schulden das Leben genommen hat. Nun verkaufen seine Hinterbliebenen alles, was er besass, um die Schuldenlast auf Null zu tilgen. Eine gesamte Existenz wird auf den Nullpunkt gebracht, neutralisiert.

Ich setze meinen Streifzug fort und entdecke eigentlich nur Sachen, die seit Ende der Neunziger Jahre als alt gelten: von Büchern über Vinyl zu analogen Kameras und CDs. Ich bleibe an einem Tisch hängen, auf dem diverse Tabakpfeifen ausgebreitet sind und denke darüber nach, mit Pfeiferauchen anzufangen. Dann kommt mir wieder die Sache mit dem Suizid in den Sinn und ich lege einen circa 15 cm langen Pfeifenkopf, den ich sehr gerne mit Outdoor-Weed gefüllt hätte, um sonntags schmauchend die Zeitung zu lesen und Aquarelle zu malen, wieder hin. Selbstmord hinterlässt böses Ju-Ju.

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Ich entdecke die Tür zum Keller, steige die Stufen hinab und betrete einen Raum von der Grösse einer Zweizimmerwohnung, der mit Kruzifixen, sakralen Figuren und Bildern buchstäblich aufgefüllt ist. Ich habe nie in meinem Leben so viele Kruzifixe gesehen. Ich verwerfe die Frage, ob es sich beim Besitzer um einen Vampirjäger handeln könnte. Dafür war viel zu wenige okkulte Literatur in den Regalen zu finden.


Besitzer und Besetzer – Wem gehört Zürich?


Dennoch wird mir beim Anblick tausender Kruzifixe etwas unheimlich, die Figuren von Engeln und Mönchen starren mich aus verwitterten hölzernen Köpfen hinaus an, während ich mir ein Leben vorstelle, in dem sich Achtziger-Jahre-Chic, Depression und Katholizismus vereinen. Ich fahre herum, als es in meinem Rücken klimpert.

Es ist nur ein Zürcher Oberländer in ausgetragenen Jeans und einem pastellgrünen Sweater. Unter seiner Baseball-Kappe glitzert ein Piercing in seiner Augenbraue. Wir kommen ins Gespräch. Er erzählt mir, wie er letzten Samstag um 05:30 Uhr schon in der 200 Meter langen Schlange vor dem Anwesen stand, wie nur wenige gleichzeitig eingelassen wurden und dass seine Freundin ein goldenes Kruzifix gefunden habe. Er würde öfters an solche Liquidationen gehen, Sachen finden und sie dann im Internet verhökern.

Er gräbt nebensächlich ein Kruzifix aus dem Haufen, ich frage wie alt es sei, er meint, er habe keine Ahnung, es sei aber aus Silber, das erkenne man am Stempel. Als ich bemerke, wie ich den Fledderer um seinen Fund zu beneiden beginne, beschliesse ich zu gehen. So viel Noblesse will ich mir erhalten. Ich rette eine Prince-CD, einen Hemingway-Geschichtenband und eine Lao-Tse-Zusammenfassung vor dem Mob und lasse das Mausoleum der Vergänglichkeit hinter mir.

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