Drogen

Jawara wollte ein besseres Leben in Europa – jetzt dealt er im Görlitzer Park

"Manchmal nimmt die Polizei mir meinen Stoff weg, ohne meinen Namen zu notieren. Sie stecken das Zeug einfach in die Tasche und gehen wieder."
Eine Illustration zeigt einen jungen Mann in Hemd und kurzen Hosen, der in der Wüste in Richtung Horizont läuft, wo ein großes Cannabis-Blatt wartet; damit ist ein Mann aus Gambia gemeint, der die beschwerliche Reise nach Europa auf sich genommen hat, nur
Illustration: Mike Hughes

Vor 23 Jahren wurde Jawara in Gambia geboren. Auf der Suche nach einem besseren Leben durchquerte er die Sahara, um nach Europa zu kommen. Während dieser Reise wurde Jawara in Libyen gekidnappt, viele seiner Freunde überlebten nicht. Nachdem er endlich in Deutschland angekommen war, lehnten die Behörden Jawaras Asylantrag ab, seitdem verdient er sein Geld als Drogendealer im berüchtigten Görlitzer Park in Berlin. Jawara wünschte, keine Drogen verkaufen zu müssen, um über die Runden zu kommen. Wir haben mit ihm über seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Zukunft gesprochen.

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VICE: Hi Jawara. Was genau verkauft du?
Jawara:
Vor allem Gras. Deswegen kommen die Leute zu mir. Aber wenn jemand Speed, Kokain oder Pillen haben will, habe ich das auch.

Wie laufen die Geschäfte?
Während der Pandemie brauchte ich wegen der wegbleibenden Touristen länger, meine Vorräte zu verkaufen. Aber ich treffe hier im Park ja auch meine Freunde und wir hängen zusammen ab. Ich habe immer noch meine Stammkunden, das sind vor allem Ausländer und Nicht-Berliner.

Verdienst du viel Geld?
Was heißt "viel"? Ich verdiene genug für mich und meine Familie, ich habe ein Kind. Das Geld reicht, um ein paar schöne Klamotten zu kaufen, aber reich werde ich da draußen nicht. Jetzt gerade – ohne die Touristen – bin ich froh, wenn ich an einem guten Tag 200 Euro Profit mache.

Hast du oft Ärger mit der Polizei?
Hier muss man schon aufpassen. Manchmal nehmen sie mir meinen Stoff weg, ohne meinen Namen zu notieren. Sie stecken das Zeug einfach in die Tasche und gehen wieder.


Auch bei VICE: Was kostet die Flucht nach Europa?


Wo genau kommst du her?
Ich stamme aus Gambia am Atlantik. Dort bin ich ganz normal aufgewachsen, es war gar nicht so schlecht. Trotzdem bin ich als Teenager von dort weg. Ich gehöre dem Volk der Soninke an, sehe mich aber als Bürger der Welt. Ich kann mit jedem Menschen gut. Wenn wir die gleiche Denkweise haben, ist alles cool. Dinge wie Nationalität oder Stammeszugehörigkeit sind mir egal.

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Warum wolltest du weg aus Gambia?
In Gambia herrscht eine gewisse Mentalität, dort will jeder reisen. Wenn im sozialen Umfeld viele Leute gehen und woanders erfolgreich sind, denkt man automatisch darüber nach, es ihnen nachzutun – ohne überhaupt zu wissen, was man dafür alles auf sich nehmen muss.

Für einige von uns hat es sich nicht gelohnt, also die anstrengende Durchquerung der Sahara und die gefährliche Überfahrt auf dem Meer. Und wenn man hier ist, muss man hart arbeiten und sich beweisen.

Wie schwer war deine Reise nach Europa?
Die Durchquerung der Sahara war wirklich schrecklich. Die Reise dauerte gefühlt ewig, insgesamt waren es vier Monate. Wir wurden in Pick-up-Trucks transportiert und mussten hinten auf der Ladefläche stehen. Wenn jemand runterfiel, wurde nicht angehalten, die Person war dann dem Tod geweiht. So ging es durch Senegal, Mali, Niger, Libyen, Italien und die Schweiz, bis ich in Deutschland ankam. Das war schon eine krasse Erfahrung, in jedem Land habe ich etwas gesehen, das ich vorher noch nie gesehen hatte.

Von Gambia bis nach Libyen ging es schnell, das dauerte ungefähr drei Wochen. Dann wurde ich in Libyen aber gefangen genommen. Zu diesem Zeitpunkt gab es dort weder eine richtige Polizei noch ein richtiges Militär. Das waren Rebellen, die das Geld in ihre eigene Tasche steckten. Sie sperrten mich drei Monate lang ein, bis meine Familie 5.500 Dinar – also gut 1.000 Euro – Lösegeld bezahlte. Ich habe in dieser Zeit auch einige Freunde verloren, es war schlimm. Sowas kann man sich nicht vorstellen. Es herrschte Krieg, nirgendwo war man sicher.

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Wir alle hoffen auf ein besseres Leben, wenn wir hierher kommen. Aber dann folgt die Enttäuschung, weil viele Menschen in Europa von uns Afrikanern erwarten, dass wir uns erstmal beweisen. Warum müssen wir das? 

Denkst du noch oft über deine Reise nach?
Manchmal schon, weil einige meiner Freunde während dieser Reise umgekommen sind. Freunde aus meiner Heimat, teilweise sogar aus dem gleichen Viertel. Früher aßen wir wie eine Familie zusammen.

Wie war es, auf das Ergebnis des Asylantrags zu warten?
Ich führte ein sauberes Leben, war nicht auf der Straße unterwegs. Ich bekam ein bisschen Geld von den Behörden und lebte in einem Asylheim in Karlsruhe. Das war OK. Karlsruhe ist schön, aber dort geht es lange nicht so multikulturell zu wie in Berlin. 

Was passierte dann?
Sie lehnten meinen Asylantrag ab. Ich musste mir einen Anwalt suchen, was recht heikel war. Nach zwei Woche wurde ich angewiesen, meinen Pass reinzubringen, denn sie wollten mich nach Hause abschieben. Da haute ich einfach ab und landete in Berlin. Ich musste das einfach tun. Jetzt bekomme ich keine Unterstützung von den Behörden mehr. Alles, was ich besitze, habe ich mir selbst erarbeitet.  

Wir alle haben einen normalen Job und ein normales Leben verdient.

Hast du irgendwelche besonderen Fähigkeiten?
Jeder Mensch, der hierher kommt, hat ein Talent. Aber sie geben uns gar nicht erst die Chance, daraus etwas zu machen. Ich bin zum Beispiel Automechaniker und kenne mich in Sachen Autos richtig gut aus. Aber sie fällen ihr Urteil über dich aufgrund deiner Herkunft. Niemand will auf der Straße sein. Wir alle haben einen normalen Job und ein normales Leben verdient.

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Als ich nach Berlin kam, wollte ich nicht klauen, also versuchte ich, auf der Straße irgendwie anders Geld zu machen. Viele Menschen, die auf der Straße Geld ranschaffen, würden garantiert nicht auf der Straße unterwegs sein, wenn man sie mit einem Dach über dem Kopf und mit Bildungsmöglichkeiten unterstützen würde.

Wie läuft es zwischen dir und den anderen Leuten auf der Straße?
Zwischen uns Afrikanern gibt es keine Rivalität, aber die Araber mögen uns nicht. Mit denen haben wir hier in Kreuzberg oft Stress. Sie versuchen ständig, uns fertig zu machen. Ich glaube, sie sind nur neidisch. Aber ich muss auch sagen, dass sie gut vernetzt sind.

Arbeitest du unabhängig oder bist du Teil eines Netzwerks?
Ich bin alleine unterwegs. Die Araber haben ein Netzwerk, aber bei uns läuft das nicht so. Wir kaufen unsere Ware selbst, verkaufen sie selbst und streichen den ganzen Profit selbst ein.

Was wünscht du dir für die Zukunft?
Wenn man hier wohnt, ohne ein wirklicher Teil des Systems zu sein, ist jeder Tag stressig und ein Kampf ums Überleben. Der Schwarze Junge aus Afrika hat keine Chance. Aber unsere Hautfarbe wird sich niemals ändern. Jetzt muss ich allerdings los, das Geld verdient sich nicht von selbst.

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