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Dieser Typ hat sich für mehr Privatsphäre von Asylbewerbern eingesetzt

Kevin Högger hat sich für seine Bachelorarbeit mit einem der aktuellsten Themen von Politik und Gesellschaft auseinandergesetzt: Der steigenden Anzahl Flüchtlingen und dem Mangel an geeigneten Asylzentren.

Kevin Högger ist Typograf und Grafiker und hat vor kurzem einen Bachelor in Industrial Design absolviert. Als Abschlussarbeit hat er sich mit einem der aktuellsten Themen in Politik und Gesellschaft auseinandergesetzt: der steigenden Anzahl Flüchtlinge.

Seine Überlegung war folgende: Wenn es in Zukunft so sein wird—und in manchen Grossstädten ist dies bereits Realität—dass immer mehr Menschen auf engem Raum zusammenwohnen müssen, dann sollte es doch Möglichkeiten geben, um ihnen trotzdem einen Standard an Privatsphäre zu garantieren.

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An keinem Ort trifft dieses Szenario des engen Raums mehr zu als in Asylheimen. Deshalb hat Kevin sich dafür entschieden, Betten zu designen, die den Aufenthalt im Heim erleichtern. Er war dafür in verschiedenen Asylzentren und hat sich mit allen daran Beteiligten, den Bewohnern, den Planern und den Betreibern, über die Problematik mangelnder Privatsphäre unterhalten.

Foto zur Verfügung gestellt Von Kevin Högger

VICE: Warum hast du dich bei deiner Bachelorarbeit für dieses Thema entschieden?
Kevin Högger: Die Idee war ursprünglich das Thema „Wohnen auf engem Raum" und hatte nichts mit dem Asylwesen zu tun. Das Thema hat mich durch das ganze Studium hindurch begleitet, denn es wird uns in absehbarer Zeit uns alle betreffen. In vielen Grossstädten wohnen Menschen auf engstem Raum zusammen, das fasziniert mich. Ich habe mich gefragt, was für ein Problem ich mit der Bachelorarbeit lösen könnte und bin dann relativ schnell auf diese Idee gekommen.

Warum hast du die Betten speziell für Asylheime entworfen?
Das Bett ist speziell für die Verwendung im Asylheim konzipiert. Die unterschiedlichsten Menschen treffen hier aufeinander, sind gezwungen auf engem Raum viel Zeit miteinander zu verbringen. Sie schlafen Rücken an Rücken, sie hören und riechen einander. Oftmals wissen die Bewohner nicht, wie lange sie im Zentrum bleiben werden, was als nächstes passiert und wie sie mit den Strapazen der Flucht umgehen sollen.

In welcher Hinsicht spielt die Kultur eine Rolle?
In meiner theoretischen Arbeit habe ich mich gefragt, wie verschiedene Kulturen Privatsphäre auffassen. Braucht ein Marokkaner das gleiche Mass an Privatsphäre wie ein Russe? Ich bin davon ausgegangen, dass dem nicht so ist. Mir wurde im Verlauf meiner Arbeit dann aber bewusst, dass für vierzig Menschen, die in einem Raum wohnen, der Mangel an Privatsphäre das grösste Problem darstellt, unabhängig von ihrem kulturellen Background.

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Auf der Flucht ist mangende Privatsphäre ein vernachlässigbares Problem

Wie bist du bei deinen Recherchen vorgegangen?
Ich habe mich zuerst mit dem Begriff „Privatsphäre" auseinandergesetzt, dem Asylverfahren und den Flüchtlingen, die in die Schweiz kommen. Dann bin ich in verschiedene Asylzentren gegangen. In eine alte Schule auf dem Land wurden 150 Leute untergebracht. Die Dorfpopulation hat sich durch das Zentrum vom einen auf den anderen Tag plötzlich verdoppelt. Ich ging da vorbei, habe viel mit dem Personal und den Bewohnern, aber auch mit den Planern, Betreibern und Lieferanten gesprochen. Alle meinten, es wäre schön, wenn die Bewohner mehr Platz hätten, vor allem die Bewohner selbst. Aber das ist natürlich auch eine Budgetfrage. Die musste ich bei meiner Arbeit auch berücksichtigen.

Warum sind gute Betten so wichtig für die Bewohner?
Während meiner Recherche habe ich festgestellt, dass nicht nur die fehlende Privatsphäre und der Platzmangel für die Asylbewerber ein Problem darstellt, sondern auch die mangelnde Multifunktionalität der Betten. Das Bett ist für die Menschen der einzige Rückzugsort im Durchgangszentrum, deshalb werden dort die unterschiedlichsten Aktivitäten praktiziert. Es wird gebetet, gegessen, Hausaufgaben gemacht und Briefe geschrieben. Dafür ist das herkömmliche Bett jedoch nicht geeignet. Es dient lediglich als Schlafplatz. Dies habe ich mit meinem Produkt geändert. Das neu konzipierte Etagenbett bringt mehr Privatsphäre, schottet jedoch nicht ab, lässt sich mit Accessoires wie einem Tisch, Regalen und Kleiderhaken erweitern und ist sehr langlebig und einfach aufzubauen. Bewohner klagten beispielsweise über immer leuchtende Handys in der Nacht, Schnarchen, direktes Nebeneinanderliegen und Gerüche des Nachbarn.

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Foto zur Verfügung gestellt von Kevin Högger

Welche Faktoren musstest du bei der Realisierung der Betten beachten?
Kosten, Materialien, Langlebigkeit, Sicherheit und Altersunabhängigkeit waren wichtige Faktoren, die zu beachten waren. Es durfte natürlich nicht zu teuer werden und deshalb musste ich mir gut überlegen, welche Materialien ich verwenden sollte. Die Betten dürfen nicht brennbar sein und sind oftmals länger als zehn Jahre im Einsatz. Also machte Holz zum Beispiel weniger Sinn. Ich habe mich dann für einen Stahlrahmen entschieden, der mit einem modernen Verfahren und wenig Handarbeit hergestellt werden kann. Gewisse Teile sollten zudem auswechselbar sein. Ich habe versucht, alle diese Faktoren einzuhalten und dann gemerkt, dass ich die Kosten vernachlässigen muss um ein innovatives Resultat zu erzielen.

Hat das Thema Asylpolitik für dich persönlich Bedeutung?
Ich habe mich ehrlich gesagt nie wirklich dafür interessiert, wusste zu dem Thema so viel wie jeder andere auch. Ich habe die Arbeit auch nicht gemacht, weil ich unbedingt Asylsuchenden helfen wollte, ich wollte schlicht ein zeitgenössisches Problem finden und es lösen. Ich war ja vorher noch nie in einem Asylheim und es war schon erschreckend, aber auch schön, mit den Menschen zu reden und ihre Schicksale zu hören. Ich habe dabei immer versucht, meine Neutralität nicht zu verlieren.

Und, hat's geklappt?
Ja, ich denke ich war ziemlich gut darin. Obwohl es sehr harte Storys waren. Ich habe dann aber nicht davon geträumt oder so. Schliesslich hatte ich nicht nur mit den Bewohnern zu tun, sondern mit allen am Heim Beteiligten.

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Foto zur Verfügung gestellt von Kevin Högger

In welchen Heimen war die Dichte an Bewohnern am höchsten?
Ich habe für meinen Besuch bewusst ein Durchgangszentrum ausgewählt, in dem viele Leute nahe beieinander wohnen, da ich auch hier ein Extrembeispiel sehen und erfahren wollte. Die Luft war nicht wirklich angenehm und es war laut. Die Angestellten und Planer der Durchgangszentren haben mich sehr beeindruckt. Ich hatte das Gefühl, dass sie wirklich das Beste für die Bewohner herausholen wollen mit dem, was sie zur Verfügung stellen. Das war in diesem Fall ein altes Schulhaus, in einem anderen zum Beispiel ein altes Hotel.

Fürchtest du dich vor einem Flüchtlingsansturm à la SVP-Szenario?
Nein, davor fürchte ich mich nicht. Es ist definitiv eine zeitgenössische Problematik, aber wenn man die Zahlen betrachtet, von der Schweiz und den Nachbarsländern, dann nehmen wir eher wenige Menschen auf. Die direkten Nachbarstaaten von Syrien zum Beispiel nehmen Hunderttausende Flüchtlinge auf. Klar ist es für die nicht einfach, aber es ist halt ein Problem unserer Zeit und das muss irgendwie gelöst werden. Bevor ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt habe, hatte ich ein von den Medien geprägtes Bild von Flüchtlingen. Ich habe bei meiner Arbeit dann aber die unterschiedlichsten Menschen getroffen—vom Matheprofessor bis zum Fussballprofi—das überlegt man sich vorher gar nicht.

Hat dich diese Erfahrung menschlich verändert?
Sie hat mich wachgerüttelt. Ich denke, ich habe vorher zu diesem Thema ein wenig die Augen verschlossen. Die Erfahrung war schon intensiv, sie prägt. Ich denke zwar nicht, dass ich jetzt in Zukunft nur noch Produkte für Asylsuchende gestalten möchte, aber ich bin definitiv stärker auf das Thema sensibilisiert.

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Foto zur Verfügung gestellt von Kevin Högger

Werden die Betten jetzt produziert?
Ich habe während dem gesamten Projekt bewusst auf einen fixen Partner verzichtet, um vorwärts zu kommen und Entscheidungen alleine treffen zu können. Jetzt bin ich jedoch mit der Arbeit so weit, dass ich das Produkt gerne mit Interessenten besprechen würde, um einer Realisation näher zu kommen.Es gab bereits Interessenten aus der Architektur und dem Sozialwesen, jedoch noch nichts Konkretes. Für mich als Einzelperson ist es schwierig, das Projekt weiter zu führen, somit bin ich sehr offen für Ideen und Kooperationen.

Haben denn kantonale Asylheime kein Interesse daran?
Sie fanden es super, aber sie wollten nicht grad hundert davon bestellen. Ich hatte nicht wirklich viel mit den Asylheim-Betreibern zu tun, die meiste Zeit habe ich in die Realisierung der Betten investiert. Ich denke, Fachzeitschriften werden sich dafür interessieren und dann wird wahrscheinlich mehr geschehen.

Mehr von Kevin Högger findest du Hier

Nora auf Twitter: @nora_nova_

Vice Switzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelbild von Bernd Schwabe in Hannover | Wikimedia | CC BY 3.0