Wir haben einen Pfarrer, den Islamrat und eine Oma gefragt, was sie von der Ehe für Alle halten
Collage: Rebecca Rütten | mit Fotos von Pixabay und privat

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gleichberechtigung

Wir haben einen Pfarrer, den Islamrat und eine Oma gefragt, was sie von der Ehe für Alle halten

"Wenn man beginnt, Grenzen aufzulösen, muss man das bis zum Ende denken: Wieso nicht auch mit Tieren oder mit den eigenen Kindern?" – Der Pfarrer.

Wenn der Bundestag tatsächlich am Freitag die Ehe für Alle beschließen sollte, könnte das alte Swinger-Motto bald auch für heiratswillige Paare gelten: Jeder kann, keiner muss.

Wir erinnern uns: In einer Talkrunde der Frauenzeitschrift Brigitte sagte Angela Merkel am Montag zur Ehe für Alle, sie wünsche sich eine Diskussion, die "eher in Richtung einer Gewissensentscheidung geht". Damit meinte sie eine Bundestagsabstimmung ohne Fraktionszwang. Die Abgeordneten müssten sich dann nicht nach ihrer Parteilinie richten, sondern nur nach ihrem Gewissen. Eine Mehrheit für die Ehe für Alle gibt es unter den Mitgliedern des Bundestags längst, in der Bevölkerung sowieso.

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Aber was sagen eigentlich die Gralshüter der Traditon zur Ehe für Alle? Als Vertreter der beiden größten Religionen in Deutschland haben wir einen Priester und den Vorsitzenden des Islamrats dazu befragt – und außerdem die höchste moralische Instanz von allen: eine Oma.

Christian Schmitt, 51, ist katholischer Pfarrer im Bistum Münster

Foto: Privat

VICE: Wie diskutieren die Gläubigen in den katholischen Gemeinden die Ehe für Alle?
Christian Schmitt: Bis jetzt sehr wenig, es war ja bis zum Interview mit der Bundeskanzlerin auch kein wirkliches Thema. Dass wir wohl am Freitag schon das entsprechende Gesetz haben, finden ungefähr 80 Prozent der Bevölkerung ganz gut. Vielleicht sind es unter Katholiken nur 70 Prozent, aber jedenfalls die Mehrheit, so mein Eindruck. Aber in der Bibel steht: Die Ehe ist eine Gemeinschaft zwischen Mann und Frau.

Aber vor Gott sind doch alle Menschen gleich. Gilt das nicht für die Ehe?
Das kommt drauf an, wie Sie die Ehe verstehen. Wenn Sie sie nicht als eine Verbindung zwischen Mann und Frau verstehen, was man ja auch kann, dann können Sie das als Diskriminierung sehen, zum Beispiel von homosexuellen Menschen. Das kann ich nachvollziehen. Ich würde aber den entscheidenden Unterschied darin sehen, dass jeder Mensch sich auf der Erde einer heterosexuellen Verbindung verdankt. Selbst wenn die Zeugung im Reagenzglas stattgefunden hat. Diesen Unterschied halte ich für so fundamental, dass er eine Unterscheidung rechtfertigt. Und deshalb würde ich nicht von einer Diskriminierung sprechen, sondern einfach von einer gerechtfertigten Unterscheidung.

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Das heißt, homosexuelle Paare und heterosexuelle sind aus ihrer Sicht nicht gleichwertig?
Ich würde eben sagen, es ist nicht gleichwertig, wegen der Nachkommenschaft. Außerdem muss man sich, wenn man "Ehe für Alle" sagt, rein logisch die Frage gefallen lassen, wieso denn nur zwei? Warum nicht auch drei oder vier Partner? Und wieso nicht auch ein Mann mit zwei Frauen oder umgekehrt? Warum nicht auch ein mormonisches oder muslimisches Verständnis von Ehe? Wenn man beginnt, diese Grenzen aufzulösen, muss man das auch systematisch bis zum Ende denken. Und wieso nur mit Menschen und nicht auch mit Tieren oder mit den eigenen Kindern?


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Sie fürchten Ehe mit Tieren und Inzest und wollen deswegen alles lassen, wie es ist?
Wenn Sie die Ehe nicht mehr an Monogamie und Mann und Frau binden und das klassische
Verständnis der christlichen Ehe auflösen, dann müssen Sie sich diese Fragen auch gefallen lassen. Ich halte es für die Gesellschaft auf die Dauer für schädlich, weil es die besondere Verbindung zwischen Mann und Frau mit ihrer Verantwortung für Kinder relativiert. Ich habe dabei den Schutz der Kinder vor Augen und die Erhaltung der menschlichen Gesellschaft. Darf sich die CDU noch christlich nennen, wenn sie die Ehe für Alle nicht verhindert?
Es gibt ja auch unter Christen verschiedene Bekenntnisse und innerhalb dieser verschiedene Perspektiven. Ich kann mir auch vorstellen, dass unter dem Gesichtspunkt politischer Opportunität das jetzt auch einfach in unserer Gesellschaft dran ist. Ich halte es zwar für schädlich, aber in unserer Gesellschaft für nahezu unvermeidlich. Ich verteidige die Meinungsfreiheit, auch wenn ich mit den Resultaten nicht immer einverstanden bin.

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Burhan Kesici, 44, ist Vorsitzender des Islamrats

Foto: Privat

VICE: Wie wird die Ehe im Islam beschrieben?
Burhan Kesici: Eine Ehe ist eine Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau, mit der Absicht, ein Leben lang zusammen zu leben und wenn möglich auch Kinder zu bekommen. Alles andere ist aus islamischer Sicht nicht in Ordnung. Aber selbstverständlich respektieren wir als Muslime den Diskurs in Deutschland und verfolgen ihn interessiert.

Sorgen Sie sich, dass weniger Kinder geboren werden, wenn jeder heiraten darf?
Wenn man eine Ehe für Alle hat, wird die Ehe zwischen Mann und Frau geschwächt bzw. erhält sie einen anderen Status und das ist bedauerlich. Insbesondere weil die Gesellschaft altert und junge Leute fehlen, sollte man die Ehe, aus der auch Kinder hervorgehen können, unter besonderen Schutz stellen.

Finden Sie das nicht diskriminierend gegenüber Homosexuellen?
Vielleicht kann man das ja auch in einer anderen Form regeln. Die Ehe, von der wir reden, gilt seit Jahrhunderten zwischen Mann und Frau. Wenn dem nicht so ist, könnte man sie ja als etwas anderes bezeichnen. Aber das müsste man gesellschaftlich diskutieren.

Müssen Muslime so wie im Christentum Kinder zeugen, wenn sie können?
Das gibt es so nicht, aber der Prophet hat gesagt, dass er es gutheißt, wenn sich die Menschen vermehren. Aber eine Ehe ist auch dann legitim, wenn es keine Kinder gibt. Es gibt ja auch viele Menschen, die einfach nicht in der Lage sind, Kinder zu zeugen. Auch Geschlechtsverkehr, bei dem man sich schützt, um keine Kinder zu bekommen, ist im Islam legitim. Wir sind da schon einen Schritt weiter.

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Angenommen, zwei gleichgeschlechtliche Muslime würden heiraten wollen: Wären sie dann noch Muslime?
Das sind besondere Phänomene und ich muss gestehen, dass es für diesen Fall keine Grundlagen gibt, wie man da urteilen sollte. Aber wie gesagt: Im Islam ist das nicht gestattet.

Inge, 75, ist verheiratet, hat zwei Enkelinnen (30 und 31). Im August kommt ihr erster Urenkel zur Welt

Foto: Rebecca Baden

VICE: Wie erleben Sie die Diskussion um die Ehe für Alle?
Inge: Ich freue mich, den positiven Wandel mitzuerleben. Ich lese viel darüber in den Medien, zu Hause diskutieren wir nicht darüber. In unserer Familie ist es Konsens, dass jeder das machen soll, was er will, und die gleichen Rechte haben sollte. Dazu gehört auch die Ehe.

Und was denken Ihre gleichaltrigen Freunde?
Eigentlich ist das kein Thema, über das wir uns unterhalten. Für uns ist das normal. Ich habe auch Freunde in meinem Alter, die homosexuell sind.

Wird heutzutage anders über die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren gesprochen als früher?
In meinem Umfeld nicht. Wir stehen dem alle schon immer aufgeschlossen gegenüber – auch wenn ich weiß, dass das nicht die durchschnittliche Meinung meiner Generation ist.

Welche Bedeutung hat die Ehe heute allgemein im Vergleich zu früher?
Sie ist nicht mehr so wichtig. Früher hatte die Ehe einen anderen Stellenwert, die Frau musste sich unterordnen. Ich habe mir gerade ein Buch restaurieren lassen, in dem es um die Rolle der Frau in der Ehe geht. In allen Situationen war sie weniger wert als ihr Mann: in der Sexualität, im Glauben, im Haushalt. Ich freue mich, dass die Gesellschaft sich in der Hinsicht positiv verändert. Das Buch hebe ich auf, um bei der Hochzeit meiner Enkelin daraus vorzulesen – auch wenn trotz Baby keine Hochzeit in Planung ist. Das ist aber auch egal. Wichtig ist, dass sich beide Partner lieben. Egal, in welcher Konstellation.

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