In Pakistan leben 200 Millionen Menschen in Frieden, sagt der Botschafter

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Refugees im Orbit

In Pakistan leben 200 Millionen Menschen in Frieden, sagt der Botschafter

Anlässlich der jüngsten Abschiebungen von acht pakistanischen Flüchtlingen fand Donnerstag Vormittag eine Demonstration vor der pakistanischen Botschaft in Wien statt. Die Flüchtlinge wollten dem Botschafter ihre Protestresolution überreichen.

Anlässlich der jüngsten Abschiebungen von acht pakistanischen Flüchtlingen in ihr Herkunftsland (wir haben gestern berichtet) fand am Donnerstag Vormittag eine Demonstration vor der pakistanischen Botschaft in Wien statt.

10:00 Uhr

Einer der Organisatoren, der nachts als Behindertenbetreuer in einer WG arbeitet, verkauft "Vorwärts", die Zeitung der Sozialistischen Linkspartei. Eine Demonstrantin, die ebenfalls als Behindertenbetreuerin arbeitet, fragt ihre Freundin: "Ist es eigentlich Urinieren in der Öffentlichkeit, wenn ich einen Topf mitnehme?" Ein Polizist erklärt einem Kameramann sehr einleuchtend, dass es durchaus Sinn macht, wenn eine Botschaft die Fenster vergittert hat. "Hätten die alles offen und würden sich jedem präsentieren, wäre das für sie nicht so ideal." Ein altes Ehepaar kommt vorbei und fragt sich selbst rhetorisch: "Was soll der Quatsch hier." Sonst ist alles still.

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10:11 Uhr

Ein Auto mit deutschem Kennzeichen bringt einen der Refugees, die von Anfang an beim Protest dabei waren. Mit ihm kommt auch ein bisschen Demo-Infrastruktur sowie eine Sound-Anlage. Die ersten Transparente und Megafone tauchen auf.

10:15 Uhr

Die Anzahl der Demonstranten hat sich verdoppelt, rund 20 Personen begrüßen Mitarbeiter der Botschaft mit "Good Morning!", als sich Köpfe hinter den Fenstern zeigen. Ebenso viele überlegen, wie man die Sound-Anlage bedient. Einige Transparente mit dem Aufdruck: "Mikl Leitner—Blut klebt an ihren Händen" werden hochgehalten, auch wenn Mikl-Leitner nicht in der Botschaft anwesend ist.

10:17 Uhr

Erste Durchsagen. Pakistan sei kein sicheres Land, in dem man sich frei bewegen kann. Der Vorwurf der Schlepperei sei lächerlich. Der Geheimdienst kooperiere mit den Taliban. Die Flüchtlinge seien genau deshalb besonders gefährdet.

10:25 Uhr

Der Sprecher (aka Behindertenbetreuer aka "Vorwärts-Verkäufer) erklärt, die Botschaft verdiene Unmengen mit den für die Immigration motwendigen Heimreisezertifikate. Der Stromgenerator wird angeworfen. Refugee Numan beginnt zu sprechen: "Shame on the officers, shame on Pakistan." Und weiter: "We are not afraid of you."

10:29 Uhr

Der Sprechchor "Shame on you!" hallt durch die Hofzeile. Die Botschaftstüren—davor hin und wieder offen, um neugierigen Mitarbeitern den Blick auf die Straße freizugeben—sind jetzt verschlossen. Es folgen Durchsagen in Urdu.

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10:34 Uhr

Ein Paar, das offenbar in die Botschaft will und nur zufällig den Tag der Kundgebung ausgewählt hat, wird ohne Probleme eingelassen. Numan spricht weiter über die Einreise, die Unsicherheit, aber auch über die USA "We have no idea why the United States are in the streets." Er erwähnt auch, dass es Hinweise gäbe, denen nach der scheidende Ministerpräsident Pakistans seine Ehefrau umbringen ließ. Er endet kopfschüttelnd mit "Enough is enough."

10:39 Uhr

Ein Kollege übernimmt. Er erzählt, dass er aus Kashmir kommt, wo immer wieder Studentenaktivisten verschwinden. Wieder branden kurz Shame on you-Chöre auf. Immer wieder betreten Menschen die Botschaft ohne Probleme. Ein Mann liest gemütlich Zeitung, während er auf den Tür-Buzzer wartet.

10:48 Uhr

Vor den Augen der pakistanischen Behörden passiere institutionalisierter Menschenhandel, bei dem Mädchen an reiche Araber verlauft würden, um sich etwa um Kamelrennen zu kümmern, erzählt einer der Refugees. Numan berichtet von weiteren Prostitutions- und Vergewaltigungsfällen. Der Organisator wiederholt die Rede auf Deutsch (er spricht selbst kein Urdu, wie er nachher sagt—die Statements sind soweit vorbereitet und abgesprochen).

10:54 Uhr

Ein kleiner Protestzug mit zwei Transparenten—gegen Mikl-Leitner und gegen Rassismus—blockieren die Straße. Ein Polizist lässt sie kurz positionieren und winkt sie dann gemütlich auf den Gehsteig. Als ein zweiter Polizist die übrigen Demonstranten anhält, den Gehsteig zu benutzen, regt sich ein Drmonstrant auf, warum es nicht möglich sein soll, die Straße zu betreten und auf der Straße zu demonstrieren. Es gibt keine Transparente mit der StVO.

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11:00 Uhr

Vier weitere Polizisten steigen aus ihrem Einsatzbus und positionieren sich so, dass die Demonstranten nicht die Straße blockieren. Gleichzeitig nimmt der zweite Refugee-Sprecher Adalat Khan seinen Platz neben Numan ein. Beide stehen hinter dem Transparent, das gerade mit dem Demozug angekommen ist.

11:10 Uhr

Als nächstes folgt ein Sprecher, der die Unabhängigkeit Pakistans wegen US-amerikanischer Drohneneinsätze in Frage stellt und fragt: "Where is Mr. Ban Ki-Moon?" Und weiter: Warum sollten die Flüchtlinge, die nicht wie der Botschafter über Millionen verfügen, NICHT in Klostern unterkommen dürfen, wenn die Alternative Gefahr, Gefängnis und Tod sind?

Die Sprechchöre werden mehr: "We demand our rights!" und "Shame on you!" wechseln sich ab. Ein Mann in Unterhose und "Tanz die Toleranz" T-Shirt fotografiert die Demo. Er begleitet eine ältere Frau mit Strohhut und umgewickelten Seidentüchern, die ebenfalls Fotos von den Transparenten macht.

11:21 Uhr

Die Botschaftstüre öffnet sich und ein Mitarbeiter filmt, wie um einen Gegenangriff zu starten, mit seinem Smartphone die Demonstration. Ein pakistanischer Demonstrant versucht den Chor "Shame on Pakistani Embassador!" durchzusetzen, bleibt damit aber alleine. Numan bespricht mit einem Kameramann die beste Einstellung des nächsten Shots: von gegenüber, der Botschaftsseite, leicht von links auf das Transparent.

11:26 Uhr

Der Einsatzbus fährt ab, nachdem die Polizisten untereinander besprochen haben, dass die Lage unter Kontrolle ist. Immer mehr verlassen den Gehsteig in Richtung Straße. Zwei Polizisten schreiten mit hinter dem Rücken verschränkten Händen um die Menge und lassen gewähren. Adalat Khan hält die Demonstranten an, sich für de Medien hinter den Transparenten zu positionieren.

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11:35 Uhr

Ein Redner wettert gegen die Botschaftsmitarbeiter, die nur Videos mit ihren Smartphones machen und zählt eine Reihe von Marken und Modellen auf, die zeigen sollen, "that they don't care about the poor." Mein iPhone 5, auf dem ich diesen Beitrag schreibe und alle hier versammelten Fotos gemacht habe, ist ebenfalls unter den Instrumenten der Ignoranz.

Weiter geht es mit der Klassenrede gegen Mikl-Leitner und österreichische Bälle, Sekt und Würstel (hier habe ich den Faden verloren, obwohl ich denke, es ging vielleicht speziell um den Nobel-Würstelstand, der jedes Jahr nach dem Opernball zum Bonzen-Hotspot wird).

"My embassy is not with me, but my God is with me! I am Muslim!" Und: "These people with me are not Muslim, they have their own faith, yet they are with me to show you (dem Botschafter, Anm.), that we are not just bullshit Pakistanis." Beifall. Zwei junge Männer von der Sozialistischen Linkspartei sagen "Der ist gut" und "Den kenn ich noch gar nicht."

11:45 Uhr

Durchsagen auf Urdu, direkt an den Botschafter. Ein Auto fährt ziemlich rasant aus einer Parkgarage, vor der Demonstranten stehen. Ein Polizist schimpft mit den Demonstranten auf den Fahrer. Viele sitzen inzwischen wieder am Straßenrand, schauen auf ihre Handys und schalten sich erst zum Applaus wieder ein.

11:57 Uhr

Einer der Sprecher fordert, dass eine kleine Delegation herauskommt, um ihr eine Protestresolution zu übergeben. Die Sozialistische Linkspartei berichtet von den gestrigen Demonstrationen. "Fakt ist, dass die Medien aufs Grauslichste gegen uns hetzen. Wir sind zu wenige. Wir haben es mit einem übermächtigen Feind zu tun. Die Medienhetze ist massiv. Aber wir müssen es irgendwie schaffen, entgegen der Medienhetze klarzustellen, dass wir recht haben." Der Weg dorthin führe über die Gewerkschaften. Weil Medienhetze. Endenwollender Applaus.

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12:06 Uhr

Ein Sprecher sagt, er habe von einer Kontrolle in der Billrothstraße gehört, die zum Glück aber gut gegangen sei. Trotzdem sollte der Protestzug später geschlossen und schnellen Schrittes zum Servitenkloster zurückgehen. Eine weitere Demo für Dienstag sei bereits angesetzt. Jeder solle so viel Propaganda wie möglich betreiben.

Numan hält die Resolution hoch und verlangt nach Vertretern der Botschaft. Gemeinsam mit Adalat Khan und anderen Refugees tritt er an die Botschaftstür. Einer der pakistanischen Protest-Sprecher rät dringend davon ab.

12:10 Uhr

Dann geht die Türe auf. Der Botschafter tritt in den Türstock. Er spricht mit Adalat Khan. Die Chöre "Let them in!" werden lauter. Anschließend sagt ein Sprecher: "Wir haben gerade gehört, dass ein Betreten den Flüchtlingen eher nicht zu raten wäre, weil es sich bei der Botschaft auch um pakistanischen Boden handelt. Deshalb werden wir das auch nicht mehr fordern." Die Chöre verstummen.

Adalat Khan fasst die Aussage des Botschafters so zusammen: "200 million people live here peacefully." (In Pakistan, nicht der Botschaft.) Dieses Argument ist nicht neu, auch wenn es faktisch in jedem Fall falsch ist (Pakistan hat nur knapp 180 Millionen Einwohner). Immer wieder wird Pakistan von den Befürwortern der dortigen Politik als sicherstes Land der Welt bezeichnet. Neu ist vielleicht die Süffisanz gegenüber Kriegs-, Attentats- und sonstigen Bombenopfern, die hier mitschwingt.

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Dann darf auch die Frau mit Strohhut reden. Ihren Quellen zufolge ist der Botschafter nicht hier, sondern seit Monaten auf Urlaub. "Mikl-Leitner has made a deal. It's the same deal as 70 years before. Please, help stop this."

12:27 Uhr

Der Abzug wird angekündigt. Die Demo löst sich auf: "So, jetzt gemeinsam nachhause gehen." Das durchdringende Geräusch des Stromgenerators setzt aus. Die Gespräche werden leiser. Zum Schlag der Kirchenglocken um 12:30 Uhr sind die Transparente bereits alle verstaut und die Straßen wieder leer.

Danach

Was bleibt? Bestimmt ein paar Artefakte wie Bilder und Videos in den Medien - egal, ob diese nun wohlwollend oder verhetzend eingesetzt werden. Das Refugee Protest Camp Vienna existiert inzwischen so lange, dass sich eine richtige Protestkultur entwickeln konnte. Viele Gegner mögen die Professionalität, mit der hier inszeniert wird, als Kritikpunkt sehen, so als dürfte ernstgemeinter, ehrlicher Widerstand niemals so aalglatt und medienbewusst ablaufen, wie ALLE ANDEREN DINGE IM LEBEN—aber das liegt nur daran, dass bis zu eben diesem Protestcamp die Kultur rund um den Widerstand in Österreich in Trümmern lag.

Ich finde das alles schlimmstenfalls ungewohnt, aber keinen Moment lang verdächtig. Das Problem liegt ganz woanders. Wenn eine Demo wie die heutige etwas beweist, dann vor allem, dass Demos im alten, analogen Straßenschlacht-Sinn keinen Sinn mehr machen und keine Regung hervorrufen. Während die Demonstranten und Flüchtlinge professioneller wurden, haben auch die Botschafter und Staatsvertreter zugesehen. Inzwischen prallen hier bestenfalls vorbereitete Statements aufeinander.

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Am schwierigsten ist natürlich immer die Frage, wie man es anders und was genau man besser machen könnte. Ich will nicht so tun, als hätte ich die Antwort, immerhin bin ich nur Zaungast. Ich will aber auch nicht so tun, als sollte man die Frage deshalb nicht stellen. Das würde nämlich all jenen schaden, die nicht nur Zaungäste sind.

Markus auf Twitter: @wurstzombie

Hier haben wir für euch die Ereignisse der letzten Tage nochmals zusammengefasst.

Hier findet ihr einen Gastkommentar, der meint, dass Polizeigewalt anders aussieht, als man es beim Zusammenstoß eines Polizisten und einer Frau gesehen hat.

Und hier lest ihr mehr über die Refugees im Orbit.