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Wir haben mit österreichischen Slawen gesprochen, die die FPÖ wählen

Obwohl sie hier selbst Migranten sind, unterstützen ein paar Slawen Norbert Hofer und die FPÖ.

Foto: Jonas MF | Flickr | CC 2.0

"Die Migranten können nicht integriert werden, es ist einfach unmöglich", sagte Robert Fico am Anfang dieses Jahres. Fico ist der Premierminister der Slowakei—einem Land, das sich von Anfang von an gegen die Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen gestellt hat. Die Slowakei ist auch das Land, das die EU zusammen mit Ungarn angezeigt hat, weil beide die Aufteilungsquote der EU für Flüchtlinge nicht akzeptieren wollen.

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Was Fico da sagte, höre ich nicht nur von offizieller Seite oft, sondern auch von vielen anderen Slowaken. Von solchen, die hier in Österreich leben genauso wie von denen in meinem Heimatland. Und nicht nur von Slowaken: Ich habe polnische und tschechische Freunde und Bekannte, die selbst emigriert sind und dennoch jederzeit die FPÖ wählen würden—oder es in einigen Fällen auch tun. Alle drei oben genannten Länder, haben einen scharfen Ton im Umgang mit der Flüchtlingskrise.

Wie sehr sich die benachbarten Slawen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen wehren, merke ich vor allem bei meinen Heimatbesuchen: In Krompachy, einem kleinen Ort im Osten der Slowakei, werde ich ständig gefragt, wie es ist, mit Terroristen in derselben Stadt zu wohnen. Wenn ich Zeitungen wie NOVÝ ČAS aufschlage, merke ich, welche Sprache verwendet wird, um von den Anschlägen in Brüssel zu berichten—oder über die Politik Merkels.

Screenshot: NOVÝ ČAS | Übersetzung: Was passiert mit kriminellen Flüchtlingen? Deutschlands Mitleid kennt keine Grenze

Aber warum wehrt man sich hier eigentlich so vehement gegen Flüchtlingshilfe? Zdeno* ist einer der vier österreichischen Slawen, die mit mir über ihre Nähe zur FPÖ sprechen. "Weil wir Slawen wissen, wie sehr Integration schiefgehen kann. Man braucht sich nur in Tschechien am Land umzusehen". Damit meint er vor allem Roma—die größte Migrationsgruppe in Tschechien und die zweitgrößte in der Slowakei. Die Integrationsmaßnahmen verschiedener Regierungen sind gescheitert— Roma leben in Siedlungen am Rande der Orte und bleiben meist unter sich.

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Lenka* ist aus der Slowakei und wohnt seit über zehn Jahren in Österreich. Beim Thema Roma redet sie sich in Rage: "Die Slowakei hat ihnen sogar Wohnungen gebaut. Schau dir Lunik 8 in Kosice an." Alle vier Befragten kommen eher früher als später auf Roma zu sprechen. Zwei von ihnen haben einen starken slawischen Akzent, wenn sie Deutsch sprechen.

Lunik 8 | Foto: Lester Kovac | Wikimedia Commons | Creative Commons

Lenka gibt mir gegenüber ein paar weitverbreitete Vorurteile wieder—die Roma würden nicht arbeiten, aber klauen, nicht in die Schule gehen und ihre ersten Kinder schon mit 13 bekommen. Das alles sind gefühlte Wahrheiten—eine wirkliche Statistik gibt es dazu nicht. Trotzdem ist man sich seiner Sache sicher. "Kurz gesagt: Ihre Kultur ist mit unseren Werten nicht vereinbar. Und daran zerbrechen alle umgebenden slawischen Staaten, nicht nur im Moment, sondern schon mehrere Jahrzehnte."

Dr. Prof. Girtler von der Universität Wien sieht das etwas anders: "Zu Roma und Sinti war schon die Maria Theresia entsetzlich. " Vier Verordnungen zwischen 1759 und 1773 entzogen den Roma die Gerichtsbarkeit, die Eheschließung und unter anderem auch den Besitz von Pferden und Kutschen. Außerdem gab es 24 Stockschläge für die Verwendung der "Zigeunersprache". Ihr Sohn führte dieses Regime fort.

Lenka studiert Medizin in Österreich. Sie wählt auch hier—und zwar die FPÖ. Im Fall der Bundespräsidentschaftswahl stimmte sie für Norbert Hofer; in der Hoffnung, dadurch eine ähnlich rigorose Flüchtlingspolitik wie die in der Slowakei zu bekommen. Sie sagt, ihr sei Österreich eben wichtig und sie wolle in ihrer Wahlheimat nicht dieselben Probleme wie zuhause erleben.

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Das Schlimmste an ihren Vorurteilen war aber, dass ich mich dabei ertappte, wie mich ihre Meinung an mein früheres Ich erinnerten. Als Kind hatte ich Angst vor Roma und Sinti—der Rassismus in meinem slowakischen Umfeld hätte kaum alltäglicher sein können. Ein Roma ist arbeitsunwillig, gewalttätig und böse; außerdem raubt er und isst kleine Kinder.

Während ich aufwuchs, zog sich dieses Bild durch alle slowakischen Gesellschaftsschichten—und genau dieses Bild ist es auch, dem ich heute bei allen Slawen wieder begegne, mit denen ich über Norbert Hofer und die FPÖ spreche. Kaum jemand schämt sich in meiner Heimat für diese Aussagen.

Selbst mein liberales slawisches Umfeld vermutet darin den gemeinsamen Nenner zwischen Rechtswählern, die aus dem slawischen Raum zugewandert sind, und der FPÖ.

Lest hier, warum die FPÖ antifeministisch ist.

Die liberalen Gegenstimmen sind leise und in der Unterzahl—aber auch sie wachsen. Zum Beispiel widmet die Tageszeitung SME den Roma und Sinti eine eigene Rubrik und es entstehen langsam Institutionen für ein menschliches Miteinander. Die EU hat laut der Presse zwischen 2000 und 2005 insgesamt 72 Millionen Euro für Roma-Projekte bereitgestellt—allerdings mit geringer Wirkung, so die Kritik. Ob Roma das Geld tatsächlich gesehen haben, sei außerdem fraglich.

Dabei war die Ausrichtung nach rechts in den slawischen Ländern nicht immer gleich prominent, wie mir Univ.-Prof. Dr. Segert von der Universität Wien erklärt. "Es gab zwar nach 1989 eine Zeitlang keine positive Stimmung gegenüber linker Politik, weil der Staatssozialismus, der sich selbst als linkes Projekt verstanden hatte, in Osteuropa krachend gescheitert ist", sagt der Experte.

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In den späten 90er- und 00er-Jahren wurden aber sehr wohl sozialdemokratische Parteien gewählt—auch wenn diese nur bedingt authentisch-linke Politik betrieben haben. "Diese linken Parteien wurden in Polen 2005 abgewählt und sind heute gar nicht mehr wahrnehmbar. In Tschechien verlor die Sozialdemokratie an Einfluss, in der Slowakei kamen bei den letzten Wahlen mehrere rechte bis rechtsextreme Parteien ins Parlament. Warum das so ist, unterliegt natürlich der Interpretation."

Man kann sie nicht zum Umdenken bewegen, weil sie nicht wollen.

Eine Absurdität, auf die mich Univ.-Prof.Dr. Segert hinweist: "Die Tschechen wehren sich gegen die Zuweisung von Moslems, haben aber nichts gegen die Zuweisung von Christen aus dem Irak—so ihre Argumentation. Mich verwundert, warum sie so christenaffin argumentieren, wo doch die Christen in der tschechischen Gesellschaft selbst nur eine Minderheit von vielleicht einem Drittel der Bevölkerung sind. Zwei Drittel sind überhaupt indifferent gegenüber jeder Religion oder sogar Atheisten."

Miro ist ein Angestellter mit tschechischen Wurzeln, der in Österreich geboren wurde. Ich habe ihn gefragt, woran es in Tschechien mit den Roma und Sinti scheitert: "Man kann sie nicht zum Umdenken bewegen, weil sie nicht wollen. Das wäre mir auch egal, wenn sie nicht jeden Sommer den Wachhund oder die Katze meiner Familie klauen würden, um ihn zu kochen und wenn sie meine Schwester am Heimweg nicht vergewaltigt und geschlagen hätten." Ob das, was Miro mir sagt, wirklich stimmt, kann ich nicht nachprüfen. Aber um Fakten scheint es ohnehin nicht zu gehen.

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Konrad, Suzanna und ich sind links, liberal und Slawen—aber jeder von uns kennt fragwürdige politische Ansichten aus der eigenen Verwandtschaft. Wenn unser Premierminister Ansprüche bezüglich der Religion der Flüchtlinge in unserem Ursprungsland stellt, applaudieren die meisten Slawen. Auch in unseren Familien. "Wahrscheinlich denken sie, sie haben mehr Recht auf Migration, weil sie aus EU-Staaten sind", vermutet Konrad.

Mit "sie" meint er Slawen, die gegen Flüchtlinge, Türken und Roma hetzen. Auch Suzanna denkt ähnlich: "Freunde von meinen Eltern wählen blau—obwohl sie zusammen nach Österreich gekommen sind. Sie würden zuhause Fico wählen. Hier sind es eben Strache oder Hofer. Die Partei betont ja, dass sie integrierte Ausländer OK findet. Sie halten sich eben für besser integriert."

Meine Freunde und ich fragen uns oft, ob die Integration in unseren Ursprungsländern nicht an den Einwohnern und ihrer Einstellung gegen die Roma und Sinti scheitert. David, ein 30-jähriger Pole, antwortet mir auf die Frage, ob er bereit wäre, etwas für die Integration zu tun: "Ich würde niemals einen Roma anstellen. Oder nur in seine Nähe ziehen." David betont auch, dass es eben Kulturen gibt, die nicht zu unserer passen würden: "Augen verschließen endet nur so wie in Polen mit den Siedlungen. Hier sind es eben Ghettos."

Vielleicht kommen sie mit einer offeneren, liberalen und vielseitigen Gesellschaft nicht zurecht

Aber auch die politische und kommunistische Vergangenheit könnte eine Rolle spielen. Der "guten, alten Zeit" weinen selbst einige unserer Familienmitglieder nach: einer Zeit, in der es wohlgemerkt keine Demokratie gab. Unsere Großeltern und zum Teil auch noch unsere Eltern glorifizieren diese jüngere Vergangenheit und schwärmen von den niedrigen Arbeitslosenquoten.

Dass der Kommunismus politische Gegner und Andersdenkende genauso grausam bestraft hat wie zum Beispiel Kirchen-Geher, enteignet und teilweise umgebracht hat, kommt in ihrer Version der Vergangenheit nicht vor. "Vielleicht kommen sie mit einer offeneren, liberalen und vielseitigen Gesellschaft nicht zurecht. Für mich klingt das einleuchtend", pflichtet mir Suzanna bei. Schlussendlich erinnert die FPÖ mit ihren Slogans ebenfalls an die "alte Zeit"—klare Aussagen gegen Menschengruppen, der Wunsch nach einem EU-Austritt und die Wahrung von "traditionellen Werten" können eben auch verbinden—nicht jeden mit jedem, aber immerhin die FPÖ, unsere Familien und die von mir befragten Slawen.