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Alle berauschenden Substanzen zu verbieten, ist eine ziemlich schlechte Idee

Wo genau liegt eigentlich das Problem, wenn Menschen sich ein bisschen wohler fühlen?

Eine Person hält eine "Legal High"-Pille, 26. Februar 2015 in Manchester, England | Foto-Illustration von Christopher Furlong/Getty Images)

Letzten Monat wurde der Verkauf so gut wie jeder berauschenden Substanz in Großbritannien verboten. Ausnahmen hat der Gesetzgeber für Alkohol, Tabak, Koffein, traditionelle Lebensmittel wie Gewürze und verschreibungspflichtige Medikamente eingeräumt. Das Pauschalverbot psychoaktiver Substanzen soll wohl das Wettrüsten zwischen Prohibitions-Befürwortern und Schwarzmarkt-Chemikern unterbinden, die neue "Legal Highs" kreieren, sobald eine Sorte verboten ist.

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Stattdessen veranschaulicht das neue Verbot aber lediglich, wie unlogisch weltweite Drogengesetze und die religiös begründeten Moralvorstellungen, die ihnen zugrunde liegen, eigentlich sind. Wenn wir bessere Gesetze wollen, müssen wir verstehen, warum dieser Ansatz unmöglich funktionieren kann, und inwiefern er in einer puritanischen Strömung der westlichen Kultur verankert ist.

Als Irland 2010 ein ähnliches Gesetz verabschiedete, mussten viele Headshops und Online-Shops schließen. Doch anscheinend hat das Gesetz weder den Konsum der gefährlichen, ehemals legalen Highs oder die Zahl der damit verbundenen Todesfälle verringert. Stattdessen hat sich der Markt auf das Dark Web verlagert. Mithilfe des Gesetzes Verurteilungen zu erreichen, hat sich ebenfalls als extrem schwierig herausgestellt.

In den USA gibt es seit Langem ein Gesetz gegen "Analogdrogen", das versucht, präventiv alle Substanzen zu verbieten, die bereits existenten, verbotenen Drogen ähneln. Auch hier hat sich die Strafverfolgung als sehr kompliziert erwiesen, weswegen der Kongress unter anderem schon Anhörungen zu K2 (auch bekannt als "Spice") gehalten hat. Anders als bei Marihuana sind bei Spice tatsächlich seltsame und sogar gefährliche Nebenwirkungen bekannt; die letzte Anhörung zu dem Thema fand diesen Dienstag vor dem Justizausschuss des Senats statt.

Sie gehen davon aus, dass ein Wohlgefühl schon einen Schaden darstellt—nicht gerade die Standardperspektive, die säkulare Regierungsvertreter in einer kapitalistischen Gesellschaft einnehmen.

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Bleibt nur zu hoffen, dass sich die USA nicht an den neuen britischen Gesetzen orientieren. Wie der britische Psychologe Vaughan Bell im Guardian schrieb: "[Die Regierung] tut so, als würde eine der schwierigsten Fragen der Neurowissenschaft—und eines der größten Mysterien des Bewusstseins—sie einfach nicht betreffen."

Das Problem ist, dass sich nur extrem schwer überhaupt sagen lässt, ab wann man eigentlich von "berauschen" sprechen kann und ab wann eine Substanz eigentlich "psychoaktiv" ist. Sobald wir versuchen, ein bisschen genauer zu werden, wird deutlich, dass die Wahrnehmung eines "Highs" untrennbar mit Werten und Kultur verbunden ist und nicht mit harter Wissenschaft. Die vordergründig albern klingenden Überlegungen zu ihrem geistigen Zustand und dem Wesen der Realität, denen Kiffer dem Klischee zufolge nachhängen, spiegeln ein überraschend hartnäckiges philosophisches Problem wieder.

Das neue britische Gesetz definiert eine Substanz als psychoaktiv, wenn sie "sich durch die Stimulation oder Unterdrückung des zentralen Nervensystems auf die geistige Funktionsweise oder den Gefühlszustand einer Person auswirkt". Die strafrechtliche Verfolgung soll wie in den USA darauf basieren, ob ähnliche Substanzen legal sind, und traditionelle Lebensmittel sind davon ausgenommen.

Doch diese breite Definition gefährdet potentiell sogar Floristinnen und Verkäufer von Räucherwerk: Gerüche können die Stimmung ändern, und das tun sie, indem sie sich aufs Gehirn auswirken. Auch sollen laut kürzlich erschienenen offiziellen Richtlinien britische Supermarktangestellte nun ungepflegte junge Männer (ihr wisst schon: von der Sorte, die sich mit Lachgas berauscht) davon abhalten, mit einer Tüte voll Schlagsahnedosen den Laden zu verlassen, während sie die Dosen unschuldiger wirkender Kunden abkassieren.

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Köchin Claire Phelan schmecken solche Gesetze sicher nicht: Lies im MUNCHIES-Interview, wie Claire mit Stimmungsaufheller-Essen Kummer vertreibt

Was hier allerdings völlig fehlt, ist jeglicher Versuch festzustellen, ob eine Substanz überhaupt schädlich ist: Pauschalverbote aller psychoaktiven Substanzen gehen schlicht davon aus, dass ein chemisch erzeugtes Wohlgefühl prinzipiell zwielichtig ist, ob daraus nun Risiken für die Gesundheit entstehen oder nicht.

Craig Reinarman ist Soziologieprofessor an der University of California in Santa Cruz und Mitautor von Expanding Addiction: Critical Essays. Er beschreibt, wie die meisten bisherigen Drogengesetze eingeführt wurden, nachdem man Ängste vor bestimmten Bevölkerungsgruppen und ihrem angeblichen Konsum der als gefährlich verschrienen Substanz geschürt hatte. VICE gegenüber sagte er: "In diesem Fall sagen sie noch deutlicher als sonst: 'Wir wollen nicht, dass irgendjemand Spaß hat.' Es ist so gesehen also etwas direkter als das, was man zum Beispiel aus dem UN-Büro zur Drogenbekämpfung in Wien hört."

Diese Gesetze gehen davon aus, dass ein leicht verdientes Wohlgefühl an sich schon einen Schaden darstellt—und das ist nicht gerade die Standardperspektive, die säkulare Regierungsvertreter in einer kapitalistischen Gesellschaft einnehmen. In jedem anderen Bereich drängen Werbeleute und Marketing-Experten die Menschen dazu, sich etwas zu gönnen, zu konsumieren. Doch wenn eine psychoaktive Substanz nicht zufällig eine lange Tradition als Genussmittel bei europäischen Kolonialisten hat, dann gilt sie automatisch als gefährlich.

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Reinarman sagt, wenn man die Vorstellung, dass jegliche Bewusstseinsveränderung schlecht sei, konsequent verfolge, müsse man Meditation, Musik, Kunst, Tanzen, Sex, Sport und Freizeitparks verbieten. Diese Liste—deren Bestandteile im Laufe der Jahre alle schon von diversen religiösen Fundamentalisten angegriffen worden sind—verdeutlicht, dass das Konzept der "Psychoaktivität" eher ein spirituelles als ein wissenschaftlich messbares ist.

Und was, wenn wir versuchen, potentiell problematische Substanzen anhand ihrer pharmakologischen Einwirkung aufs Gehirn einzuordnen? Auch hier hilft uns die Wissenschaft nicht wirklich weiter.

David Nichols, emeritierter Pharmakologie-Professor an der Purdue University, war der erste, der einige der Chemikalien, die als "Legal Highs" vermarktet worden sind, synthetisierte. Wie er im Mai vor dem US-Kongress aussagte: "Niemand kann das Potential eines neuen, noch nicht getesteten Moleküls vorhersagen. Es könnte sich ähnlich wie andere Strukturen auf den Menschen auswirken, es könnte eine völlig neue Wirkung haben, oder es könnte komplett inaktiv sein." Er fügt hinzu, dass bei LSD zum Beispiel nur ein einziges Molekül geändert werden muss, damit die Droge keinerlei Wirkung mehr zeigt, während bei Morphium eine kleine strukturelle Anpassung ein Gegenmittel gegen Morphium erzeugt.

Man kann diese Dinge erst wissen, wenn man es ausprobiert.

Es ist Zeit, dass wir aufhören, uns bei der Frage, was Menschen konsumieren dürfen, versteckten Moralvorstellungen zu unterwerfen.

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Nichols macht sich Sorgen, welche Auswirkungen solche Verbote auf die Medizin haben könnten. "Es werden oft glückliche Entdeckungen gemacht, weil jemand eine Substanz 'missbraucht' hat", sagte er mir. "Inzwischen werden Beweise erbracht, dass Psilocybin [am besten als der Wirkstoff in "Magic Mushrooms" bekannt] effektiv zur Behandlung von Depressionen, Angstgefühlen und gewissen Abhängigkeiten eingesetzt werden kann. Es gibt viele andere Drogen, die eine ähnliche Wirkung haben wie Psilocybin, und vielleicht wirken manche davon noch besser. Wir werden es vielleicht niemals erfahren."

Nichols sagt, sein Sohn, ebenfalls Professor, habe versehentlich entdeckt, dass eine psychedelische Substanz ein sehr effektiver Entzündungshemmer sei, der vielleicht sogar Asthma blockieren könne. Er konnte die Verbindung allerdings nur erforschen, weil man sie nicht verboten hatte.

Der bürokratische Prozess, den man durchlaufen muss, um illegale Substanzen zu erforschen, ist überall beschwerlich, und manchmal müssen Hunderte Substanzen getestet werden, um zu sehen, welche davon hilft. Doch für jede Droge, die verboten ist, braucht es eine eigene Lizenz, und die Behörden müssen im Voraus darüber informiert werden, was die Forscher zu tun gedenken. Da Wissenschaftlicher oft vorher nicht wissen, was sie feststellen werden, halten solche Vorgaben sie davon ab, überhaupt erst mit diesen Substanzen zu arbeiten. So könnte es sein, dass uns Heilmittel für Alzheimer oder das Zika-Virus entgehen, und wir es nicht einmal wissen; andere Entdeckungen könnten wir vielleicht auch viel früher machen, als es so der Fall ist.

Es ist Zeit, dass wir aufhören, uns bei der Frage, was Menschen konsumieren dürfen, versteckten Moralvorstellungen zu unterwerfen. Leute, die sich berauschen wollen, werden immer einen Weg finden. Manche Teenager in den USA, aber auch in Deutschland und Österreich, haben anscheinend angefangen, dass potentiell tödliche "Würgespiel" zu spielen, um ihren Bewusstseinszustand zu verändern—das mag legal sein, doch es ist viel gefährlicher als Gras.

Drogengesetze sollten sich nach den potentiellen Gefahren richten, die von einer Substanz ausgehen, und nicht von ihrem Potential, Spaß oder Entspannung zu bereiten. Vergnügen ist kein Gift, und die Themen, über die wir uns wirklich Gedanken machen müssen, sind Sucht, Organschäden, Krankheiten, Enthemmung, eingeschränkte Fahrtüchtigkeit und andere echte Gefahren. Die Politiker sollen sich meinetwegen darum kümmern, "zu viel Spaß" zu verbieten, wenn sie die echten Probleme wie Ungleichheit, Armut und Gewalt besiegt haben.