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Sonderlager für Balkan-Flüchtlinge gibt es jetzt auch in Nordrhein-Westfalen

Nur in Bayern geben Politiker damit an, dass es „Abschiebelager" gibt—unter der Hand wird das Modell aber von anderen Bundesländern kopiert.
Container-Lager für Balkan-Flüchtlinge in München. Foto: Matern Boeselager

Obwohl sie im Behördensprech „Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen" heißen, werden die beiden Sammelzentren für Balkan-Flüchtlinge in Bayern im Alltag treffender „Abschiebelager" genannt. Das scheint die bayerischen Behörden aber nicht zu stören, im Gegenteil: Die CSU will ja den Eindruck erwecken, dass man die Sozialschmarotzer vom Balkan geradezu gnadenlos wieder in die Heimat schickt. Denn wer hier nur arbeiten will, weil er in seinem bettelarmen Heimatland nicht über die Runden kommt, der hat unser Mitleid nicht verdient.

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In Nordrhein-Westfalen ist man da deutlich diskreter. Die Politiker hier lehnen das „bayerische Modell" zwar öffentlich ab—aber suchen trotzdem nach Möglichkeiten, Balkan-Flüchtlinge möglichst schnell und ohne mediales Aufsehen wieder loszuwerden. Das Ergebnis: De facto gibt es auch in Nordrhein-Westfalen Flüchtlingsunterkünfte, in denen vor allem Asylbewerber konzentriert werden, deren Anträge wenig Aussicht auf Erfolg haben.

Eine dieser Einrichtungen ist die Unterkunft im Bonner Stadtteil Bad Godesberg. Auf den ersten Blick ist sie lediglich eine von vielen „Zentralen Unterbringungseinrichtungen" des Bundeslandes. In diesen Massenunterkünften wohnen Flüchtlinge im Normalfall solange, bis sie einer Stadt zugewiesen werden und in kommunale Unterkünfte umziehen.

Für einen Großteil der Asylbewerber in Bad Godesberg ist dies jedoch ihre letzte Adresse in Deutschland. Bis zu zwei Drittel der Bewohner sind hier albanische Staatsbürger, fast alle dürfen nicht in Deutschland bleiben.

„Offensichtlich unbegründet"

Einer von ihnen ist der 25-Jährige Gentian J. Aus Sicht der deutschen Behörden ist sein Fall ganz einfach zu beschreiben: Er kommt aus dem sicheren Herkunftsland Albanien, sein Asylantrag ist somit „offensichtlich unbegründet".

Um das festzustellen, reichte dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Düsseldorf ein kurzes Gespräch—schon eine Stunde später, erzählt Gentian, wurde ihm die Ablehnung seines Antrags mitgeteilt. Dabei, so sagt er, würde er in seiner Heimat tatsächlich politisch verfolgt. „Ich bin Journalist, ich hatte gerade meinen Master-Abschluss gemacht und angefangen, für eine Zeitung zu arbeiten", erzählt er. „Kurz vor der Wahl habe ich über die kriminelle Vergangenheit eines Kandidaten berichtet. Danach wurde ich körperlich angegriffen und immer wieder bedroht. Man hat mir gedroht, mich umzubringen und dass ich nie wieder einen Job bekommen würde."

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Ob diese Geschichte stimmt, ob Gentian tatsächlich politisch verfolgt wird und der albanische Staat ihn vor solchen Angriffen nicht schützt, ist aus der Ferne schwer zu beurteilen. Undenkbar ist es aber nicht. Auf dem Corruption Perception Index von Transparency International liegt Albanien immerhin auf dem 110. Platz—gleichauf mit Äthiopien, und fast 100 Plätze hinter Deutschland. „Die Dokumente, die ich als Beweis mitgebracht habe, haben die gar nicht interessiert", berichtet Gentian. Und er ist nicht der einzige, der diese Erfahrung gemacht hat.

Die Anhörungen von Flüchtlingen aus den sogenannten „sicheren Herkunftsländern" des Westbalkans dauerten in der Regel nur wenige Minuten, erklärt Lina Hüffelmann vom Kölner Flüchtlingsrat. „Eine halbe Stunde später haben sie dann ihre Ablehnung in der Hand. Flüchtlinge berichten immer wieder, dass der Ablehnungsbescheid bei ihrer Anhörung quasi schon als Lückentext auf dem Tisch lag."

„Ich habe Zweifel", sagt sie, „dass das noch ein rechtsstaatliches Verfahren ist." Bund und Länder wollen mit Schnellverfahren das deutsche Asylsystem entlasten. In den vergangenen Monaten waren albanische Asylsuchende teilweise die zweitgrößte Gruppe nach den Syrern—als Flüchtlinge anerkannt wurden aber nur die Wenigsten von ihnen.

Um nicht nur schneller über Anerkennung oder (in den allermeisten Fällen) Ablehnung als Flüchtling zu entscheiden, sondern auch die Aufenthaltsdauer in Deutschland zu verkürzen, hat das Land Nordrhein-Westfalen neben Bonn-Bad Godesberg noch drei weitere Flüchtlingsunterkünfte für „beschleunigte Verfahren" bereitgestellt.

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Nach „bayrischem Modell" soll das aber nicht aussehen—immerhin hatte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger Sonderlager für Balkanflüchtlinge im Juli noch vehement abgelehnt. Flüchtlinge seien in Nordrhein-Westfalen willkommen, sagte er der Rheinischen Postim Sommer. „Den Weg Bayerns beschreiten wir deshalb in NRW nicht."

„Kein bayrisches Modell, sondern Bundespolitik"

„Das ist kein bayrisches oder nordrhein-westfälisches Modell, das ist Bundespolitik", sagt Lina Hüffelmann. Für Asylbewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsländern sei das mit großen Einschränkungen und juristischen Nachteilen verbunden. Für sie bedeute das, „dass sie gar nicht erst in kommunale Unterkünfte kommen. Sie bleiben in Erstaufnahme-Einrichtungen von der Außenwelt abgeschnitten. Kindern können dort auch nicht zur Schule gehen."

Hüffelmann bestätigt auch, was Flüchtlinge in Bad Godesberg berichten: Der Zugang zu Fachärzten sei ein großer Kampf. „Ob Flüchtlinge Ärzte außerhalb der Unterkunft besuchen dürfen, entscheidet ein nicht medizinisch geschulter Mitarbeiter der Bezirksregierung." Auch sei keine ausreichende Asylverfahrensberatung sichergestellt. In der Unterkunft sei dafür eine Person beschäftigt, die für mehr als 600 Bewohner zuständig ist.

Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, sind im November einige albanische Flüchtlinge gemeinsam mit dem Verein „Refugees Welcome Bonn" in der Bundesstadt auf die Straße gegangen. Den Albanern ging es dabei vor allem auch um die Zustände in der Bad Godesberger Unterkunft. Sie erzählen von verdreckten Sanitäranlagen, schimmelnden Duschvorhängen und überbelegten Zimmern.

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„Wir würden ja gerne selber saubermachen, aber wir bekommen nichtmal Putzmaterial", erzählen Gentian und andere Bewohner der Unterkunft. Fotos und Videos, die sie aufgenommen haben, scheinen zumindest einen Teil der Vorwürfe zu bestätigen. Ein offener Brief der Flüchtlingsunterstützer von „Refugees Welcome Bonn" listet noch viele weitere Mängel auf, von denen Bewohner berichten.

Betrieben wird die Unterkunft vom Deutschen Roten Kreuz—die Leiterin der Einrichtung verweist auf Nachfrage von VICE jedoch an die zuständige Bezirksregierung Köln. Ohne deren Genehmigung dürfe sie sich nicht äußern. Bei der Bezirksregierung weist man alle Vorwürfe zurück. Man würde jede Beanstandung grundsätzlich ernst nehmen. Die Mitarbeiter des DRK würden aber täglich alle Zimmer besichtigen und die Bewohner gegebenenfalls dazu auffordern, für Ordnung zu sorgen. Man habe außerdem vollstes Vertrauen in die Leiterin der Einrichtung und ihr Team, heißt es aus der Pressestelle.

„Ich glaube, das ist alles, um Druck auf uns auszuüben", sagt Gentian. „Damit wir ‚freiwillig' ausreisen." „Die Mitarbeiter haben immer wieder alle von uns zusammengerufen, deren Anträge gerade abgelehnt wurden", erzählt er. „Wir mussten uns dann alle in einem Raum versammeln."

Den Gruppen frisch abgelehnter Asylbewerber erklärt ein Mitarbeiter der Bezirksregierung regelmäßig gemeinsam mit einer Dolmetscherin ihre Möglichkeiten: Freiwillige Ausreise oder „zwangsweise Rückführung". VICE liegt eine heimliche Videoaufnahme von einem dieser Beratungsgespräche vor.

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Der Berater preist darin die Vorzüge der freiwilligen Ausreise an. „Sie bekommen dann keine Einreisesperre und können jeder Zeit wieder nach Deutschland einreisen", sagt er. Und weiter: „Mir geht es darum, Ihnen aufzuzeigen, dass es auch für Sie im Gegensatz zu früher eine Möglichkeit gibt, auch zukünftig eventuell in Deutschland arbeiten zu dürfen." Dazu müssten sie nur freiwillig ausreisen und dann mit einem Arbeitsvisum zurückkommen.

So einfach wie der Mitarbeiter der Bezirksregierung es klingen lässt, ist das aber nicht: „Theoretisch gibt es zwar die Möglichkeit, von Albanien aus ein Arbeitsvisum zu beantragen. In der Realität ist die Chance für die allermeisten Leute aber verschwindend gering", sagt Lina Hüffelmann vom Kölner Flüchtlingsrat.

Diese Gespräche sollen die angelehnten Asylbewerber über ihre Möglichkeiten aufklären. Viele Bewohner der Unterkunft nehmen sie aber vor allem als Druckmittel war. „Wir sollten uns direkt entscheiden, ob wir für unsere ‚freiwillige Ausreise' unterschreiben. Wir hatten nichtmal Zeit, uns das zu überlegen", erzählt Gentian. Er hat unterschrieben. Auch Kristian, der mit seiner schwangeren Frau und seinen drei Kindern nach Deutschland gekommen ist, hat sich dafür entschieden. „Ich kann hier nicht länger bleiben, sogar in einem Gefängnis wäre es wahrscheinlich besser", sagt er.

Diejenigen, die sich gegen die „freiwillige Ausreise" entscheiden, werden in Sammelabschiebungen zurück nach Albanien gebracht. Nur wenige Tage nach der Flüchtlingsdemonstration im November wurden die Bewohner der Bonner Unterkunft frühmorgens aus dem Bett gerissen. Rund 60 Personen sollten abgeschoben werden—ohne Ankündigung, und noch vor Sonnenaufgang.

Weniger als einen Monat vorher hatte die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft noch verkündet, Flüchtlinge nicht ohne Vorwarnung abschieben zu wollen: „Ich kann Familien nicht nachts aus dem Bett holen", sagte sie nach einem Integrationsgipfel in Düsseldorf.

Trotzdem scheint genau das in Bonn passiert zu sein. „Die Bonner Polizei hat im Rahmen der Amtshilfe zu einem sicheren und störungsfreien Ablauf der rechtmäßigen Maßnahmen der Zentralen Ausländerbehörde Köln beigetragen", heißt es aus der polizeilichen Pressestelle. Auch Hundertschaftsbeamte der Landespolizei wurden dabei eingesetzt. Die sollen Helme getragen und die Unterkunft umstellt haben.

„Wir haben uns gefühlt, als wären wir Kriminelle oder Terroristen", sagt Gentian. Mehrere junge Männer, die die Demonstration wenige Tage zuvor organisiert hätten, seien vom Rest getrennt und in eigene Polizeiwagen gebracht worden, berichten Bewohner und Flüchtlingsunterstützer.

Gentian ist mittlerweile zurück in Albanien. Sein Bild von Deutschland hat sich in der kurzen Zeit, die er hier war, stark geändert: „Ich wusste, dass das schwer wird, aber ich dachte, dass ich zumindest eine Chance bekomme."