UN-Drogenbericht 2016: Süchtige Frauen, Afghanistan und neue Substanzen

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UN-Drogenbericht 2016: Süchtige Frauen, Afghanistan und neue Substanzen

Im Gespräch mit dem Präsidenten des International Narcotics Control Board.

Titelbild: Flickr | Jacksoncam | CC BY 2.0 Das International Narcotics Control Board (INCB) kontrolliert für die UN, ob die Drogen-Konventionen von den Mitgliedstaaten auch eingehalten werden und unterstützt diese mit den neuesten Erkenntnissen aus der Forschung. Heute präsentiert das INCB in Berlin den Jahresbericht 2016. Darin wird der aktuelle Stand des weltweiten Drogenkonsums analysiert und daraus abgeleitete Empfehlungen an die Mitgliedstaaten abgegeben, wie sie eine effektive und an Menschenrechten orientierte Drogenpolitik gestalten können.

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Dieses Jahr fokussiert der INCB-Bericht auf Frauen und Drogen. Rund ein Drittel aller Drogenkonsumenten sind weiblich, jedoch nur ein Fünftel aller Beratungsangebote werden weltweit von Frauen in Anspruch genommen. Zudem ist die Sterblichkeitsrate sowie der Zuwachs bei weiblichen Drogenkonsumenten höher als bei Männern. Aus diesen Gründen plädiert das INCB in ihrem Bericht für eine Drogenpolitik, die sich nach einem geschlechtsspezifischen Ansatz ausrichtet. Wir haben  mit dem Präsidenten des INCB, Werner Sipp, über die Chancen und Herausforderungen dieses Vorhabens gesprochen:

VICE: Was sind die wichtigsten Ergebnisse der Studie?
Werner Sipp: Die Studie kommt zum Schluss, dass in fast allen Ländern Frauen durch die aktuelle Drogenpolitik benachteiligt werden. Zudem ist der Zuwachs an Drogenkonsumenten unter Frauen höher als bei den Männern. Es ist deshalb wichtig, die Politik und die Forschung, aber auch die Behandlungs- und Therapieangebote geschlechtsspezifisch auszurichten.

Inwiefern unterscheiden sich die Anforderungen zwischen weiblichen und männlichen Drogenkonsumenten?
Einerseits wirken Drogen unterschiedlich auf den weiblichen Körper. Wir registrieren ein grösseres Suchtpotenzial sowie eine höhere Sterblichkeitsrate bei weiblichen Konsumenten. Andererseits haben drogenpolitische Massnahmen bei Frauen andere Konsequenzen: Wenn zum Beispiel eine Frau mit Kindern ins Gefängnis gesteckt wird, hat das in den meisten Teilen der Welt ganz andere Auswirkungen auf die Familie als wenn ein Mann ins Gefängnis wandert. Zudem gibt es bei Frauen zahlreiche systemische Hindernisse, die ihnen den Zugang zu Behandlungs- und Therapieangeboten erschweren.

An welche Hindernisse denken sie?
Frauen kämpfen mit einem stärkeren gesellschaftlichen Stigma als Männer – vor allem, wenn sie schwanger sind oder ihre Sucht durch Prostitution finanzieren. Das führt dazu, dass sie sich weniger schnell einer Behandlung unterziehen lassen. Und selbst wenn sie eine Therapie machen wollen, fehlt es oft an Kinderbetreuungsplätzen. Zudem haben sie Angst vor einer Strafverfolgung oder vor einem Entzug des Sorgerechts. Wir plädieren deswegen dafür, dass geringfügige Delikte nicht mit Haftstrafen geahndet werden sollen.

Wie könnte man diesem Stigma entgegen wirken?
Eine Möglichkeit, die sich im Iran als besonders hilfreich erwiesen hat, sind Behandlungsangebote, die sich gezielt an Frauen richten. Nachdem die Islamische Republik eine Behandlung ausschliesslich für Frauen eingeführt hatte, stieg die Zahl der behandelten Frauen markant an. Stigmata sind jedoch tief in der Kultur und der Religion eines Landes verankert, man sollte sich nicht einbilden, dass sie schnell aus der Welt geschafft werden können. Schauen sie sich als Vergleich nur einmal an, wie lange Homosexualität im Westen stigmatisiert wurde.

In ihrem Report geben sie Empfehlungen ab, wie die Mitgliedsstaaten ihre Drogenpolitik gestalten sollen.  Wie wirksam sind diese Empfehlungen in Ländern wie Afghanistan, wo viele Drogen produziert werden, die staatlichen Institutionen aber schwach oder auch korrupt sind?
Afghanistan ist tatsächlich eines unserer Sorgenkinder. Es produziert rund 90 Prozent des Schlafmohns auf dem globalen Opium-Markt. In weiten Teilen des Landes hat die Regierung die Kontrolle verloren, oder steckt auf lokaler Ebene selbst im Drogengeschäft. Gleichzeitig zieht sich die internationale Gemeinschaft mit ihren Hilfsprojekten aus dem Land zurück, da sich viele der Projekte als nicht erfolgreich herausstellten. Das Vakuum wird nun von den Taliban und dem IS gefüllt, was wiederum die staatlichen Institutionen schwächt. Die Hilfe zur Selbsthilfe ist in Afghanistan gescheitert. Da wir jedoch über keine Sanktionsmechanismen verfügen, können wir nur den Dialog mit den Ländern führen und sie als letztes Mittel an der UN-Vollversammlung darauf hinweisen, dass sie die Verträge einzuhalten haben.

Wie gehen sie mit all den neuen synthetischen Drogen um, mit denen der Markt in den letzten Jahren überflutet wurde?
Der Umgang mit neuen synthetischen psychoaktiven Substanzen ist schwierig, da wir immer einen Schritt hinterher hinken. Der Handel mit synthetischen Drogen kann erst unterbunden werden, wenn die entsprechenden Substanzen zum Katalog der verbotenen Drogen hinzugefügt wurden. Die WHO prüft jedes Jahr vielleicht zehn neue Substanzen, währenddem jedoch hunderte neue auf den Markt kommen. Wir sind also durch die schiere Menge überfordert, weshalb das alte System überarbeitet werden muss. Es gibt jedoch noch keine internationale Einigkeit darüber, wie das am besten angestellt werden sollte. Wir für unseren Teil stellen den Staaten eine Plattform zur Verfügung, über die staatliche Stellen Informationen und Erfahrungen mit neuen Substanzen austauschen können. Der Kampf gegen unregistrierte synthetische Drogen und deren Vertrieb über das Internet wird eine unserer Schlüsselfragen in naher Zukunft sein. VICE auf Facebook
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