"Das Trinken ist in Deutschland ganz schön kompliziert geworden"
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"Das Trinken ist in Deutschland ganz schön kompliziert geworden"

Wir waren mit der Mecklenburger Wasserschutzpolizei auf der Jagd nach Betrunkenen.

Irgendwo ein kleines Boot mieten, die Angel raushängen und dem Sonnenuntergang entgegentuckern – das Beste, was sich viele Deutsche bei dem Wetter vorstellen können. Es gibt nur einen Haken: Auch auf dem Wasser bist du immer noch in Deutschland. Und das bedeutet: Regeln, bis dir die Rute schrumpelt.

"Wassermotorradverordnung. Wasserskiverordnung. Landesfischereigesetz. Binnenschiffahrtsstraßenordnung", zählt Katrin Spiwock auf und muss dabei selber kichern. "Kleinfahrzeugkennzeichenverordnung. Vermietungsverordnung für die Charter-Boote. Binnenschiffahrtsuntersuchungsordnung." Als Polizeiobermeisterin bei der Mecklenburger Wasserschutzpolizei in Waren an der Müritz muss Spiwock dafür sorgen, dass die Leute auf dem Wasser auch mit sonnenverbranntem Hirn all diese Regeln, Verordnungen und Gesetze einhalten.

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Die Müritz ist zwar nur Deutschlands zweitgrößter See (der Bodensee ist noch größer, hat dafür aber auch ein Schweizer und ein österreichisches Ufer). Aber die Müritz ist das Herzstück der Mecklenburger Seenplatte, einem schier unüberschaubaren Geflecht von großen und kleinen Seen, Wasserstraßen, Kanälen, Weihern, Teichen und Tümpeln – "dem größten zusammenhängenden Wassersportgebiet Europas", wie Ingo Hagen, Leiter der Warener Inspektion der Wasserschutzpolizei, stolz erzählt. Und für alles, was auf diesen Gewässern passiert, ist seine Inspektion mit ihren auf vier Standorte verteilten 44 Beamten verantwortlich.


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Um den Arbeitsrhythmus der Wasserschutzpolizei zu verstehen, muss man sich eigentlich nur Der Weiße Hai anschauen. Ähnlich wie der Dorfpolizist in dem Film verbringen die Beamten sehr viel Zeit damit, gemütlich auf dem Wasser herumzukreuzen, Routinekontrollen durchzuführen und verkeilte Sonntagsschiffer aus Schleusen zu ziehen. Aber an jedem Tag kann ohne jede Vorwarnung etwas passieren, wo es auf einmal um Leben und Tod geht. Wobei der größte Feind des Menschen auf der Müritz kein Hai ist – sondern seine eigene Dummheit.

Links Diekel, rechts Spiwock

Dieser Freitagvormittag präsentiert sich allerdings erstmal ausgesprochen friedlich. Die Sonne scheint mit 32 Grad auf Hunderte kleine und große Boote, die auf der Müritz dümpeln, und Spiwock hat gute Laune. "Ich liebe das, draußen zu sein", sagt die 45-Jährige, während der Kollege Thomas Diekel die "Seeadler", das größte und mit seiner blau-weiß-roten Lackierung auffälligste Streifenboot der Wasserschutzpolizei Waren, aus dem Bootsschuppen manövriert.

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Spiwock und ihre Kollegen verbringen praktisch ihren gesamten Dienst auf dem Wasser. Der Wasserschutzpolizei in Waren steht dafür eine kleine Flotte von Booten zur Verfügung. Meistens sind die Beamten auf dem "Seeadler" unterwegs, aber wenn es mal richtig schnell gehen muss, dann holen sie das "Schlauchboot" raus: das Kronjuwel der Warener Flotte, ein Bolide der Marke "Roughneck" mit 150 PS, in dem man im Notfall mit über 80 Stundenkilometern über die Müritz peitschen kann – ein Boot, das drei verschiedene Polizisten an dem Tag liebevoll als "richtig geil" bezeichnen werden. Thomas Diekel gehört nicht dazu, der 50-Jährige fährt lieber im langsameren Seeadler Streife – weil man da mit Dach über dem Kopf und Klimaanlage ausgerüstet ist. "Ich war auch mal 25, ich versteh, dass die jungen Kollegen damit gerne rumballern", sagt er. "Aber man wird ja auch ruhiger mit der Zeit, ne? Heute kriegst du mich auf das Ding nicht mehr drauf."

Kommissar André Wölki auf dem Schlauchboot, das er sehr gerne hat

Spiwock und Diekel kommen beide selbst aus der Gegend. Diekel ist der Veteran und benimmt sich auch so: Wo seine jüngere Kollegin stets auf die korrekte Ansprache achtet – "Guten Tag, hier ist die Wasserschutzpolizei Waren-Müritz, wir würden gerne mal bei Ihnen seitwärts kommen" –, gibt sich Diekel meistens knorrig bis flapsig. "Rückwärts heißt nach hinten, ne? Mach mir jetzt nich mein Boot kaputt!", bellt er einem nervösen Jungen zu, der das Ablegemanöver nach der Kontrolle nicht ganz hinbekommt. Der 50-Jährige ist schon seit den frühen 90ern dabei und hat so ziemlich alles gesehen, was man auf der Müritz erleben kann: von Großbränden auf den Booten im Warener Hafen bis zu Wasserleichen.

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Denn auch wenn es heute so aussieht: Die See-Polizei macht nicht nur Kontrollen, sondern muss sich auch um alles andere kümmern, was auf dem Wasser so anfällt. Zum Beispiel Unfälle: Weil sehr viele Urlauber praktisch ohne jede Boots-Erfahrung einfach lostuckern, dotzen sie auch ständig gegeneinander, bleiben in Schleusen stecken oder verheddern sich in den Leinen der großen Passagierschiffe. Es gibt aber auch schlimmere Unfälle. Spiwock erinnert sich an eine Frau, die ein über Bord gegangenes Kissen einfangen wollte und dabei selbst über Bord ging. Ihr Mann setzte zurück und fuhr ihr die Bootsschraube ins Bein. "Zum Glück hatten die zufällig eine Krankenschwester an Bord", seufzt die Polizistin. "Das Bein war dann flöten, aber wenigstens hat die Frau es überlebt."

Spiwock macht einen Alkoholtest bei einem jungen Bootsführer. Ergebnis: 0,0 Promille, vorbildlich!

Zu den wichtigsten Aufgaben der Wasserschutzpolizei gehört nämlich auch die Vermisstensuche – und wenn es richtig dumm läuft, die Bergung von Wasserleichen. Diekel hat längst aufgehört zu zählen, wie viele Ertrunkene er schon aus dem Wasser gezogen hat. "Irgendwann wird das zur Arbeit", sagt er. "Du musst dich einfach wegschließen dabei, das geht nicht anders. Du musst trotzdem deine Stulle essen oder einen schlechten Witz machen, sonst macht dich das fertig." Er denkt kurz nach. "Gott sei Dank", sagt er, "habe ich noch nie ein Kind rausholen müssen."

Heute stehen vor allem Kontrollen auf der Tagesordnung. Dass sie manche Regeln selbst für viel zu kompliziert halten, ändert nichts daran, dass die beiden Polizisten sie durchsetzen müssen – was sie auch sehr gewissenhaft tun. Wenn sie irgendetwas sehen, das ihnen regelwidrig vorkommt – ein Motorboot, das zu schnell fährt, ein fehlendes Kennzeichen, zu viele Angeln auf einem Boot –, dann wird der potenzielle "Delinquent" angesteuert und mit einer roten Flagge, per Handzeichen und manchmal auch über Lautsprecher informiert, dass er es jetzt mit der Wasserschutzpolizei zu tun bekommt.

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An diesem Freitag wird das nur einem Urlauber zum Verhängnis: einem Leipziger Geschäftsmann, der mit einem Kumpel und dessen Familie ein Hausboot gechartert hat, um zwei Wochen auf der Müritz rumzutuckern. Die beiden hatten ihn aus der Ferne beim Angeln beobachtet – anders als sein Kumpel und dessen Sohn hat er aber keinen Angelschein. "Das ist blöd, ne?", sagt Diekel streng. "Das ist dann nämlich Fischwilderei, und das ist 'ne Straftat." Der Mann schaut kurz verdutzt, lässt die Beamten dann aber trotzdem brav seine Personalien aufnehmen. "Das klingt jetzt erstmal schlimm, Fischwilderei", sagt Diekel, etwas milder. "Da reißt Ihnen aber auch keiner den Kopf für ab, ne."

Links: Spiwock mit Fernglas. Rechts: Spiwock und Moritz kontrollieren zwei Angler, Pressesprecher Stahlberg schaut zu

Trotzdem: Der Mann wird möglicherweise Post vom Staatsanwalt bekommen, weil er unerlaubt eine Angelrute ins Wasser gehängt hat. "Ist auch hart", sagt Diekel. "Der hat ja eigentlich nichts gemacht, nicht mal was gefangen." Dass Fischwilderei automatisch als Straftat gilt und deshalb viel härter bestraft wird als eine Ordnungswidrigkeit, erklärt der Polizist mit einer knallharten Analyse der Gesellschaftsordnung: "Das liegt daran, dass hier nicht mehr Sozialismus ist, sondern Kapitalismus. Die Fischerei Müritz-Plau GmbH, die hat den ganzen See gepachtet, und wenn du da einen Fisch ohne deren Erlaubnis rausziehst, dann ist das Diebstahl." In der DDR war man da noch nicht so streng, erinnert er sich, aber historisch gesehen hat die Autorität bei Wilderei nie viel Spaß verstanden. "Früher gehörte der Wald dem König", erzählt Diekel, während er vom Hausboot der Leipziger ablegt. "Wenn du einen Pilz gesammelt hast, hat er dir die Hand abgehackt. Wenn du ein Reh geschossen hast, hat er dich aufgehängt. Da sind wir noch ziemlich human."

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Ansonsten kontrolliert die Seeadler an diesem Tag noch: einen Rentner auf einem Motorboot, der sich und seine Frau zu schnell durch einen Kanal geschippert hat. Drei Jungs aus Wittstock mit Bierflaschen, wo der Steuermann einmal pusten muss, Ergebnis: nullkommanullnull, weiterfahren. Zwei Berliner auf einem Mini-Schlauchboot, die ihre Angelerlaubnis im Zelt vergessen haben, Ergebnis: später vorbeikommen, nachzeigen, 10 Euro latzen. Eine Großfamilie auf einem Charterboot, deren sämtliche Papiere allerdings absolut in Ordnung sind – sogar der Nachweis über die fristgerechte Gefahrenprüfung ihres Gasherds ist sauber und aktuell. Ergebnis: friedlich weiterdümpeln.

Selfie-Bae auf der Müritz

Auf dem See rechnet niemand damit, von der Wasserschutzpolizei kontrolliert zu werden. Die Urlauber, die es an diesem Freitag erwischt, sind allesamt ziemlich perplex, als sie mitten auf dem See plötzlich die Badehosen hochziehen und Papiere herauskramen müssen. Die meisten, sagt Spiwock, bleiben aber trotzdem freundlich. Heute, bei 32 Grad, ist es sowieso viel zu heiß, um sich aufzuregen. "Ich habe aber mal eine Tante aus Sachsen beim Schwarzangeln erwischt", erzählt Diekel. "Die ist dann komplett ausgetickt, ich dachte, die springt mir gleich ins Gesicht. Am Ende musste ihr Mann die in der Kajüte einsperren." Die Pistolen, die alle Wasserschutzpolizisten bei sich führen, mussten sie noch nie einsetzen. Sie können sich überhaupt nur an einen Fall vor Jahren erinnern, wo einer ihrer älteren Kollegen seine Waffe ziehen musste: als ein wütender Angler im Winter nicht aufhören wollte, vorm Gesicht des Beamten mit seiner Eisaxt herumzufuchteln.

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Aber jetzt ist Sommer, und niemand hat eine Axt dabei. Daran, dass sie laufend Leuten den Urlaub mit Bußgeldern oder Anzeigen vermiesen müssen, haben die beiden sich gewöhnt. "Klar nervt das, wenn man was bezahlen muss", sagt Diekel. "Aber wenn wir mal zwei, drei Wochen nicht da sind, dann ist hier Chaos: Die hauen sich die Köppe vom Strang, da macht jeder, was er will. Die Berufsschifffahrt gegen die Sportschifffahrt, die Schwimmer gegen die Angler."

Die Seeadler vor dem Hafen von Waren

Trotzdem: Verglichen mit dem, was sich normale Polizisten auf der Straße antun müssen, ist der Job auf der Müritz ein Traum, da sind sich die Wasserschutzpolizisten einig. Die allermeisten Menschen sind tiefenentspannt, und die Müritz ist einer der prachtvollsten Arbeitsplätze, die man sich vorstellen kann. "Am Anfang hat mich das auch regelmäßig umgehauen, wie schön das hier ist", sagt Diekel. "Aber mittlerweile sehe ich das gar nicht mehr. Auch ein bisschen traurig." Als plötzlich ein Fischadler über dem Boot kreist, freut er sich trotzdem und dreht den Motor runter, um den Vogel in Ruhe beobachten zu können. "Ist schon ein ziemlich einzigartiger Arbeitsplatz", sagt Spiwock. "So einfach, wie man immer denkt, ist es aber trotzdem nicht. Wenn du mal zwölf Stunden am Stück unter der Sonne auf dem Schlauchboot unterwegs bist, dann bist du danach breit wie 'ne Briefmarke."

Am Ende des Tages haben die beiden keinen einzigen betrunkenen Bootsführer erwischt. "Ist ja auch besser so", grummelt Diekel. "Gibt auch so schon genug zu tun." Auf dem Rückweg in den Hafen kommt die Seeadler an einem einsamen jungen Mann in einem Ruderboot vorbei, der Selfies schießt. Nicht mal der, sagt Spiwock, dürfte sein Boot mit mehr als 0,5 Promille bewegen. "Fahrzeug ist Fahrzeug, egal was", sagt Diekel. "Du darfst ja nicht mal als Fußgänger besoffen sein!" Spiwock schaut ungläubig. "Ist so! Wenn du als besoffener Fußgänger 'nen Unfall verursachst, bist du den Führerschein los. Eigentlich darfst du dich im Verkehr gar nicht mehr besoffen bewegen." Er drückt seine Kippe aus. "Das Trinken ist in Deutschland ganz schön kompliziert geworden."

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