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Ägypten

Die Flüchtlingsrestaurants von Kairo

Nicht weit von Kairo entfernt, befindet sich eine Gegend mit dem Spitznamen „Klein-Damaskus", in der sich unzählige syrische Flüchtlinge seit dem Ausbruch der Revolution 2011 angesiedelt haben. Seit ihrer Ankunft mischen sie die Restaurantszene so...

Während die Sonne über der Stadt untergeht, ertönt der Ruf zum Gebet und der Platz füllt sich langsam mit Menschen. Die Tische und Stühle aus unterschiedlichen Cafés und Restaurants verschmelzen ineinander und bald ist die Luft von Essen- und Getränkebestellungen und den dumpferen Tönen der Unterhaltungen erfüllt. Von den verschiedenen arabischen Dialekten, die man hier hört, ist Syrisch der häufigste. Das überrascht kaum. Diese Gegend im Westen von Kairo in Madinat as-Sadis min Uktubar (der Stadt des 6. Oktober) wird aufgrund der zahlreichen Menschen, die seit 2011 aus Syrien hierher gezogen sind, oft als „Klein-Damaskus" bezeichnet.

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Der größte Aufruhr kommt von Midan al-Sham, einem der vielen syrischen Restaurants, die hier in den letzten vier Jahren eröffnet haben. Ihre Tische auf dem Platz sind alle besetzt und das Restaurant arbeitet auf Hochtouren. Fast alle Angestellten sind Syrer, unter den Gästen befinden sich jedoch auch Palästinenser, Iraker und Ägypter.

„Ägypter mochten syrisches Essen immer schon lieber als ihr eigenes", sagt Samih, der Besitzer und Gründer von Midan al-Sham. „Und da so viele Menschen nach der Revolution hierher gezogen sind, haben viele Syrer Lokale in Kairo eröffnet." Samih kam vor dreieinhalb Jahren aus Damaskus in die Stadt des 6. Oktober und eröffnete kurz darauf sein Restaurant. Seine Mitarbeiter kommen fast ausschließlich aus Damaskus. „Wichtig ist den Ägyptern, dass der Laden sauber ist", sagt Samih. „Wenn sie das Gefühl haben, dass das Essen sauber zubereitet und das Restaurant hygienisch ist, werden sie wieder kommen." Neue syrische Restaurants sind in Kairo in den letzten Jahren recht zahlreich geworden, aber sie führen eine Tradition fort, die noch viel weiter zurückreicht.

„Seit der Revolution sind hier fast alle Syrer", sagt Ahmed Aziz, während er an der Theke von Abo Hussein al-Iraqi, einem irakischen Restaurant neben Midan al-Sham sitzt. „Früher waren hier alle Iraker." Nach der amerikanischen Invasion in den Irak 2003 ließ sich ein großer Teil der Bevölkerung in der Stadt des 6. Oktober nieder. Wie die Syrer heute eröffneten damals viele Neuankömmlinge Restaurants und Geschäfte. „Damals waren viele unserer Kunden Iraker, heute gibt es nicht mehr genug", sagt Ahmed. Der irakische Bevölkerungsanteil ist über die Jahre immer kleiner geworden, weil viele Bewohner der Stadt in andere Länder oder zurück in den Irak gezogen sind. Ahmed muss heute auf Gäste aus anderen Ländern oder der Stadt selbst hoffen.

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Während wir uns unterhalten, kommt ein syrisches Paar ins Restaurant und gibt seine Bestellung auf und eine palästinensische Familie setzt sich an einen Tisch. Der 24-jähriger Ägypter Ahmed Fatti diskutiert mit einem der Kellner über die Speisekarte. „Sagen Sie es auf Ägyptisch", fordert er,„ich möchte das Fleisch, das ihr da draußen habt". Ahmed Fatti kommt von der anderen Seite der Stadt, einer Gegend der oberen Mittelschicht im Osten der Stadt. Während seiner Kindheit und Jugend gab es keine irakische Food-Szene in Ägypten. „Heute ist sie berühmt", sagt er, „besonders das Fleisch. Ägypter mögen irakisches Fleisch sehr gerne". In gut einem Jahrzehnt wurde das gastronomische Terrain von Kairo von jenen, die vor dem Konflikt geflohen sind, verändert.

Aber nicht alle waren dabei so erfolgreich.

Im Zentrum von Kairo befindet sich der Ataba-Platz, ein Relikt des verblassten Glanzes der Stadt. Der Platz wurde um eine Statue des Vizekönigs Ibrahim Pasha aus dem 19. Jahrhundert gebaut und war früher umgeben von schönen Boutiquen, Schneidern und Luxushotels. Heute ist die Gegend sichtlich weniger wohlhabend und die bröckelnden Fassaden der Geschäfte bilden eine Kulisse für die Autos und Menschen, die auf den mit Müll gespickten Straßen nur sehr langsam vorankommen. Auch die Bewohner sind andere. Jahrelang ist die Bevölkerungsgruppe der subsaharischen Afrikaner, die hauptsächlich aus Geschäftsmännern besteht, in Ataba immer weiter gewachsen, aber auch Familien, die vor dem Krieg und der Verfolgung im Sudan oder in Eritrea geflüchtet sind, sind in die Gegend gezogen.

In den Seitenstraßen der alten Gebäude befinden sich Wohnhäuser, Cafés und Restaurants der Einwohner von Ataba. Eines dieser Restaurants gehört zur Hälfte Ali Hussein. Ali ist ein ägyptischer Geschäftsmann, der in Restaurants und Hotels von Madrid bis Kairo gearbeitet hat und hier mit seinem sudanesischen Freund und Partner Suleyman eine Gelegenheit für neues Geschäft sah. Sie eröffneten das Restaurant Sudan vor neun Jahren und bedienen seither—fast ausschließlich—die sudanesische Bevölkerung der Stadt: „98 Prozent unserer Kunden sind Sudanesen", sagt Ali, „ein Prozent Ausländer und ein Prozent Ägypter." In krassem Kontrast zu den irakischen und syrischen Restaurants in der Stadt des 6. Oktober hat die heimische ägyptische Bevölkerung diese Küche bisher nicht für sich entdeckt.

Neben Ali arbeitet noch ein weiterer Ägypter im Restaurant, aber kein einziger sitzt an den Tischen. Eine Handvoll ägyptischer Marktstände, an denen ägyptisches Street-Food verkauft wird, sind so nah, dass die Gerüche aus der Küche des Restaurant Sudan riechen können. „Ich habe noch nie dort gegessen", sagt Ahmed, der einen verwunderten Eindruck über die Frage macht. „Ich habe schon seit Jahren hier meinen Stand und habe noch nie darüber nachgedacht, mal hinzugehen. Ich weiß eigentlich auch nicht genau, an was das liegt."

„Das liegt daran, dass Ägypter verschlossen sind", sagt Ali. „Sie sind allgemein einfach verschlossen. Sie mögen die Dinge so, wie sie sind. Es geht nicht um Rassismus—das ist einfach so." Ali erklärt, dass er bereits vergeblich versucht hat, der ägyptischen Bevölkerung die sudanesische Küche näher zu bringen. „Sie finden das Essen zu scharf, aber das ist es gar nicht! Ein großer Teil des Problems ist auch die Gegend hier. Die Leute hier wollen keine neuen Sachen ausprobieren." Ali plant gerade die Eröffnung eines neuen Restaurants in einer Mittelschicht-Gegend von Kairo. „Meine Hoffnung ist, den Ägyptern das sudanesische Essen näher zu bringen", sagt er. „Ich weiß, dass es sehr viel schwieriger ist als mit syrischem oder libanesischem, weil die Leute zu diesen Kulturen eine engere Verbindung haben, aber ich werde es weiterhin versuchen."