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Realität vs. Angie

Merkel und sonst nichts. Dabei scheint es vollkommen egal zu sein, wie sie mit den wichtigen Themen verfährt. Ob Homo-Ehe, Mindestlohn, Frauenquote oder Mütter-Rente. Weichspülen und keine Diskussion zulassen ist ihr Machtprinzip.

Morgen beginnt der offizielle Bundesparteitag 2012 der CDU in Hannover so richtig. Heute kommen die 1001 schwarzen Delegierten zusammen, um sich auf Kurs zu bringen. Und der heißt seit sieben strammen Jahren, die den säbelrasselnden Wilhelm erschaudern ließen: Merkel. Merkel und sonst nichts. Keiner der männlichen Bundeskanzler hat vor dem ehemaligen Mauerblümchen beim Volk durchgehend so beliebt an der Macht festhalten können wie sie. Helmut Schmidt und Gerhard Schröder waren jeweils in ihrem siebten Jahr im Amt am Ende. Helmut Kohl kam der Mauerfall zu Gute. Merkel kann nicht einmal die Eurokrise etwas anhaben. Im Gegenteil. Im Sommer lag ihr Beliebtheitswert bei 62%. Zwei Drittel der Deutschen sind mit ihrer Arbeit voll zufrieden. Dabei scheint es vollkommen egal zu sein, wie sie mit den wichtigen Themen verfährt. Ob Homo-Ehe, Mindestlohn, Frauenquote oder Mütter-Rente. Weichspülen und keine Diskussion zulassen ist ihr Machtprinzip. Nicht umsonst wählte das Forbes Magazine sie dieses Jahr wiederholt zur mächtigsten Frau und zur viert-mächtigsten Persönlichkeit der Welt. Den Schaden, den sie ihrer Partei und der deutschen Parteienlandschaft mit ihrem knallharten und rücksichtslosen Gute-Laune-ich-mach’s-jedem-Recht-Kurs zufügt, siehst du an enttäuschten Protestwählern, die im Glauben an mehr Demokratie in den letzten Monaten den inhaltsleeren Piraten zu ihren 15 Sekunden im Polit-Olymp verhalfen. Die gesamte Partei, so scheint es, ist auf Nivellierungskurs mit der Dampfwalze Merkel. Hauptsache an der Macht festhalten. Doch eine Gruppe unter den CDU-Delegierten, bekannt als die „Wilde 13“, will sich gegen das Totschweigen innerparteilich notwendiger Reformen wehren. Bereits Anfang August hatten die 13 CDU-Bundestagsabgeordneten die steuerliche Gleichstellung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe gefordert. Merkel freilich ist dagegen und wartet lieber das Urteil des Bundesgerichtshofes ab. Andernfalls müsste sie sich ja auf eine echte Diskussion einlassen. So schrieb die „Wilde 13“ schon im August, sie sähen es nicht ein, „dass der Politik immer wieder und absehbar vom Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben werden muss“, wie die bestehenden Ungleichbehandlungen für homosexuelle Mitbürger und die daraus resultierende Ungerechtigkeiten abzuschaffen seien. Die „Wilde 13“ verlangt also völlig zu Recht, dass die CDU als Regierungspartei endlich die Wünsche und Rechte Homosexueller in Deutschland stärker aktiv anerkennt, anstatt immer wieder die nicht zu diskutierenden Urteile des Bundesverfassungsgerichtes abzuwarten und dann abzunicken. Dabei gibt es im Bundestag längst eine Mehrheit für das sogenannte Ehegattensplitting auch bei gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften. Die christliche Union will das nur nicht einsehen, weil ihr dann die erzkonservativen Wähler davonrennen würden. Doch Obacht: Wenn ihr nicht aufpasst, liebe CDU, dann sterben die euch weg. In den Städten sieht’s für euch schon miserabel aus. Berlin, München, Stuttgart, Hamburg, Köln, Freiburg werden von der SPD oder den Grünen regiert. Doch solange Merkel ihre Sporen in den gequälten schwarzen Gaul treibt und ihre schwanzlose Truppe sich brav bei Mutti zum Nuckeln anstellt, wird sich da nichts bewegen. Nicht umsonst also beschreibt die F.A.Z. den CDU-Bundesparteitag als „Drei schöne Tage für Angela Merkel“. Ihr wird sich nichts und niemand in den Weg stellen. Doch wenn du, Eiserne Lady, zur Abwechslung mal wieder Politik machen willst, anstatt permanent den Beliebtheitscontest gewinnen zu wollen, dann denk mal darüber nach, ob Ehegattensplitting 2012 überhaupt noch sinnvoll ist. Oder ob die Politik nicht endlich ein völlig neues Verständnis für die Lebenswelten ihrer Bürger braucht. Das Ehegattensplitting kommt nämlich noch aus einer Zeit, in der der Mann das Geld verdient hat, die Frau am Herd stand und die Kinder von ehemaligen Nazilehrern unterrichtet wurden. Heute gibt es Patchwork-Familien, Familien, in denen beide Ehepartner voll arbeiten und gleichgeschlechtliche Eltern, die ihre Kinder lieben und ihnen ebenso gut wie die „normale“ Familie Werte mitgeben, die sie zu weltoffenen Bürgern machen. Die Welt hat sich doch tatsächlich ohne Zustimmung der Erzkonservativen weitergedreht und wird sich—na?—weiterdrehen. Da kannst du plattwalzen, wie du willst.

© Foto: CDU/Laurence Chaperon