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Sex

Nette, normale Frauen lassen sich kein Intimpiercing stechen

Als ich mir die Klitorisvorhaut piercen ließ, musste ich darüber nachdenken, warum Intimschmuck noch immer so einen schlechten Ruf besitzt.

Ich hatte mich fast ein Jahr lang mit dem Thema Klitorisvorhautpiercing beschäftigt, bevor ich mich endlich dazu entschloss, mir selbst eins stechen zu lassen. Monatelang habe ich mir die ganze Sache ausgeredet und so getan, als wäre es nicht der richtige Zeitpunkt. Außerdem hatte ich ja sowieso viel zu viel zu tun und habe mich auch auf keinen Fall ausreichend mit dem Thema beschäftigt. Als ich mich schließlich durch wirklich alle Links und Bilder geklickt hatte, akzeptierte ich endlich die Tatsache, dass es „Jetzt oder nie" hieß: Wenn ich den Intimschmuck wirklich will, dann muss ich es einfach durchziehen, ohne großartig darüber nachzudenken.

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Vertikale Klitorisvorhautpiercings (auch KVV-Piercings genannt) sind unter den weiblichen Intimpiercings am beliebtesten, denn sie verheilen schnell und sind der natürlichen Körperform der Trägerin angepasst. Neben dem ästhetischen Wert erhöht ein KVV-Piercing auch die klitorale Stimulation während des Geschlechtsverkehrs und kann der Frau so sogar noch mehr Vergnügen bereiten. Der Piercer sticht einen kleinen Edelstahlstab (ähnlich wie die bei Bauchnabelpiercings) durch das kleine Stück Haut, das die Klitoris bedeckt und so schützt—somit ist die Stahlkugel am einen Ende des Stabs mit bloßem Auge sichtbar, während die andere Kugel unter dem kleinen Hautstück auf der Klitoris der Frau liegt.

Da ich von Natur aus sehr gründlich bin, nahm ich meine Nachforschungen in der Welt der Intimpiercings sehr ernst—ich wollte wirklich alle Zweifel aus dem Weg räumen, bevor ich mir da unten irgendwelche Löcher stechen lasse. Zuerst stieß ich natürlich auf diverse Horror-Geschichten von Frauen, die sich ein KVV-Piercing stechen ließen und dabei Nervenschäden davontrugen, weil ein unerfahrener Piercer der Kundin nicht nur die Vorhaut, sondern gleich die ganze Klitoris durchstach. Während sich meine Eingeweide beim Gedanken an eine durchstochene Klitoris zusammenzogen, las ich zum Glück auch, dass solche Fälle nur extrem selten vorkommen und dass sich in meiner direkten Umgebung überraschend viele Piercingstudios mit guten Bewertungen befanden.

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Was, wenn mich im Piercingstudio jemand auslacht? Werde ich jemals wieder mit überschlagenen Beinen dasitzen können?

Nach meiner ausgiebigen Internet-Recherche war mir klar, dass mir die Ästhetik dieser Piercings total zusagt: feinfühlig und feminin, gleichzeitig aber auch unbestreitbar frech. Und auch die Aussicht auf besseren Sex und intensivere Orgasmen machte mich auf jeden Fall neugierig. Im Piercing-Kontext ist das Ganze dazu gar nicht mal so teuer und kostet nur unwesentlich mehr als zum Beispiel ein Bauchnabel- oder Zungenpiercing.

Obwohl ich mich über meine Entscheidung für das Piercing total freute, schämte ich mich immer noch zu sehr, um (mit Ausnahme meines Freundes) irgendjemandem davon zu erzählen. Zwar sind 72 Prozent aller Amerikanerinnen in irgendeiner Form gepierct, davon aber nur 2 Prozent im Intimbereich. Ich bin eine nette, normale junge Frau. Und wir netten, normalen jungen Frauen lassen uns eigentlich keine Klitorisvorhautpiercings stechen—das ist wohl auch der Grund, warum der National Health Service des Vereinigten Königreichs einvernehmliche Vaginalpiercings seit Neuestem als Verbrechen ansieht und warum manche Ärzte Frauen mit Intimschmuck nicht so gerne behandeln.

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Neben solchen Sorgen waren meine anderen Ängste bezüglich des Piercings einfach zu privat, um sie mit irgendjemandem zu teilen: Was, wenn ich da unten jegliche Empfindung verliere und mein Sexleben damit für immer ruiniere? Was, wenn mich im Piercingstudio jemand auslacht? Werde ich jemals wieder mit überschlagenen Beinen dasitzen können? Wird man das Piercing durch meine Hose sehen können? Was, wenn es mir dann doch nicht mehr gefällt?

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Dazu rang ich noch mit meinem Dasein als prüde, disziplinierte Sportlerin, die sich in ihrem ganzen Leben noch nie so richtig daneben benommen hat. Ich fragte mich, wie ich mit diesem Verstoß gegen meine eigene Identität klarkommen würde. Ich war gleichzeitig aber auch froh über diese neue und wilde Seite meines sonst so ordentlichen Lebens. Ich gehörte eigentlich nicht zu den Leuten, die solche Sachen machen. Und trotzdem wollte ich dieses Piercing unbedingt haben.

An einem frühen Samstagmorgen biss ich schließlich die Zähne zusammen und rief mir ein Taxi—ich wollte das Ganze jetzt endlich durchziehen. Auf dem Weg zum Piercingstudio erinnerte ich mich immer wieder daran, dass mich—egal was auch passiert—mein Vorhaben (sehr wahrscheinlich) nicht umbringen würde und ich ganz einfach so tun konnte, als sei die ganze Sache nie geschehen. Ich meine, ich hatte ja quasi niemandem von meinen Plänen erzählt.

Als ich am Zielort ankam, brannten meine Backen vor Verunsicherung. Ich fragte mich kurz, was ich da überhaupt machte. Immerhin befand ich mich an einem Ort, wo ich nicht hingehörte, und hatte etwas vor, was ich nicht tun sollte. Ich zog mein Kinn ein, verschränkte meine Arme und versuchte beim Aussteigen aus dem Taxi, so klein wie möglich zu erscheinen (was bei über 1,80 Metern Körpergröße gar nicht so einfach ist). Vor mir sah ich das Schaufenster des Piercingstudios und ich beeilte mich, die Geborgenheit der wolkenfarbenen Wände zu erreichen.

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Ich betrat den Laden, ging zur Empfangstheke und strahlte dabei die ganze Zeit eine falsche Selbstsicherheit aus. Ich fühlte mich immer noch schrecklich fehl am Platz—dieses Piercingstudio war trotz der spa-ähnlichen Ästhetik trotzdem immer noch ein Piercingstudio. Für normale Frauen wie mich gibt es wohl keinen netten, ruhigen Ort, um sich die Vagina mit Schmuck verzieren zu lassen.

„Hey. Wie kann ich dir helfen?"

Die junge Dame am Empfang trug ein mit Edelsteinen verziertes, münzengroßes Piercing in ihrer Unterlippe, das beim Sprechen funkelte.

„Hallo. Ich hätte gerne ein KVV-Piercing."

Beim Aussprechen des Wortes „Piercing" ging meine Stimme plötzlich ein paar Oktaven nach oben und ich quiekte eine Aussage heraus, die eigentlich ein Zeichen meiner Selbstsicherheit sein sollte. Ich verwendete sogar die Abkürzung, um erfahren zu klingen—und um das Wort „Klitoris" zu vermeiden. Ich fühlte mich beim Aussprechen dieses Wortes richtig unwohl; selbst noch als ich eine andere Person darum bat, die Haut über meiner Klitoris zu piercen.

Die Mitarbeiterin bereitete den ganzen Papierkram vor und ich konnte derweilen schon mal die Schmucksachen durchschauen. Ich nahm alles genauestens unter die Lupe, denn ich wollte meinen Intimbereich auf keinen Fall mit irgendwelchem bunten und billig aussehenden Plastikramsch verzieren—und das, obwohl ich die Ironie des Wunsches nach einem „geschmackvollen" Vaginalpiercing durchaus zu schätzen wusste. Ich entschied mich für einen einfachen Edelstahlstab mit einem würfelförmigen Zirconium-Stein am sichtbaren Ende des Piercings. Ich füllte die Einverständniserklärung aus und die junge Frau vom Empfang ratterte noch weitere Infos herunter: „Wie du sicher schon weißt, sterilisieren wir alle unsere Geräte in einem Autoklav, um Infektionen vorzubeugen. Wenn alles vorbei ist, wird dein Piercer mit dir über die Pflege des Piercings und über die Bezahlung reden, aber es wird wohl so um die 75 Dollar kosten. Bitte unterschreibe hier, wenn du mit unseren Geschäftsbedingungen und dem ganzen Verfahren einverstanden bist. Ed wird sich heute um dich kümmern—er holt dich dann, wenn er alles vorbereitet hat."

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Ein Mann. Ein Mann würde meine Vagina berühren und ein Loch hineinstechen! Die einzigen Männer, die jemals diesen Bereich meines Körpers gesehen haben, waren mein Ex und mein derzeitiger Freund. Und jetzt sollte mich ein fremder Mann da unten nicht nur inspizieren, sondern mich dort auch piercen? Mir war zwar bewusst, dass ich wohl auch nach einer Piercerin fragen und ein bisschen länger warten könnte, aber eine solch prüde Bitte wäre viel zu demütigend gewesen. In meinem Kopf ist die Art Frau, die sich die Klitoris piercen lässt, nicht auch die Art Frau, die sich wegen des Geschlechts des Piercers Gedanken macht. Ich würde also weiterhin so tun, als sei ich genau diese Art Frau—selbst wenn es mich umbringt.

Es schmerzte mehr, als ich es mir vorgestellt hatte. Das aggressive Eindringen des Wattestäbchens in den empfindlichsten Teil meines Körpers fühlte sich fremdartig und schwer an. Sollte das bei meinem Piercing etwa genauso sein?

„Gen?"

Ich blickte auf und sah, wie Ed—ein kleiner, übergewichtiger Hispanoamerikaner mit Bart und Dreadlocks—freundlich lächelnd auf mich zukam, um mich zu begrüßen. Wie jeder andere Mitarbeiter des Studios war auch sein Gesicht verziert mit vielen glitzernden Ringen und Steckern. Er sah viel netter aus, als ich es erwartet hätte. Ich folgte ihm in ein Hinterzimmer, das wie eine Arztpraxis anmutete—nur der gepolsterte Behandlungstisch war schwarz und nur halb so lang. Während ich mit Ed über mein Piercing plauderte, setzte ich mich schon mal auf die Tischkante und ließ meine Beine baumeln.

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„Ich werde dich nun darum bitten, deine Hose und deine Unterwäsche auszuziehen und dich dann mit gespreizten Beinen auf den Tisch zu legen."

„Kein Problem, das mache ich im Waxing-Studio auch immer!", schoss es dank meiner Nervosität aus mir heraus, aber Ed ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Sehr gut. Ich werde dann überprüfen, ob du körperlich gesehen für diese Art Piercing geeignet bist. Du musst dir jetzt allerdings keine Sorgen machen, denn das sind die meisten Frauen. Anschließend setze ich eine Schutzröhre unter der Klitorisvorhaut an, um den Schmuck richtig platzieren zu können.

Ich wollte Ed schon fast wieder unterbrechen, um ihm zu sagen, dass ich das bereits wusste. Durch meine intensive Recherche habe ich gelernt, dass sich die Schutzröhren-Technik für einen KVV-Piercing sehr gut eignet, und ich ging ebenfalls davon aus, dass ich genau wusste, was ich zu erwarten hatte. Aber anstatt meinen Mund aufzumachen, nickte und lächelte ich einfach nur, während Ed mir mit seiner beruhigenden Stimme weiter alles erklärte. Ich fragte mich, ob Ed schwul sei. Er sprach in einem mütterlichen Ton und hatte etwas von einer erfahrenen Krankenschwester. Obwohl ich mich normalerweise als so progressiv ansehe, dass ich die sexuelle Neigung anderer Personen nicht für mich selbst bestimme, nahm ich meine Vermutungen bezüglich Eds vermeintlicher Homosexualität einfach so hin. Es fühlte sich irgendwie angenehmer an, meine Vagina von einem Homosexuellen untersuchen zu lassen, anstatt mit gespreizten Beinen vor einem heterosexuellen Mann zu liegen.

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Ich zog meine Hose und meine Unterwäsche aus und legte mich so auf den Tisch, wie Ed mich angewiesen hatte. Dabei verschränkte ich die Arme über meiner Brust und schaute ihm dabei zu, wie er seine Arbeitsmittel vorbereitete. Er hielt ein Wattestäbchen ohne Watte hoch und meinte: „Ich werde jetzt deine Vorhaut untersuchen und schauen, ob wir das Piercing anbringen können. Ich werde das hier durch die Öffnung der Vorhaut schieben und dort auf der Klitoris ablegen, wo sich dann auch der Schmuck befinden wird, OK?"

„OK", quiekte ich und Ed richtete seinen Blick von meinem Gesicht zu meiner Vagina. Ich unterdrückte den Drang, aufgrund des Wortes „Vorhaut" zu kichern, und starrte an die Decke. Ich spürte den Druck des Wattestäbchens auf meiner Haut und meine Augen weiteten sich. Es schmerzte mehr, als ich es mir vorgestellt hatte. Das aggressive Eindringen des Wattestäbchens in den empfindlichsten Teil meines Körpers fühlte sich fremdartig und schwer an. Sollte das bei meinem Piercing etwa genauso sein?

„Deine Vorhautöffnung ist zwar etwas eng, aber das Piercing wird passen! Ich fange dann mal an."

Ich spürte, wie Ed das Wattestäbchen wieder entfernte und den Bereich mit Jod desinfizierte. Ich legte mir die Hände aufs Gesicht und atmete tief aus. Während Ed arbeitete, dachte ich darüber nach, wie absurd es eigentlich ist, mit einem fremden Mann über die Eigenschaften meiner Klitorisvorhaut zu sprechen. Ich zitterte und lachte dabei nervös.

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Aber das Lachen verging mir schnell, als ich wieder den gleichen Druck wie beim Wattestäbchen verspürte, dem dann ein stechender Schmerz folgte. Ich kräuselte die Nase, verzog das Gesicht und achtete penibel darauf, die untere Hälfte meines Körpers nicht zu bewegen.

Der Schmerz verwandelte sich in ein heftiges Brennen, als Ed den Schmuck anbrachte und das übriggebliebene Jod wieder wegwischte. Das Ganze hatte nicht mal eine Minute gedauert.

Ed reichte mir einen Spiegel, den ich wortlos entgegennahm, um damit meine frisch verzierte Vagina zu betrachten.

„Alles OK, Gen? Das war doch gar nicht so schlimm, oder?"

Ich konnte Eds beruhigendes Lächeln richtig hören und wollte ihm ins Gesicht schlagen. Er durfte sich nicht freuen, während ich aufgrund des eben Geschehenen noch unter Schock stand.

„Mir geht es gut … Das Ganze hat doch mehr wehgetan als erwartet. Im Internet habe ich überall gelesen, dass es ganz easy ist und man einfach nur ein kleines Zwicken spürt, weil die Haut da unten so dünn ist." Meine Stimme war richtig schwach, denn aufgrund der unerwarteten Schmerzen hatte ich keine Energie mehr.

„Hier hast du einen Spiegel, damit du dir das Piercing anschauen kannst. Wie gefällt es dir?"

Ed reichte mir einen Spiegel, den ich wortlos entgegennahm, um damit meine frisch verzierte Vagina zu betrachten. Ich hielt die Luft an und atmete langsam wieder aus, während ich das unverfälschte Aussehen meines Köpers auf mich einwirken ließ.

Ich war begeistert. Das Piercing sah genauso aus wie auf den Bildern, die ich mir im Internet angesehen hatte. Und der würfelförmige Zirconium-Stein war die perfekte Wahl: Der Schmuck glitzerte nicht zu viel und nicht zu wenig.

Ich hatte Angst, das Piercing irgendwie zu berühren, und gab Ed den Spiegel zurück. Ich strahlte vor Freude über das Resultat meines riskanten Abenteuers. Ganz behutsam verließ ich das Piercingstudio und rief mir wieder ein Taxi. Ich war total stolz auf mich, weil ich den Mut aufgebracht hatte, um die ganze Sache wirklich durchzuziehen.

Drei Wochen später war mein Piercing schon so gut wie verheilt. Bei einem sehr exhibitionistischen Skype-Gespräch hatte mir mein Freund bereits ganz enthusiastisch seine Freude über den Intimschmuck mitgeteilt und das Ganze als „richtig heiß" bezeichnet. Ich fand heraus, wie ich mich bewegen, hinsetzen, hinstellen und baden musste, um die zarte, abheilende Haut nicht zu reizen und um das unangenehmen Gefühl zu vermeiden, das schon bei der kleinsten Berührung des Piercings auftrat. Leider waren jegliche sexuelle Aktivitäten vier Wochen lang tabu und deswegen muss ich erst noch rausfinden, ob an der Sache mit dem gesteigerten Vergnügen wirklich was dran ist.

Als ich lernte, mit meinem frisch verzierten Körper umzugehen, verwarf ich auch meine dumme Vorstellung davon, was „normal" ist und was nicht. Es ist nämlich nicht alles so einfach und schwarz-weiß, wie ich es mir immer gedacht hatte. Ich bin jetzt meine eigene Version einer netten und normalen jungen Frau—eine, die sich eben im Intimbereich piercen ließ.


Lead-Image: Bjoern Schwarz | Flickr | CC BY 2.0