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Motherboard

HerrNewstime zum Kampf gegen Artikel 13: "Da kann ich nicht neutral bleiben"

Deutschlands aktivster News-YouTuber spricht im Interview darüber, wie die geplante EU-Reform das freie Internet bedroht und warum die CDU ihn nervt.
Screenshot: Der YouTuber HerrNewsTime vor seinem Mikrofon.
Bild: Screenshot | YouTube | HerrNewsTime

Wer wissen will, was auf YouTube gerade Phase ist, der kommt an Thomas Hackner nicht vorbei. Der 28-Jährige, der vor der Kamera immer ein Holzfällerhemd trägt, zeigt auf seinem Kanal HerrNewstime eine Mischung aus Influencer-News und Medienjournalismus über YouTube. Häufig ist er der erste, der berichtet – etwa, wenn die Polizei bei einem deutschen YouTube-Star nach Falschgeld sucht, wenn Deutschlands größter Twitch-Streamer MontanaBlack plötzlich Online-Glückspiel abfeiert oder wenn ein umstrittener Influencer wie der Drachenlord auf Pornhub aktiv wird.

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Doch manchmal ergreift HerrNewstime in seinen "Nachrichten" klar Partei. Vor allem die jüngsten Videos des YouTubers sind stark von Aktivismus geprägt. Hackner unterstützt mit Nachdruck den Widerstand Hunderttausender Nutzer gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform, insbesondere Artikel 13. Viele Expertinnen, Politikerinnen und Journalisten sagen: Artikel 13 wird das freie Internet durch Uploadfilter gefährden. Das befürchten natürlich auch YouTuber wie Hackner selbst. Bei einer Demonstration, zu denen rund 1.500 Menschen am 16. Februar in Köln zusammenkamen, stand HerrNewsTime am Mikrofon und brüllte: "Artikel 13 ist die größte Scheiße überhaupt!"

Im Interview mit VICE erklärt der News-YouTuber, warum er die Proteste gegen Artikel 13 als historisch betrachtet – und wieso er da ganz vorne mit dabei sein möchte.

VICE: Wie viele Anti-Artikel-13-Videos wird es auf HerrNewstime noch geben?
Thomas: Weiß ich nicht. Es geht alles so schnell. Ich sehe mich da als Getriebener.

Am 13. Februar hast du in einem Live-Stream Axel Voss (CDU) aus dem EU-Parlament hitzig interviewt. Er ist der bekannteste Befürworter dieser Reform. Warum habt ihr euch gestritten?
Ich habe mich hinreißen lassen. Der ganze Tag war wie ein Krimi für mich. Der Trilog aus EU-Parlament, Rat und Kommission sollte eine Einigung zu Artikel 13 bekannt geben. Ich war in meinem Aufnahmestudio in NRW, und in Straßburg im EU-Parlament war Dominic, einer der Initiatoren der Petition gegen Artikel 13. Er hatte Skype auf dem Smartphone, und darüber hat er live auf meinen YouTube-Kanal gestreamt. Die Zuschauerzahl war riesig, wir hatten mehr als 13.000 Live-Zuschauer. Alles war spontan. Ich hätte nicht gedacht, dass Axel Voss mir ein Interview gibt. Aber Dominic ist zu ihm gelaufen, hat ihm die Kamera vor die Nase gehalten und gesagt: 'Hi, Herr Voss, Sie sind jetzt live im Internet!' Und dann saß ich da und hatte das Gefühl, bei Argumenten macht Voss alle Schotten dicht. Es war ein Streitgespräch. Das war Interview-technisch keine Meisterleistung von mir.

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Willst du sonst lieber friedliche Interviews führen?
Ja, wenn ich ein Video mache, will ich fair sein. Aber bei Voss ist mir das nicht gelungen. Sonst versuche ich, journalistisch zu arbeiten.

Bezeichnest du dich als Journalist?
Es gibt einige Beiträge von mir, die ich durchaus als journalistisch bezeichnen würde. Aber ich habe kein Volontariat gemacht und nicht Journalismus studiert. Ich würde nicht behaupten, dass ich sämtliche Standards kenne. Ich würde sagen, ich bin eine Mischung. Ein Hybrid aus Journalist und YouTuber.

Als du in Köln vor Tausenden Demonstranten gerufen hast 'Artikel 13 ist die größte Scheiße überhaupt!' – warst du da Journalist?
Nein. Ich finde Artikel 13 einfach falsch. Da kann ich kein Journalist sein. Ich würde diesem Berufsstand damit keinen Gefallen tun. Ich bin ja nicht nur auf eine Demo gegangen und habe darüber berichtet, ich habe das aktiv unterstützt. Das macht man als Journalist nicht. Alles, was mit Artikel 13 zu tun hat, ist für mich eine Ausnahmesituation. Und ich bin mir sicher, die Zuschauer verstehen, dass ich zu dem Thema nicht als Journalist spreche. Ich würde das als Kampf um das freie Internet bezeichnen. Ich fiebere da mit. Ich will das aufrichtig unterstützen.

"Das Internet könnte sich zurückentwickeln"

Inzwischen bist du der deutsche YouTuber, der wohl am lautesten gegen Artikel 13 trommelt.
Das mag sein. Und da fühle ich mich auch gar nicht schlecht bei. Ich glaube nämlich, dass wir mit Artikel 13 wirklich ein Problem im Netz bekommen.

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Was könnte die EU-Reform deiner Meinung nach anrichten?
Ich fürchte, das nutzergenerierte Internet, wie wir es jetzt kennen, ist nach dieser Reform nicht mehr möglich. Die großen Plattformen könnten durch Artikel 13 wegen Urheberrechtsverletzungen in Grund und Boden geklagt werden. Deshalb werden sie gezwungen sein, Uploadfilter einzurichten und im Zweifel gar keine kreativen Inhalte mehr durchzulassen. Das Internet könnte sich dann zurückentwickeln und so werden wie damals, als es vor allem private Blogs gab. Die Nutzer müssten sich in Nischen zurückziehen, auf kleine, dezentrale Plattformen, die wegen ihrer geringen Größe nicht von Artikel 13 betroffen sind. Aber die Faszination des Internets heute liegt ja gerade darin, dass man auf großen Plattformen so viele Menschen erreichen kann.

Wie lautet dein Gegenvorschlag für einen besseren Artikel 13?
Ich würde als Vorbild für eine Reform das US-amerikanische Fair-Use-Prinzip wählen. Das ist tausendmal besser als Artikel 13. Vereinfacht gesagt erlaubt Fair Use, dass du urheberrechtlich geschütztes Material erst mal verwenden kannst, solange du daraus ein eigenes Werk machst. So etwas muss erlaubt sein, alles andere ist nicht zeitgemäß.

Schon im Herbst 2018 haben zahlreiche YouTuber kritische Videos zu Artikel 13 veröffentlicht. Aber auf die Straße hat es der breite Protest nicht geschafft. Warum ausgerechnet jetzt?
Ich glaube, viele haben das Gefühl: Jetzt oder nie. Wenn wir jetzt nichts machen, ist es zu spät.

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Einer der viralen Hashtags zu Artikel 13 lautet #NieMehrCDU. Das geht weit über die Kritik an der EU-Reform hinaus. Geht da gerade die Kontrolle über den Protest verloren?
Naja, wenn man sich die vergangene Abstimmung anschaut, sieht man, dass besonders viele CDU-Abgeordnete nicht gegen Artikel 13 gestimmt haben. Und wenn eine Partei den Eindruck vermittelt, als wollte sie das freie Internet, wie wir es kennen, abschaffen, dann ist es ganz verständlich, dass dann auch ein solcher Hashtag entsteht.



YouTube-Deutschland war bisher nicht gerade dafür bekannt, politisch zu sein. Erleben wir gerade die Politisierung der deutschen YouTuber?
Ich finde schon, das ist ein Ereignis der Zeitgeschichte. Im Jahr 2012 gab es auch wegen ACTA große Proteste, aber da war YouTube noch nicht so groß. Am 16. Februar in Köln waren sogar große YouTuber wie iBlali, Concrafter Luca und HeyMoritz auf der Straße.

Sicher, dass all die YouTuber nicht nur deshalb mitlaufen, weil es gerade um ihren eigenen Job geht?
Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass Artikel 13 die größten YouTuber am wenigsten betrifft. Die Plattformen werden mit denen schon irgendwelche Agreements machen, damit deren Arbeit nicht massiv gestört wird. Die ersten, die mit Artikel 13 Probleme bekommen, sind die kleinen Kanäle, die kreativen Leute, die jetzt mit Social Media anfangen und groß werden wollen.

"Ich protestiere nicht, damit es Google gut geht"

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Gegen Artikel 13 zu sein ist bei der aktuellen Stimmung sicher auch gut für die eigene Reichweite als YouTuber, oder?
Mir ist gerade komplett egal, welche Abos ich gewinne und wie viel Geld mir das bringt. Bei der Demonstration in Köln sind auch YouTuber mitgelaufen, die danach nicht mal ein Video dazu gedreht haben. Die sind von dem Thema überzeugt.

Die Trilog-Verhandlungen in der EU sind ja schon abgeschlossen. Bleibt noch die finale Zustimmung des Parlaments. Hat der Protest überhaupt eine Chance?
Ich glaube, ja. Auch weil die Europawahl bevorsteht. Das Thema bekommt jetzt so viel Öffentlichkeit, dass viele EU-Abgeordnete gezwungen sind, sich zu äußern. Sie müssen sagen, ob sie dafür sind oder dagegen. Auch innerhalb der CDU regt sich Widerstand. Das stimmt mich optimistisch.

Wenn YouTube strenge Uploadfilter einführen muss, wird es teuer für die Plattform. YouTubes Mutterkonzern Google hat deshalb in den letzten Monaten mit Werbebannern ebenfalls heftig gegen Artikel 13 lobbyiert. Wenn sich Google anschaut, was du grade machst, würden die sich wohl denken: Läuft gut für uns.
Das mag durchaus sein. Aber ich protestiere nicht, damit es Google gut geht. Ich mache das, damit das Internet die Freiheit behält, die es gerade hat

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