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Drogen

Zwei Tage im Studio mit D.R.A.M.

"Früher saß ich mies gelaunt vor dem Internet rum, aber heute presche ich einfach los, sobald mir jemand ein Mic in die Hand gibt."

Porträt von Jill Frank

Aus der Music Issue 2016

Im Sommer 2008 traf eine Crew in Cheboygan im US-Bundesstaat Michigan ein, um einen Eisbrecher auf einem der Great Lakes zu streichen. Unter den Angeheuerten waren Shelley Massenburg-Smith, sein Bruder und sein bester Freund TJ. Die Kunde verbreitete sich in dem verschlafenen Örtchen wie ein Lauffeuer: Es gab sonst kaum Schwarze in der Gegend. Neugierige Einheimische fragten sie beim Einkaufen, ob sie Obama wählen würden. Obwohl die Männer eigentlich gleich für mehrere Jobs engagiert worden waren, wurde das Trio nach einem Monat gefeuert—was eigenartig war, denn die anderen Arbeiter waren offenbar das viel größere Problem.

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Massenburg-Smith, besser bekannt als der Musiker D.R.A.M., erzählt mir all das, als ich ihm eine Frage zu seinem musikalischen Werdegang stelle. Er brach das College in Kentucky ab, wo er unerklärlicherweise hingezogen war, um ein berühmter Rapper zu werden, und kehrte in seinen Heimatstaat Virginia zurück. Nach der Geschichte mit dem Schiffe streichen arbeitete er in einem Callcenter, bevor er seinen musikalischen Durchbruch hatte.

Wenn D.R.A.M. anfängt, über etwas zu sprechen, weiß man oft nicht, was gleich aus ihm hervorblubbert oder in welche Richtung es ihn ziehen wird—zum Beispiel nach Michigan. Wenn er dabei manchmal vom Weg abkommt, schreibt er das seinem Alter Ego "Big Baby" zu, das für seine schelmische Seite steht. Mit seiner kräftigen Statur, den langen Dreads und seiner zerstreuten, fröhlich-charmanten Art gleicht er einem menschlichen Bernhardiner.

Er findet alles bemerkenswert und interessant—eine Neugier, die sich in seiner Musik widerspiegelt. Sein demnächst erscheinendes Debütalbum Big Baby D.R.A.M. enthält einen großartigen Song über Liebe und WLAN-Verbindungen. In seiner Hit-Single "Broccoli" weicht er vom Stoner-Thema ab und beschreibt seinen Durchbruch als den Moment, in dem er auf den Geschmack von Lachsbagel mit Kapern kam.

An einem sonnigen Nachmittag Ende August steht D.R.A.M. in einem Studio in der Südstaatenmetropole Atlanta und verpasst seinem Album den letzten Schliff. Plaketten für Alben von Missy Elliott und OutKast hängen an den Wänden. Ein leichter Grasgeruch liegt in der Luft; D.R.A.M. dreht sich den ersten von vielen Joints. "Broccoli" hat eben Platz 19 der Billboard Hot 100 erreicht (inzwischen sogar Platz sechs). Überhaupt erobert der Song unerwartet diverse Charts: SoundCloud, musical.ly, iTunes.

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Der Track entstand in Kollaboration mit dem polarisierenden Teen-Rapper Lil Yachty, den D.R.A.M. als den "Inbegriff alles Neuen und Aktuellen" sieht. Der legendäre Produzent Rick Rubin stellte die beiden einander vor. Den Rappern gelang mit "Broccoli" ein Coup, und inzwischen ist D.R.A.M. zu einem der gefragtesten neuen Künstler der heutigen Zeit geworden.

Das Interesse an Kinderliedern, das er und Chances Bandkollege Donnie Trumpet teilen, inspirierte sie zu dem Song "You are very special".

"Am Anfang des Jahres dachte ich mir: '2016 wird mein Jahr. Ich mache was draus'", sagt D.R.A.M. und erzählt begeistert von der guten Stimmung und dem sonnigen Wetter, das er vorfand, als er in L.A. ernsthaft begann, an Big Baby zu arbeiten. "Es wird mein Jahr, aber dein Jahr kann es von mir aus auch werden—es soll einfach ein Jahr sein, das man als Triumphjahr für D.R.A.M. anerkennt."

Triumphe hat D.R.A.M. tatsächlich schon einige errungen. Sein Durchbruch-Mixtape #1Epic Summer mit den Songs „$" und "Cha Cha" rief Tonangeber wie Rubin und Erykah Badu auf den Plan. Letztere konnte D.R.A.M. für eine Kollaboration gewinnen. Sein Talent für HipHop mit einer warmen, melodischen Funk- und R&B-Palette hat ihn schon mit Kanye West, Pablo Dylan und vielen anderen ins Studio gebracht.

Ein Track namens "Password" begann als Song für Beyoncé, doch sie stieg aus und setzte D.R.A.M. stattdessen mit Mike WiLL Made-It und Diplo in Verbindung. Der Song handelt von Vertrauen und Handy-Passwörtern und ist repräsentativ für D.R.A.M.s Fähigkeit, einen gefühlvollen Ton zu finden, wo andere nur Oberfläche sehen. Er hat auch keine Scheu davor, direkt zu sein und vielleicht etwas blöde zu klingen: In einem Gast-Track auf Chance the Rappers neuem Album Coloring Book singt er "You are very special" mit einer solch souligen Inbrunst, dass es schmalzig klänge, wäre D.R.A.M. nicht durch und durch aufrichtig. Das Interesse an Kinderliedern, das er und Chances Bandkollege Donnie Trumpet teilen, inspirierte sie zu dem Song.

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Viele hörten D.R.A.M. allerdings zum ersten Mal letzten Herbst, als Drake einen Song namens "Hotline Bling (Cha Cha Remix)" herausbrachte, der anscheinend auf D.R.A.M.s "Cha Cha" basierte, jedoch bald zu "Hotline Bling" umbenannt wurde. Der Track wurde ein Welthit, und viele, darunter D.R.A.M. selbst, meinen, dies sei auf D.R.A.M.s Kosten geschehen.

Drake hat D.R.A.M. nie angesprochen, und in einem Interview mit The Fader spielte er die Ähnlichkeit herunter und behauptete, seine Interpretation des Songs sei dasselbe wie der Einsatz des gleichen Riddims unter Dancehall-Künstlern. ("Das ist Bullshit. Das ist Bullshit. Das ist Bullshit", klagt D.R.A.M.)

"Früher saß ich mies gelaunt rum, aber heute presche ich einfach los, sobald mir jemand ein Mic in die Hand gibt."

"Ich will ehrlich sein: Insgeheim hat es mit fertig gemacht", sagt mir D.R.A.M. "Ich war so am Boden deswegen. Ich wusste, was ich schon alles erreicht hatte, aber letzten Endes interessiert das die Leute einen Dreck." Inzwischen ist er darüber hinweg—„Ich kann zu dem Shit tanzen"—doch damals zweifelte er ziemlich an sich. "Cha Cha" war seit einem Jahr auf dem Markt und kam zwar bei seinen täglichen Opener-Auftritten für Chance the Rapper gut an, doch es konnte alleine nicht mehr genug Aufmerksamkeit erzeugen.

"Früher saß ich mies gelaunt vor dem Internet rum, aber heute presche ich einfach los, sobald mir jemand ein Mic in die Hand gibt", sagt er. Seine darauffolgende EP Gahdamn!, die als Kollaboration mit Chances Band The Social Experiment vermarktet werden sollte, wurde nicht so öffentlich gemacht, wie er es sich gewünscht hatte.

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Die düstere Stimmung der EP passte nur bedingt zu seinen energiegeladenen Bühnenauftritten, bei denen er crowdsurfte und das Publikum zum Ausflippen brachte. Doch "ein paar Stunden später wachst du morgens auf und denkst: 'Ich weiß, dass dieser Shit trotzdem nachlässt.' Ich telefonierte rum, so: 'Gibt's keine Shows, Mann? Keine Afterpartys?' Ich war vorher der Afterparty-Sensei!" Er verprasste Geld für teure Airbnbs und wilde Partys, doch er ritt auf einer abflauenden Welle.

"Ich halte das auch im Nachhinein für einen Segen, weil ich mich langsam auf dem Song ausgeruht habe", sagt er über den nachlassenden Erfolg von "Cha Cha". D.R.A.M. wusste schon vor seinem Durchbruch, wie man die Ärmel hochkrempelt. Seine alleinerziehende Mutter war beim Militär, weswegen er in Deutschland geboren ist. Während seiner Jugend in Hampton, Virginia, machte er bei Kirchen- und Schulchören mit und nahm jede Gelegenheit für ein Solo wahr.

Im Rap-Genre fiel es ihm schwerer, den Erfolg zu greifen. Während des Studiums in Kentucky gründete er eine Gruppe namens MTM (More Than Money), doch damit wurde es nichts ("Wir waren runtergekommen!", lacht er). Wieder zu Hause in Virginia geriet er in eine kleine Studioszene, die sich als Sackgasse herausstellte. Seine Mutter und seine Großeltern fingen an, seine Ambitionen mit Skepsis zu betrachten.

"Als ich klein war, hieß es: 'Aus dir wird mal was, aus dir wird mal was'", sagt er. "Und dann sahen sie einfach Niggas, die kifften und versuchten, Rap-Songs zu machen, und waren nicht so heiß drauf." Dann lernte er den örtlichen Producer Gabe Niles kennen und es machte klick. Seine Musik wurde sonniger und melodischer, angefangen mit der positiven Stimmung von "$".

Anfangs sahen die beiden "Cha Cha" als Teaser-Track für D.R.A.M.s Liveshow vor, doch die Reaktionen fielen dermaßen positiv aus, dass sie daraus einen richtigen Song machten. Heute ist der Track ein Hit, doch er ist keineswegs repräsentativ für alles, was D.R.A.M. auf die Bühne bringt. Als D.R.A.M. dieses Jahr zum Independence Day in New York auftrat, war er gleichzeitig Soul-Legende und Pastor, der seine Gemeinde mit "trappy go lucky"-Vibes segnet.

Wer D.R.A.M. besucht, wird in seine Welt gesogen. Als er nach dem Interview vor dem Studio für Fotos posiert, findet er es ausnahmsweise unangenehm, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Bald lockert er sich aber, tanzt albern herum und improvisiert eine Melodie. Er schlendert umher und singt "pay your bills", vielleicht inspiriert von unserer Unterhaltung über seinen Inkasso-Job.

Eine Strophe über die Gefahren der Kreditkartenschulden purzelt hervor. Er trägt eine "Broccoli"-Cap und einen Anorak mit einem niedlichen Dinosaurier drauf, beides Fan-Geschenke. Die Jacke könnte Big Baby-Merch sein. Er dreht sich in der Auffahrt und blickt zum Studio, während er den improvisierten Song zu Ende bringt, anscheinend genauso fasziniert von seinem Werk wie der Rest von uns—seine Freunde, ich, die Fotografin. Er grinst breit. "Sollte ich vielleicht aufnehmen."