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Wie können sexuelle Übergriffe auf Frauen verhindert werden?

Warum weder Verhaltenstipps noch ideologische Scheuklappen sexuelle Übergriffe auf Frauen verhindern können. Wir brauchen eine andere Antwort auf die Ereignisse in Köln.
Screenshot via Youtube

Letztens schrieb mir meine Mama eine besorgte SMS, in der stand, sie habe in der Zeitung gelesen, dass sich Frauen in Wien mit Pfefferspray oder Alarm ausrüsten sollten. Danach lag sie mir in den Ohren, dass ich mir doch endlich so etwas kaufen sollte.

Grafik des Tages: Plötzlich wird nach „Pfefferspray

— FAZ Wirtschaft (@FAZ_Wirtschaft)11. Januar 2016

Klar, Mütter sind oft überfürsorglich und ja, manchmal auch unbegründet hysterisch. Aber Diskussionen über „Frau sein" und wie sich Frauen am besten verhalten sollen, sind gerade omnipresent. Anscheinend sind diese Diskurse und Ängste jetzt sogar schon in meinem Kaff angekommen. Seit den Ereignissen zu Silvester in Köln hat so ziemlich jeder seinen Senf, seine Tipps und Vorstellungen dazu abgegeben, was Feminismus und Emanzipation heute bedeuten. Seit dieser SMS stelle auch ich mir zum ersten Mal Fragen, die ich früher sofort dem rechten Rand zugeschrieben hätte: Ist es vielleicht wirklich so weit, dass man sich als Frau auch in Wien so ein Ding kaufen muss, um sich weiterhin sicher zu fühlen? Und entsteht diese Angst aus reiner Propaganda oder gibt es wirklich Grund für erhöhte Vorsicht?

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Sehr viel Kritik hagelte es für die Aussage von Polizeichef Pürstl zu dem Thema: „Frauen sollten nachts generell in Begleitung unterwegs sein, Angst-Räume meiden und in Lokalen keine Getränke von Fremden annehmen." Meine eigene Reaktion darauf war eher ambivalent. Ein Teil von mir fühlte das Bedürfnis nach Aufschrei—ich lasse mir sicher nicht von einem Mann sagen, wie ich mich verhalten soll und wie nicht. Und gleichzeitig dachte ich „ja eh, hat eh recht".

An sich gehört es durchaus zu den Aufgaben eines Polizeichefs, der Bevölkerung grundsätzlich Tipps zu geben, wie diese mit ihrem Verhalten Gefahren am besten minimieren sollen. Man sollte in Lokalen auch keine Getränke von Fremden annehmen, Angsträume meiden und zum Beispiel nicht in eine Horde Hooligans laufen—purer Hausverstand und Überlebensinstinkt. Und ja, wenn ich die Wahl habe, renne ich nachts lieber in einer Gruppe herum als allein.

Genau um dieses Konzept von „die Wahl haben" geht es aber. Ein selbstständiger Mensch zu sein, bedeutet eben auch, allein durch Wien gehen zu können, ohne sich fragen zu müssen, ob man gerade das „Recht" dazu hat oder zu wenig auf eine mögliche Bedrohung achtet. Es geht hier nicht nur um Risikominimierung, sondern auch um die Frage, wem eigentlich der öffentliche Raum gehört. Wem steht welcher Teil der Öffentlichkeit zur Verfügung? Wer darf sich U-Bahnen, Straßen und Clubs zu eigen machen? Und wie darf sich wer wo verhalten?

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„Sollen Frauen nun mit Bodyguards herumlaufen, damit sie später nicht in die Ecke ,selber schuld' gedrängt werden?", fragt sich auch Grünen-Frauensprecherin Berivan Aslan in einer Aussendung. Sie spielt damit auf den problematischen Teil der Aussage des Polizeichefs an: Immerhin beinhaltet diese zumindest indirekt, dass Frauen nach wie vor einen Beschützer brauchen. Schlägt man einen weiten Bogen, kann diese Aussage als eine Rückführung zum Patriarchat interpretiert werden. Daraus erklärt sich auch die Kritik an seiner Aussage von vielen Seiten. Kritik daran übt auch Corina Milborn in ihrem Facebook-Post aus.

Dieser Aufruf klingt grundsätzlich gut und macht Mut, aber gleichzeitig ist er nicht zu Ende gedacht. Ja, wir dürfen uns nicht kleinkriegen lassen und uns nicht zuhause verstecken. Milborn geht dabei aber von einer idealistischen Welt aus, die wir Frauen allein durch unser Verhalten beeinflussen können. Das sehe ich anders: auch wenn wir alle rausgehen und auf reale Bedrohungen scheißen, ändert das nichts an dem tiefer liegenden Problem: der fehlenden Gleichberechtigung.

Dass wir uns gegenseitig Mut machen, ist ein wichtiger erster Schritt. Aber das ist noch keine Lösung für das eigentliche Problem: Dass Männer hier scheinbar immer noch das Gefühl haben, dass Frauen irgendwie unter ihnen stehen und sie diese sexuell belästigen können.

Wäre es in Köln „nur" um Taschendiebstähle ohne jegliche sexuelle Belästigung und Übergriffe gegangen und hätte danach der Polizeichef im Interview der Bevölkerung dazu geraten, die Taschen immer geschlossen zu halten und Brieftaschen nicht in der Gesäßtasche aufzubewahren, dann hätte sich vermutlich niemand aufgeregt. Auch beim Beispiel mit den Taschendieben wird klar, dass Tipps gegen den Diebstahl nicht das eigentliche Problem lösen.

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Selbst, wenn jeder seine Tasche geschlossen hält und Wertgegenstände nur noch gut versteckt bei sich trägt, wird es noch Diebstähle geben. Auch, wenn sich jede Frau auf der Welt an alle Verhaltenstipps hält, die ihr von (männlichen) Autoritäten erteilt werden, würden auf der Welt noch Vergewaltigungen passieren. Es gibt also keine Verhaltensregel, die in irgendeiner Form das Victim-Blaming rechtfertigt, das bei sexueller und sexualisierter Gewalt immer wieder betrieben wird. Frauen sind nicht daran Schuld, dass sie belästigt und vergewaltigt werden. Und darum darf auch Prüstls Aussage nicht die einzige Antwort auf die Ereignisse in Köln sein. Umgekehrt sollte man aber auch nicht pragmatische Tipps mit ideologischen Vorschriften verwechseln.

Lasst uns um den öffentlichen Raum kämpfen, aber nicht mit einem naiven Bild von der Welt da draußen, sondern einem realistischen.

Das Problem muss viel tiefgreifender gelöst werden. Dabei gibt es nicht die eine Antwort, die morgen alles lösen kann. Denn sexuelle Übergriffe haben viel mit Macht und Gleichberechtigung zu tun. An diesem Verständnis von Gleichberechtigung kann man nur langsam arbeiten—mit viel Bildung, Aufklärung und auch Zivilcourage. Und zwar nicht nur bei Asylsuchenden und Zuwanderern, sondern auch bei einheimischen Männern.

Wie genau das passieren soll, muss man sich noch im Detail überlegen, aber mit ziemlicher Sicherheit sollte die Aufklärung so breit wie möglich erfolgen: mit Workshops in Schulen, einem eigenen Schulfach, öffentlichen Kampagnen und ganz gezielten Aktionen. Denn frauenverachtendes Verhalten darf in unserer Gesellschaft keinen Funken von Verständnis mehr bekommen.

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Es ist natürlich auch die Bereitschaft in der Bevölkerung gefragt. Wir müssen alle aufeinander aufpassen und füreinander eintreten. Das beginnt schon damit, dass Frauen und Männer zum Beispiel noch immer oft in zweierlei Maße gemessen werden. Der australische Moderator Karl Stefanovic trug ein Jahr lang bewusst den selben Anzug und niemand bemerkte es. Während seine Kollegin regelmäßig wegen ihrer Kleidung kritisiert wurde.

Beginnt man, Männer und Frauen gleich zu betrachten, ist das natürlich auch nur ein kleiner Schritt und es geht dabei um oberflächlichen Sexismus. Aber genau das ist die Basis für jede Form von Gleichstellung zwischen den Geschlechtern, die hoffentlich irgendwann dazu führt, dass es weniger sexuelle Übergriffe auf Frauen gibt.

Darum ja, gehen wir erhobenen Hauptes auf die Straße und kämpfen wir um den öffentlichen Raum. Aber nicht mit einem naiven Bild von der Welt da draußen, sondern einem realistischen, das die Gefahren nicht einfach durch Ideologie wegzudenken versucht.

Eva auf Twitter: @immerwiederEva

Titelbild via Youtube