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Popkultur

Wenn Filme zu Serien werden

Momentan scheint das Fernsehen verstärkt auf brand recognition zu setzen, da wir geradezu eine Explosion an TV-Serien beobachten können, die auf erfolgreichen Kinofilmen basieren.
Screenshots aus den jeweiligen Serien

Hollywood-Filme, die auf TV-Serien basieren, sind schon lange nichts Außergewöhnliches mehr. In der Tat fühlen sie sich wie das Ergebnis eines Trends an, der seinen Höhepunkt in den Neunzigern (irgendwo zwischen Mission: Impossible und Charlie's Angels) überschritten hat und über den es sich schon kaum mehr zu reden lohnt. Immerhin sind wir es mittlerweile gewohnt, dass die US-amerikanische Filmindustrie mehr denn je auf den Wiedererkennungswert möglichst weitläufig etablierter Marken setzt.

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Das ist auch einer der Gründe, warum seit gut zehn Jahren viele das US-Fernsehen als Vorzeigemedium für originelle, intelligente und handwerklich gekonnte Unterhaltung hochhalten. The Sopranos, Mad Men, The Wire, Breaking Bad, Game of Thrones—wer auf der Suche nach spannend erzählten, charakterbasierten Geschichten war, fühlte sich auf dem kleinen Schirm oft besser aufgehoben als auf der großen Leinwand, wo die Filmindustrie mit Comic-Spektakeln und 3D-Technologie um Relevanz kämpfte.

Momentan scheint das Fernsehen aber ebenfalls verstärkt auf brand recognition zu setzen, da wir aktuell geradezu eine Explosion an TV-Serien beobachten können, die ihrerseits auf erfolgreichen Kinofilmen basieren. Das ist nun kein ganz neues Phänomen. Man denke an Buffy The Vampire Slayer, dessen TV-Adaption die Popularität des Original-Kinofilms weit übertroffen hat, oder auch an Robert Altmans 1970er-Klassiker M*A*S*H, der gar als Vorbild für insgesamt drei Fernsehserien herhalten musste (M*A*S*H, AfterMASH und Trapper John, M.D.). Von den unzähligen Samstag-Morgen-Cartoons, die erfolgreiche Kinofilme für ein jüngeres Publikum adaptierten, will ich ja gar nicht anfangen.

In letzter Zeit jedoch sind verstärkt Bemühungen zu bemerken, bekannte Filmlizenzen als doch recht ambitionierte Dramaserien zu verwursten. Terminator: The Sarah Connor Chronicles hatte 2008 noch einen gewissen novelty factor, aber heute erscheint es uns schon geradezu logisch, dass auf Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D. seinerseits die Serie Gotham folgen muss, damit sowohl das Avengers- als auch das The Dark Knight-Franchise im Fernsehen vertreten ist. Serien dieser Art laufen allerdings immer Gefahr, gezwungen wirkende Trittbrettfahrer zu sein, die sich Fans vor allem deshalb ansehen, um einen Cameo oder ein Stück Backstory ihrer Filmhelden zu erhaschen.

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Immerhin sind sie zwangsweise auf Nebenschauplätze verlegt, die eher wie Begleitmaterial zu ihren jeweiligen Filmreihen dienen als eigenständige Geschichten. Agents of S.H.I.E.L.D., gerade erst im September gestartet, stellt die aus den Filmen bekannte Nebenfigur Agenten Phil Coulson in den Mittelpunkt, im geplanten Gotham soll sich ein junger Jim Gordon die Polizeikarriereleiter hocharbeiten. Die größte Herausforderung, die es für beide Serien zu meistern gilt, ist, den Impuls des Zuschauers zu unterdrücken, doch eigentlich lieber Iron Man oder Batman zuzusehen.

Allein in diesem Jahr gestartet sind zudem gleich drei Serien, die auf schon etwas älteren, aber nach wie vor sehr beliebten Horrorfilmen beruhen. Den Anfang machte Bates' Motel im März, basierend auf Alfred Hitchcocks Psycho, im April folgte Hannibal, basierend auf den Hannibal-Lecter-Filmen und im September Sleepy Hollow, basierend auf dem gleichnamigen Film von Tim Burton. Natürlich kann man in allen drei Fällen argumentieren, dass ja einfach nur die jeweilige Buchvorlage neu interpretiert wird, aber come on. Oder eloquenter ausgedrückt: Die Ästhetiken der im kollektiven Bewusstsein eingebrannten Filmadaptionen haben natürlich ganz klar ihre Spuren hinterlassen.

So hat man für Bates' Motel die berühmte Absteige samt ikonischer Gruselvilla beeindruckend originalgetreu dem Hitchcock-Set nachempfunden. Inhaltlich kommt die Serie jedoch weniger nach Psycho, sondern eigentlich mehr nach Psycho IV: The Beginning - erzählt wird nämlich die origin story von Norman Bates (Freddie Highmore), bekannt aus der Filmgeschichte als durchgeknallter Killer mit Persönlichkeitsspaltung und Mutterkomplex, hier allerdings noch zarte Siebzehn und nicht komplett dem Irrsinn verfallen. Im Mittelpunkt steht aber natürlich Normans Mutter Norma, mit Hollywood-MILF Vera Farmiga geradezu perfekt besetzt. Bates' Motel lebt von Normas Mischung aus subtiler Erotik und batshit insanity, und wie sie damit ihren armen Norman näher und näher an den unausweichlichen Abgrund drängt. Das beginnt ziemlich verstörend—Vergewaltigungssequenz in der ersten Folge inklusive—bricht aber spätestens in der Mitte der Staffel in genussvollen und recht amüsanten Camp um.

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Wer weniger auf Inzest und mehr auf kreative Serienkiller steht, sollte Hannibal eine Chance geben. Auch hier gelang Serienentwickler Bryan Fuller (Pushing Daisies) und NBC ein grandioser Casting-Coup. Wenn eine Figur so stark mit einem Schauspieler verbunden ist wie Hannibal Lecter mit Anthony Hopkins, muss man schon viel Gespür beweisen, um nicht alle anzupissen—und das ist gelungen: Mads Fucking Mikkelsen, seines Zeichens coole dänische Sau, blutweinender Bond-Bösewicht in Casino Royale, schweigsamer Wikinger in Valhalla Rising und bemitleidenswerter Kindergärtner in Jagten, spielt den kultivierten Kannibalen mit unterkühltem, aber sichtlichem Genuss.

Die erste Staffel ist noch vor den Ereignissen des ersten Lecter-Romans Red Dragon angesiedelt, als noch niemand etwas über die moralisch fragwürdigen Neigungen des guten Doktors weiß, nicht einmal der geniale Profiler Will Graham (Hugh Dancy, ganz klar William Petersons Interpretation der Figur aus Michael Manns Film Manhunter heraufbeschwörend), dem Lecter als Psychologe zur Seite gestellt wird. Nach der Pilotfolge beschlich mich schon die Angst, dass das Ganze auf eine prozedurale Krimiserie hinausläuft, in der Graham und Lecter als schrulliges Ermittlerduo regelmäßig den Mord der Woche aufklären. ("One is a brilliant young profiler, tortured by his gift and at the brink of losing his mind, the other … is a cannibal. Together they solve crimes!"), aber dazu kommt es glücklicherweise nicht—vielmehr entwickelt sich Hannibal zu einem Porno für morbide Hobby-Psychologen mit beachtlichem Gore-Level. Der große Plan für die Serie ist über sieben Staffeln hinweg die gesamte Lecter-Saga zu erzählen, also inklusive Red Dragon, The Silence of The Lambs und Hannibal. Ein weiter Weg, aber zumindest eine zweite Staffel wurde bereits fix angekündigt.

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Sleepy Hollow schließlich—die erste Staffel läuft gerade noch auf Fox—ist nicht edgy und nicht abgründig, sondern stellt recht schnell klar, dass man hier vor allem Spaß haben will. Immerhin ist einer der Köpfe hinter der Serie Kate-Beckinsale-Stecher Len Wiseman, vorrangig bekannt für die Underworld-Filme. Man lasse sich die Prämisse auf der Zunge zergehen: Ichabod Crane (gespielt vom feschen Briten Tom Mison) stirbt 1781 im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, nachdem er einem maskierten Soldaten im Kampf den Kopf abgeschlagen hat, wird aber im Jahr 2013 wiedergeboren, wo der kopflose Unhold auch bereits wieder sein Unwesen treibt, der sich noch dazu bald als einer der vier Reiter der Apokalypse herausstellt. Zusammen mit einer taffen schwarten Polizistin (Nicole Beharie) muss Crane nun den Untergang der Welt verhindern und sich dabei an die kulturellen Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts anpassen. Hilarity ensues. Dazu kommt, dass sich die Produktionswerte wirklich sehen lassen können. So geben die für TV-Verhältnisse wirklich feinen Spezialeffekte und Actionsequenzen der Serie auch ganz ohne Tim-Burton-Faktor das nötige cinematische Feel.

Aber vielleicht sollten wir überhaupt aufhören, in TV-Serien nach Kino-Ästhetik zu suchen, und sie lieber machen lassen, was sie am besten können: kunstfertig verschachtelte Geschichten erzählen, die genussvoll mit Spannungsbögen, Twists und Cliffhangern arbeiten und uns interessante Figuren Woche für Woche näherbringen. Für Serien, die auf filmische oder durch Filme bekanntgewordene Stoffe zurückgreifen, ist es eben doppelt schwer, diesen Vergleichen zu entgehen.

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Alle Fotos sind Screencaps aus den jeweiligen Serien (wenn nicht anders angegeben)

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