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Indigener Widerstand im kolumbianischen Bürgerkrieg Teil II

Die Guardia Indígena harrt in ihren Dörfern aus, egal wie viele Bomben täglich einschlagen. Und unser Autor mit ihnen.

Immer wieder Schüsse aus nächster Nähe, immer wieder schlagen die Geschosse der FARC-Rebellen in der unmittelbaren Nähe des Dorfes ein und bringen die Familien Tacueyos um den Schlaf. Für mich ist diese Nacht im Norden Caucas eine Grenzerfahrung, für die indigenen Bewohner der umkämpften Bergregion Alltag. Als ich mit meinem Gastgeber Eswald am nächsten Morgen ins Dorf komme, diskutieren die Männer darüber, warum die kolumbianische Armee keine starke Gegenattacke wagte. Wenn die Armee zu antworten beginnt—mit Helikoptern, Flugzeugen und Bodentruppen—dann gehen die Gefechte manchmal wochenlang, Tag und Nacht. Ein nachdenklicher Luis Acosta, nationaler Koordinator der Guardia Indígena, beschreibt mir die Machtlosigkeit der Wächter: „Unsere grösste Schwäche ist: Wir laufen allen immer nur hinterher. Der Krieg will, dass wir teilnehmen. Links sind die Guerilla, rechts das Militär. Und wir in der Mitte."

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"Wenn die Guerilla schiessen, schiesst das Militär. Wir sind immer in grosser Gefahr, wir haben Verletzte, wir haben Tote.“ Im Kreuzfeuer der Gefechte sind die Mitglieder der Guardia auch nur Zivilisten—unbewaffnet voll Angst um ihr Leben, das Leben ihrer Familie, das ihrer Freunde. Sobald geschossen wird, sind alle Unbewaffneten gleich. Warten und hoffen.

Es ist ein Warten darauf, dass ihre Stimme in den Friedensverhandlungen gehört wird. Ein Hoffen, dass sich ihre Realität ändern könnte. Die Skepsis überwiegt: „Einen wahren Frieden wird unsere Generation nicht erleben“, ist sich Luis Acosta sicher, „selbst mit einem Waffenstillstand zwischen FARC und der Regierung leben die Konflikte des Landes weiter, die sozialen, die politischen, die wirtschaftlichen.“ Er erklärt, dass sich die Situation sogar verschärfen könnte, denn der Kampf um die Vorherrschaft in den Regionen und um die Kontrolle der wichtigen Drogenrouten würde weiter anschwellen.

Kokain ist heute der Motor des Konfliktes und auch wenn die Guardia versucht, den Anbau in den Gemeinden zu bekämpfen, bleibt die Droge ein übermächtiger Gegner. Sobald es dunkel wird, sieht man die Lichter der Koka- und Marihuana-Plantagen in den umliegenden Tälern.

Immer mehr Indigene werden selbst Teil des Kreislaufes und beginnen Koka und Marihuana anzubauen, immer mehr suchen das schnelle Geld in ihrer scheinbar ausweglosen Situation. Im Gegensatz zu der Kokatradition der Nachbarländer wird in Kolumbien ein Grossteil des Kokas zur Kokainproduktion verwendet. Auch ein Teilnehmer des CRIC-Treffens gehört zu den Kokabauern. Seine Berufswahl kann er begründen: „Bei Marihuana dauert es vier Monate bis die Pflanzen fertig für den Verkauf sind, bei Koka drei, während ich bei Yuka, Lulo oder Kaffee immer über ein Jahr bis zur Ernte warten muss. Und dann weiss ich nicht, wie viel Geld ich dafür überhaupt noch bekomme.“

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Keiner hier kann sich vorstellen zu fliehen: „Wenn es ganz schlimm ist, gehen wir für eine Weile zu Verwandten im nächsten Dorf, aber sobald es ruhiger wird, kommen wir wieder zurück“, erklärt er.

„Das ist alles, was wir haben—unser Stück Land, unsere heiligen Orte sind hier. Unsere Vorfahren leben noch in diesen Bergen.“ Sie akzeptieren die Kriegsrealität, denn sonst würden sie wie die meisten der über 5 Millionen Binnenflüchtlingen in Kolumbien in einem Grosstadt-Slum landen.

Bei unserem Gespräch stehen wir neben einem Haus mit einem klaffenden Loch in der Decke. Hier schlug vor einem Monat ein selbstgebauter Gaszylinder der FARC ein. Viky Yuliet Soto, ein 17-jähriges Mädchen, starb an diesem Nachmittag im eigenen Wohnzimmer. Die Mutter lebt noch heute hier. Im Eingang des Hauses erinnern zwei Kerzen und einige Blumen an den Todesort von Viky.

Die Mutter steht etwas abseits der Anderen. Ihr Blick verliert sich in den Bergen, ihrer "madre tierra". Was sie wohl über den Friedensprozess denkt? Ich traue mich nicht zu fragen. Wahrscheinlich hätte sie dieselbe Antwort wie die meisten hier: Ein trauriges Lächeln.

Wahrscheinlich kennt sie das Wort Frieden schon lange nicht mehr, kennt wie all ihre Nachbarn nur die nie enden wollenden Listen der Toten. Unter ihnen sind Anführer, Verwandte und Kinder.

Trotz ihrer Machtlosigkeit zeigen die Bewohner im Norden Caucas—mit ihrer Beharrlichkeit, mit ihrem bedingungslos gewaltlosen und auf Argumenten basierenden Widerstand—dem ganzen Land wie es funktionieren könnte. Obwohl sie selbst nicht daran glauben wollen. „Der Frieden ist eine Illusion“, ruft einer der Anführer in die Versammlung von Tacueyo. Und alle nicken.

Der erste Teil unserer Reportage "Indigener Widerstand im kolumbianischen Bürgerkrieg"