Ein Asylbewerberheim ist der Jackpot für den NPD-Wahlkampf

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Ein Asylbewerberheim ist der Jackpot für den NPD-Wahlkampf

Die NPD mobilisierte in Schneeberg mit rassistischer Hetze einen Mob aus knapp 2000 Demonstranten und schürte die diffusen Ängste der Bürger mit Hassparolen gegen das nahegelegene Asylbewerberheim.

Letzten Samstag sind wir nach Schneeberg, einen Ort in Sachsen mit 14.500 Einwohnern,  gefahren, weil die NPD hier ein weiteres Mal einen Mob von circa 2000 Demonstranten lauthals gegen eine nahegelegene Asylbewerberunterkunft mobilisierte.

Bereits vor zwei Wochen bewegte sich schonmal ein etwas beängstigender Fackelzug durch die engen Gassen der Innenstadt, bei dem nicht nur bekannte Nazis aus den umliegenden 100 km teilnahmen, sondern auch zahlreiche Bewohner mitzogen, um ihren Ärger über die kürzlich untergebrachten Asylanten öffentlich abzulassen.

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Dabei kam es uns vor, als würden die teilnehmenden Bürger nicht bedenken, dass dieses Bild, von außen betrachtet, etwas danach aussieht, als würden sie mit der NPD und deren nationalistischen und rassistischen Ideologie sympathisieren. Nachdem verschiedene Medien den Trupp dann noch als braunen Flaschmob bezeichneten, sah man sich absolut falsch dargestellt. Im gleichen Atemzug fühlte man sich näher zur NPD hingezogen, die seit jeher mit den gleichen „Lügen“ der Presse zu kämpfen hat und den Bürgern nun stützend zur Seite steht.

Obwohl Tendenzen für uns zu sehen waren, ist es wahrscheinlich zu voreilig, Schneeberg als Nazi-Loch abzustempeln. Es scheint, als würden viele Bürger momentan unwissentlich ins rechte Spektrum geködert und als würden sie sich dabei jeglicher Verantwortung entziehen.

Die Positionierung der Bürger nach rechts hat vielleicht eher was mit psychologischen Mechanismen zu tun als mit den Asylbewerbern in der Kaserne am Stadtrand. Diese Entwicklung ist sehr besorgniserregend und zeigt, wie gut moderne rechtspopulistische Manipulation funktioniert.

Das ganze kam ins Rollen, nachdem das Erstaufnahmelager in Chemnitz vor wenigen Wochen überquoll und nach einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen einigen Heimbewohnern ein zweiter Ort gefunden werden musste. Kurzerhand mietete der Freistaat Gebäude der unbenutzten Jägerkaserne in Schneeberg, um dort ungefähr 400 Asylbewerber, darunter viele Kinder, unterzubringen, während ihre Anträge geprüft werden.

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Die Jägerkaserne wurde allerdings in den 90ern für 65 Millionen Euro aufpoliert, mit einer Turnhalle sowie einem Schwimmbad versehen und ein Jahr nach der Schließung 2008 für nur 2 Millionen Euro an eine Privatperson verkauft, die jetzt einen Teil vermietet, um die Asylbewerber dort zu beherbergen.

Für die Bewohner ist es ein Ding der Unmöglichkeit, dass nun Fremde kostenlos in ihrer geschichtsreichen und hochmodernen Kaserne wohnen dürfen, ohne dass sie rechtzeitig benachrichtigt wurden. Zumal vielleicht ein Teil davon in Chemnitz sogar gewalttätig in Erscheinung getreten ist.

Die plötzliche Umsiedlung und die fehlende Transparenz des Vorgangs weckten zusätzliche Gefühle von Misstrauen und schürte die Angst vor Fremden, die bei einigen im Inneren schlummert. Die NPD sah hier natürlich einen optimalen Nährboden für rechtes Gedankengut, wurde aktiv und veranstaltet jetzt alle paar Wochen einen „friedlichen“ Umzug vom Marktplatz durch die Straßen, bei denen sich Gerüchte über die Heimbewohner wie ein Lauffeuer verbreiten lassen.

Aus Angst wird Hass und aus einem friedlichen Umzug kann eine Armee entstehen, wenn es nicht weitere Begegnungen mit den Fremden gibt und eine Aufklärung scheitert.

Der Bürgermeister versucht, mit verschiedenen Info-Veranstaltungen den Bürgern die Fakten zu liefern und lädt dabei sogar Asylbewerber aus dem Heim ein, um ein Kennenlernen zu ermöglichen.

Noch prangen Schilder mit der Aufschrift „Wir sind Bürger, keine Nazis“ aus der Menge.

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Doch bis zu welchem Grad ist diese Aussage tragbar? Wie lange dauert es, bis die Grenzen für einen selbst verschwimmen?

Die Bewohner von Schneeberg sollten diese Fragen im Hinterkopf behalten, wenn sie auch noch bei den nächsten Anti-Asyl-Demonstrationen der NPD teilnehmen.

Fotos: Björn Kietzmann

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Der Nazi-Ork aus Hellersdorf

Ein Schild auf der antirassistischen Demonstration, das die Verhältnisse in Schneeberg auf den Punkt bringt.

Am Stadtrand versammelten sich die Teilnehmer am Startpunkt der antirassistischen Demonstration.

Neben Antifa-Gruppen riefen auch Abteilungen von SPD, Linkspartei, Grünen und Gewerkschaften zum Protest gegen Rassismus auf.

Auftaktkundgebung zum Aufmarsch gegen die Flüchtlingsunterkunft.

Aufmarsch gegen Flüchtlingsunterkunft. Als Hauptredner trat der NPD-Landtagsabgeordnete Mario Löffler (in der Mitte) auf. Die Moderation der Veranstaltung übernahm der NPD-Kreisvorsitzende Stefan Hartung (rechts), der auch die Versammlung auch angemeldet hatte.

Teilnehmer des Protestes gegen die Flüchtlingsunterkunft auf dem Marktplatz.

Die antirassistische Demonstration an den Polizeiabsperrungen zum Marktplatz, wo die NPD-Auftaktkundgebung stattfand.

Der Aufmarsch gegen die Flüchtlingsunterkunft startet.

Die Demonstranten skandieren gemeinsam mit der NPD „Wir sind das Volk“ und protestieren gegen eine „Überfremdung“ ihrer Stadt—Nazis wollen sie jedoch keine sein.

Die Polizei genehmigte für den Fackelmarsch gegen das Flüchtlingsheim nur 50 Fackeln.

Die NPD und andere Gegner der Flüchtlingsunterkunft wollen sich angeblich für mehr Demokratie einsetzen. Gemeint ist hiermit die Durchführung von Volksabstimmungen über die Schließung von Flüchtlingsunterkünften.