Jemand packt Cannabis in eine Tüte; ein Gras-Dealer erklärt in einem offenen Brief, was die Ampel-Regierung bei der Legalisierung von Marihuana berücksichtigen sollte
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Drogen

Offener Brief eines Gras-Dealers: Vergesst uns nicht bei der Legalisierung

Wir haben euch jahrelang geholfen, high zu werden. Jetzt müsst ihr uns helfen.
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Alles zur Cannabis-Legalisierung

Die kommende Ampel-Regierung plant, Cannabis zu legalisieren. Sollte sie das wirklich tun, würde Deutschland zum ersten Land in Europa werden, das offiziell den Kampf gegen Gras beendet.

Die Nachricht hat Investoren, Aktivistinnen und Kiffer in helle Aufregung versetzt. Immerhin haben sie genau dafür jahre-, wenn nicht jahrzehntelang gekämpft. Aber was ist mit den Dealern?

Anfang 2013 standen Beamte der Londoner Metropolitan Police mit einem Durchsuchungsbefehl vor meiner Wohnung. Sie fanden ein halbes Kilo Gras, umgerechnet 7.000 Euro Bargeld, knapp 30 Gramm MDMA und ein paar Gramm Koks. Mein Mitbewohner hatte kurz davor Pizza bestellt, und so durfte dann ein perplex dreinschauender Lieferant mitansehen, wie Polizeibeamte säckeweise Beweismittel wegtrugen. Ich bekam 30 Monate. Das Gefängnis ist nicht der beste Ort für eine Sinnkrise, die Suizidgedanken blieben mir auch noch Jahre danach erhalten.

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Seit September dieses Jahres bin ich wieder das Ziel von Ermittlungen. Dieses Mal soll ich ein geheimes Gewächshaus betrieben haben. Wenn alles schiefläuft, und ich schuldig gesprochen werde, bin ich richtig gefickt – auch dann, wenn Großbritannien dem deutschen Vorbild folgen sollte. Immerhin wollen mehr als die Hälfte aller Britinnen und Briten die Legalisierung von Cannabis.

Aber was wird die Legalisierung für die Menschen in Deutschland bedeuten, die mit Blut, Schweiß, Tränen und Hochleistungsdünger den Markt über Jahrzehnte aufgebaut und versorgt haben? Werden sie die Möglichkeit haben, von der Legalisierung zu profitieren, oder werden mal wieder große Konzerne alles kaputtmachen? Und vor allem: Werden endlich mal ein paar Lektionen aus der Geschichte des Kampfs gegen die Drogen gezogen? Liebe Ampel-Regierung, hier sind ein paar Ratschläge, wie ihr es nicht versaut.

Zunächst mal: Nur weil sich etwas außerhalb des legalen Bereichs abspielt, heißt das nicht, dass es automatisch unmoralisch ist – und andersherum. Erinnern wir uns: Sklaverei war auch mal legal. Momentan kann dir der Anbau bestimmter Pflanzen in Deutschland einen Besuch von der Polizei bescheren, in Kalifornien würdest du hingegen als erfolgreicher Unternehmer durchgehen. Wird etwas allein dadurch richtig oder falsch, auf welcher Seite einer ausgedachten Linie du dich befindest?

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Für viele Menschen sind Dealer immer noch gierige Kriminelle. Selbst wenn sie nichts dagegen haben, mal einen Joint zu rauchen oder eine Line zu ziehen, sind sie, wenn es um uns geht, ratzfatz auf ihrem hohen Ross. Einfach nur, weil wir es wagen, mit dem Zeug Geld zu verdienen. Was glaubst du denn, wie du an den Stoff drankommst?

Die meisten von uns sind auch nicht diese gewalttätigen und skrupellosen Typen, die du aus Filmen kennst, die Abhängige wie Scheiße behandeln und nur nach einem Grund suchen, dir die Fresse zu polieren. Diese Gestalten gibt es natürlich auch, aber die 28 Prozent der europäischen Erwachsenen, die schon mal gekifft haben, sind in großer Mehrzahl ganz normale Menschen mit ganz normalen Jobs, die solche Typen viel zu einschüchternd fänden. Vergleiche: Moritz Bleibtreu als dauerbreiter Pizzalieferant in Lammbock und Moritz Bleibtreu als unberechenbarer Gangsterboss in Chiko. Wenn ihr nicht alle Bock hättet zu kiffen, dann gäbe es Leute wie uns nicht. Und wir sollen die Bösen sein? Das ist der gleiche einseitige Moralismus, der sich begeistert zu Pornos einen runterholt, aber die Frauen, die das Angebot ermöglichen, als ehrlose Huren bezeichnet.

"Die Ampelregierung kann aus den Fehlern lernen, die beim Legalisierungsprozess in Nordamerika gemacht wurden."

Ich hasse es außerdem, wenn Leute behaupten, wir würden nicht wirklich arbeiten. Bitte? Zu unmöglichen Uhrzeiten Anrufe entgegennehmen, für Lieferungen durch die halbe Stadt gurken – ständig in Gefahr, festgenommen oder ausgeraubt zu werden –, nur damit du dir die Augen glasig rauchen kannst. Ist das keine Arbeit? Sollen wir das lieber als Ehrenamt machen?

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Aber es geht auch anders dumm: "Mit einem solchen Geschäftssinn könntest du doch alles machen, warum gerade das?" Dabei wird nicht bedacht, dass die Einstiegskosten auf dem Schwarzmarkt gering und die Gewinne verhältnismäßig hoch sind. Die Nachfrage ist konstant und von Bürokratie keine Spur. Für ärmere Menschen bietet das Dealen so eine vergleichsweise leichte, wenn auch riskante Möglichkeit, Geld zu verdienen. Die Hürden für den Start eines legalen Geschäfts sind hingegen hoch. Und hier kann die Ampelregierung aus den Fehlern lernen, die beim Legalisierungsprozess in Nordamerika gemacht wurden.

Seitdem verdienen dort nämlich vor allem reiche Geschäftsleute am Gras, die nie eine Nacht in einer Gefängniszelle verbringen mussten. Diejenigen, die am meisten unter der Prohibition gelitten haben und massenhaft eingesperrt wurden, haben mal wieder das Nachsehen.

2018 gab es in den USA immer noch mehr Verhaftungen im Zusammenhang mit Marihuana als für alle Gewaltverbrechen zusammen. In jedem US-Bundesstaat – selbst dort, wo Cannabis legalisiert wurde – ist die Wahrscheinlichkeit für Schwarze immer schon größer, auf dem Rücksitz eines Polizeiwagens zu landen. Und solche Festnahmen zerstören Leben. Sie führen zu einem schlechten Führungszeugnis, zu Gefängnis, zerrütteten Familien, Zwangsräumungen oder Abschiebungen. Sie können dich deinen Job kosten, deinen Anspruch auf Sozialhilfe und sogar dein Recht zu wählen. Im Landesdurchschnitt sind Schwarze dreieinhalbmal mal so häufig davon betroffen wie Weiße. In Pickens County, Georgia, ist es sogar fast hundertmal wahrscheinlicher.

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Gleichzeitig werden nur 4,3 Prozent der Cannabis-Verkaufsstellen im Land von Afroamerikanern betrieben. Es sind wieder einmal die Weißen Eliten, die reicher werden, während arme Schwarze Menschen in den vergangenen Jahrzehnten den Preis dafür gezahlt haben.

"Es ist wie jedes andere Geschäft: Wenn du nicht das nötige Kapital hast, kommst du nicht rein", hat der Neurowissenschaftler und Drogenaktivist Carl Hart mal zu mir gesagt. "Wenn du das mit dem Netzwerk des Weißen Durchschnittsmenschen vergleichst, hat der Schwarze Durchschnittsmensch keine Chance. Das ist aber kein Problem der Drogengesetze, sondern ein Kapitalismusproblem. Wir wären naiv, zu glauben, dass Drogengesetze 400 Jahre Rassismus in den USA lösen würden."

In Humboldt County, Nordkalifornien, hat der Cannabis-Anbau eine lange Tradition, die Generationen zurückreicht. Seit der Legalisierung werden diese Outlaw-Farmer von Tech-Bros gemolken. Sie können sich nämlich die Lizenzen nicht leisten oder bekommen kein Darlehen für das Startkapital. Die Geschäftsleute, die jetzt in der Region Grasplantagen aufziehen, sind bereits reich.

Auch weiter im Norden, in Kanada, waren es vor allem Schwarze und Indigene, die jahrzehntelang überproportional wegen Marihuana verhaftet wurden. Selbst nach der landesweiten Legalisierung 2018 wurde nur eine Handvoll von ihnen begnadigt oder entschädigt. Kanadas Cannabis-Industrie wird von großen Konzernen dominiert, und wie in den USA fehlen den meisten Kleinbauern die Möglichkeiten, den legalen Weg einzuschlagen.

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Stattdessen mischen Leute wie Torontos ehemaliger Polizeichef, Julian Fantino, im Geschäft mit. Jahrelang hatte Fantino Menschen wegen Cannabis ins Gefängnis gesteckt, die Legalisierung mit Mord verglichen und als konservativer Politiker ein Anti-Cannabis-Gesetz verabschiedet. 2017 gab er dann bekannt, ein Unternehmen für medizinisches Cannabis zu gründen. Die Begründung: Gespräche mit traumatisierten Kriegsveteranen hätten seine Einstellung zu Gras verändert. Von Julian Fantino Gras zu kaufen, ist in etwa so, wie sich von Greta Thunberg einen SUV andrehen zu lassen. Vergangenes Jahr zog sich Fantino dann doch aus dem Unternehmen zurück.

Dank extrem strenger Vorgaben blüht der illegale Handel in Kanada aber weiterhin. Es gibt einfach viel zu wenige legale Verkaufsstellen, um die Nachfrage zu decken. Außerdem ist die Auswahl dort begrenzt und teuer. Nur etwas über die Hälfte aller Kifferinnen und Kiffer in Kanada holen sich ihr Gras ausschließlich von legalen Geschäften und Onlineshops. Der Rest versorgt sich immer noch von althergebrachten Quellen wie den indigenen Gemeinschaften oder den Straßendealern. Wahrscheinlich wären auch diese Menschen nur allzu gerne in den legalen Bereich gewechselt, wären die Regeln nicht so streng, wären die Steuerabgaben nicht so verdammt hoch und würden nicht nur so wenige Lizenzen vergeben. Dass dem Staat dabei mehrere Millionen an Steuergeldern durch die Lappen gehen, versteht sich von selbst.

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Also was nun? Indem sie den Verkauf legalisieren, geben die Politikerinnen und Politiker indirekt zu, dass das Verbot der Pflanze falsch war. Dementsprechend waren wir Dealer, ohne die die Stoner-Kultur nicht bis zur Legalisierung überlebt hätte, im Recht. Der Krieg gegen Drogen hat endlich einen Sieger … und zwar die Drogen! Warum sollten diejenigen, die nichts für die Kultur geopfert haben und jetzt nur eine weitere Investitionsmöglichkeit wittern, die ganzen Profite einfahren? Lasst doch die, die ihre Freiheit, ihre Jobaussichten und ihre persönliche Unversehrtheit riskiert haben, um Deutschland ein dümmliches Grinsen ins Gesicht zu zaubern, die ersten sein, die von dem neuen Gesetz profitieren.

Wie geht das? Erstens sollten alle Menschen, die wegen gewaltfreien Drogendelikten im Gefängnis sitzen, freigelassen und begnadigt werden. Lasst sie einfach laufen! Solange sie nicht in andere illegale Geschäfte involviert sind, gibt es keinen Grund, dass jemand einen Teil seines Lebens verlieren sollte, nur weil ein paar Hipster Eimer rauchen wollten.

Zweitens lässt sich Geschehenes vielleicht nicht ändern, aber man kann Lizenzen priorisieren und Steuererleichterungen für die Menschen ermöglichen, die wegen Drogenvergehen verurteilt wurden – und auch für ihre Familien, die ebenfalls gelitten haben. Gleichzeitig sollten größere Unternehmen Anreize bekommen, mit diesen Menschen zusammenzuarbeiten oder sie einzustellen. In diesen Punkten hat Deutschland bislang noch einen großen Vorteil gegenüber den USA, wo ähnliche Programme gescheitert sind, die für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen sollten. Da Cannabis dort nicht auf Bundesebene, sondern nur von einzelnen Staaten legalisiert wurde, dürfen zum Beispiel Banken keine Darlehen für diesen Geschäftszweig bereitstellen. Das ist einer der Gründe, warum Schwarze Unternehmerinnen und Unternehmer nicht mit Weißen mithalten können, die bereits das nötige Startkapital haben. Aber im Gegensatz zu Joe Biden plant die Ampel-Regierung eine Legalisierung von Cannabis auf Bundesebene.

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Und zu guter Letzt: Gesetze und Verordnungen sind wichtig, aber oft werden sie von Menschen entworfen und verabschiedet, die nicht wirklich wissen, wovon sie eigentlich reden. Nehmen wir zum Beispiel den neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Der behauptete noch im Oktober, dass Cannabis immer häufiger mit neuartigem Heroin versetzt sei. In Deutschland ist allerdings kein solcher Fall bekannt. Die Regierung muss eng mit denen zusammenarbeiten, die Cannabis rauchen, verkaufen und anbauen – nicht nur, damit auch Kleinunternehmer eine Chance haben, sondern damit die Kundinnen und Kunden am Ende bekommen, was sie wollen. Sonst endet ihr in der gleichen Situation wie Kanada, wo große Konzerne den Markt dominieren, ohne die Nachfrage auch nur ansatzweise zu bedienen.

Ich beobachte weiterhin gespannt von Großbritannien aus die Entwicklung, denn auf den Weg, den Deutschland einschlägt, wird das restliche Europa bestimmt folgen. Ich hoffe einfach, dass Deutschlands Weg gerecht gegenüber all denen ist, deren Leben zerstört wurden – und zwar nicht durchs Kiffen, sondern durch die Gesetze dagegen.

Update, 9. Dezember, 14:24 Uhr: Wir haben eine Mengenangabe zu den Quellen für legales Cannabis in Kanada aktualisiert.

Niko Vorobyov ist ein behördlich zertifizierter (verurteilter) Drogendealer und inzwischen Autor. Über den internationalen Drogenhandel hat er das Buch Dopeworld veröffentlicht. Folgt ihm auf Twitter unter @Lemmiwinks_III

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