Die Zürcherin Barbara Davatz hat Paare fotografisch durch ihre Leben begleitet
Foto: Barbara Davatz

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Die Zürcherin Barbara Davatz hat Paare fotografisch durch ihre Leben begleitet

Ihr Zeitdokument ging um die Welt. Wir haben mit der Fotografin über das Projekt und ihr neues Buch gesprochen.

Die Zürcher Fotografin Barbara Davatz hat 1982 damit begonnen, Menschen in Paaren zu porträtieren. Nicht irgendwelche Menschen, sondern immer dieselben. In unregelmässigen Abständen hat sie diese Protagonisten und deren engstes Umfeld ins Studio geladen und die Serie As Time Goes By so zu einem wunderbaren Einblick in die Entwicklung zwischenmenschlicher Beziehungen und einzelner Lebensläufe werden lassen. Die Fotos aus den Jahren 1982, 1988 und 1997 sind 1999 in einer ersten Edition erschienen.

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2014 erweiterte Davatz ihr Werk um eine neue Generation an Bildern. Nach 32 Jahren erzählen die Porträts nicht mehr nur Geschichten der persönlichen Entwicklung—sie sind zu einem Epos geworden, der das Zusammenspiel zwischen Mensch und Zeit zeigt. Die Bilder erzählen in drei Generationen von Trennungen, neuer Liebe und modischen Veränderungen.

Zum Anlass ihrer Einzelausstellung in der Fotostiftung Winterthur habe ich mit Barbara Davatz telefoniert, um mit ihr über ihr „Lebenswerk" zu sprechen.

VICE: Was hat dich damals interessiert, als du das Projekt begonnen hast?
Barbara Davatz: Damals hat es in Zürich gebrodelt. Die Jugend musste sich in der Stadt Freiräume erkämpfen. Ich habe sehr viel Sympathie entwickelt für dieses Anliegen und die Leute, die diese Bewegung vorantrieben. Ich habe ihre Kreativität in Form von gesprayten Fassaden, Plakaten, Printsachen, Zeitungen und Sprüchen sehr geschätzt. Die „Bewegler" waren auch sprachlich sehr versiert.

Ich habe das alles toll gefunden, die ganze Bewegung war eine kreative Explosion, Zürich ist wirklich aufgerüttelt worden. Ich habe nicht aktiv mitgemacht, ich war sehr fest mit dem Beruf beschäftigt, ich bin also nicht demonstrieren gegangen. Ich war damals freischaffende Fotografin und arbeitete für verschiedene Zeitschriften. Aber ich fand es gut und interessant, was die Jungen dort gemacht haben.

Alle Fotos von Barbara Davatz

Ist deine Arbeit also von den Zürcher Krawallen in den Achtzigern geprägt? Geht es um kreativen Freiraum?
Diese Arbeit ist keine direkte Folge dieser Stimmung hat aber indirekt mit ihr zu tun. Mir ging es ursprünglich nur darum, dass die Leute mit ihrem Äusseren, also man kann das Wort „Styling" gebrauchen—ich gebrauche das nicht so gerne—eine Aussage machen. Diese Aussage machen sie mit ihrer Selbstdarstellung, mit ihren Kleidern, mit dem Haarschnitt und mit den Accessoires. Sie sagen etwas aus, über sich und ihre Lebensanschauung. Wenn das im Doppel passiert—also als Pärchen—ist das eine doppelte Botschaft und kommt stärker rüber. Das ist es, was mich fasziniert hat.

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Wie bist du an deine Protagonisten herangekommen?
Angefangen hat alles mit Kurt und Nicola. Das sind Freunde von mir. Ich fand die beiden faszinierend zusammen. Beide trugen damals blonde Bürstenschnitte und waren fast immer von oben bis unten schwarz gekleidet. Die Sachen waren selbst gemacht oder aus dem Brockenhaus—einfach toll. Die zwei waren die Initialzündung. Von ihnen ging die Inspiration aus, Leute zu porträtieren, die eben durch ihre gemeinsame Erscheinung im Doppel, eine Weltanschauung, einen Lebensstil kommunizierten. Und von da an, habe ich nach weiteren Paaren gesucht, die durch ihr Äusseres dasselbe taten.

Nach welchen Kriterien hast du die Protagonisten ausgesucht?
Das primäre Kriterium war, dass die Leute ein ungewöhnliches und interessantes Äusseres—Gestalt, Gesichter und Kleider—hatten. Sie sollten nicht der Mainstream-Mode folgen, sie mussten eben eine „Botschaft" haben, die sich in der Verdoppelung verstärkte. So zum Beispiel Beni und Andi, die beiden „Bewegler". Sie machten mit den zerrissenen Kleidern ein bewusstes Statement gegen das „Establishment". Das war die Botschaft, die sie nach aussen trugen, wenn sie die Strasse entlangliefen.

Und wie bist du dazu gekommen, die beiden zu fotografieren?
Wir standen eines abends in einer langen Schlange vor der Kasse in einem Lebensmittelladen im Seefeld. Der Eine trug einen Stoffmantel, der Andere einen Ledermantel, bei dem das Futter heraushing, der Pulli war zerrissen. Ich erinnere mich, dass Benis grüner Pullover mit roter Wolle geflickt war. Ich hatte etwas Zeit, um die beiden zu studieren und dachte mir: Die zwei wären toll. Schliesslich habe ich Mut gefasst und gesagt: „Hey ihr zwei! Ich bin Fotografin und bin gerade an einer Porträtserie—wäre es denkbar, dass ich euch für mein Projekt fotografiere?"

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Die haben sehr skeptisch reagiert, ich bin ja 20 Jahre älter als sie. Du weisst schon: „Don't trust anyone over thirty"! Aber die haben mich dann zwei Tage später in ihre WG eingeladen und dort gab es so etwas wie ein Vorstellungsgespräch. Dazu gab es Kaffee und ich zeigte ihnen meine Arbeitsmappe. Die Chemie stimmte sofort und wir haben wenig später dieses wunderschöne Doppel-Porträt gemacht. Ein Lieblingsbild von mir, bis heute.

Andi und Beni 1982

War es dein ursprünglicher Plan, die Leute über eine so lange Zeitspanne zu porträtieren?
Nicht unbedingt, das hat mit ganz konkreten Zufällen zu tun. Ich war ja eigentlich Berufsfotografin und habe hart gearbeitet, meine künstlerische Arbeit lief eher so nebenher. Eines Tages kamen Nikolaus Wyss und Walter Keller bei mir im Studio vorbei. Sie suchten nach geeignetem Fotomaterial für ihre Zeitschrift Der Alltag. Die Sensationen des Gewöhnlichen.

Walter sah sich die Paar-Porträts an, die ich gemacht hatte und meinte: „Falls du die Serie einmal erweitern willst, würde ich sie auf jeden Fall im Heft publizieren … " Ich hatte schon vorher daran gedacht, die Serie weiterzuführen, aber die berufliche Arbeit liess nicht viel Zeit übrig. Das Interesse der beiden und die Tatsache, dass die Bilder jetzt nicht einfach in meinem Archiv landen würden, sondern sich jemand aktiv auf eine Fortsetzung freuen würde, war ungemein motivierend. Ich machte mich sofort an die Arbeit und es sind schlussendlich 15 neue Aufnahmen entstanden.

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Und wie ging es danach weiter?
Im Dezember 1996 nahm Sigrid Pallmert, Kuratorin für Mode und Textilien am Schweizer Landesmuseum Kontakt mit mir auf. Sie plante zu jenem Zeitpunkt die Ausstellung Modedesign Schweiz 1972–1997 und wollte die beiden Serien von 1982 beziehungsweise 1988 in diesem Zusammenhang ausstellen. Natürlich sagte ich zu. Ihre grosse Begeisterung für meine Arbeit trug ebenfalls wesentlich dazu bei, dass ich die Energie aufbrachte, die Serie dann nochmals weiterzuführen. Dieses Mal sind weitere 24 Bilder dazugekommen, und zum ersten Mal ein Kind.

Hat die voyeuristische Komponente durch die verlängerte Zeitspanne nicht enorm zugenommen?
Ja, das Projekt hat tatsächlich ein voyeuristisches Element. Ich mache konzeptuelle Porträt-Serien, in denen die Leute dastehen so wie sie sind und in die Kamera schauen. Also dich anschauen, gewissermassen dich als Gegenüber anschauen. Dann sind die Bilder noch schwarz-weiss, hier fällt auch Beschönigung weg. Und jetzt ist es natürlich auch gleich so, dass der Alterungsprozess der Protagonisten ebenfalls dokumentiert wird, was die Intimität der Serie nochmals verstärkt.

Wie haben sich deine Beziehungen zu den Porträtierten verändert über die Zeit?
Ich bewundere die Menschen, die mitgemacht haben sehr. Ich finde es mutig, sich so zu exponieren, in dieses helle Licht vor der Fachkamera zu stellen, quasi als Studienobjekt.

Ich habe einiges aus den Leben der Protagonisten meiner Serie mitbekommen. Die Beziehungen, die Veränderungen und auch einige Schicksalsschläge. Immer wenn wir Termine ausmachten, haben wir erst lange telefoniert. Schon da wurde einiges besprochen und ich habe immer wieder aufs Neue bemerkt: „Oha, das ist also das echte Leben"; es gibt glückliche Zeiten aber auch Rück- und Tiefschläge. Und immer, wenn wir schliesslich den Termin hinbekommen haben, als ich sie dann ins Oberfuchsloch in Steg zu locken vermochte, plauderten wir und tranken jeweils stundenlang Kaffee bevor wir dann das Bild aufnahmen.

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Das Oberfuchsloch in Steg

Das war wichtig, um die Vertrauensbasis zwischen Model und Fotografin wiederzubeleben. Es braucht einen soliden Boden des Vertrauens für einen derartigen Akt des Blossstellens vor der Kamera. Ich fragte sie, wie es ihnen ergangen sei seit dem letzten Termin und erfuhr so viel über ihre Leben, an denen ich zunehmendes Interesse entwickelte und auch Verbundenheit empfand. Ich entwickelte eine immer stärkere Beziehung zu diesen Leuten.

Und wie hat sich das geäussert?
Nicht nur finde ich sie sympathisch, sie sind mir mit den Jahren vielmehr zu einer Art Familie geworden. Wahrscheinlich ist meine Beziehung zu ihnen anders als umgekehrt. Also sie haben für mich vermutlich eine grössere Bedeutung als ich für sie. Über all die Jahre hinweg, wenn ich etwas in der Zeitung entdeckt habe, wenn jemand einen Film gemacht oder eine Ausstellung oder den Design-Preis bekommen hat, dann habe ich diese Zeitungsberichte, Einladungen, Tickets, Kritiken gesammelt.

Ich habe für jeden „Stamm" eine Mappe und wenn jemand etwas macht, das in die Medien kommt, kommt das in diese Mappe. Ich führe ein Archiv darüber, was diese Menschen gemacht und erlebt haben, wie eine stolze Mutter. Weisst du, wegen des Altersunterschieds. Ich bin ja 10 bis 20 Jahre älter und habe eine sehr spezielle Beziehung zu diesen Leuten entwickelt.

Haben dich diese Schicksalsschläge entsprechend mitgenommen?
Es gab da einige. Es gab auch ein paar Todesfälle—ich war effektiv an zwei Beerdigungen von Leuten, die in dieser Serie vorkommen.

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In einem Fall habe ich die Familie nicht gekannt, aber seine gute Bekannte, die mit ihm in der Serie auftritt—ich will nicht sagen, wer es ist—hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass er bald stirbt. Es gelang, ihm noch ein Buch zu geben kurz bevor er verstarb, das hat ihn sehr gefreut. Seine Familie hat mein Bild von ihm als Todesanzeige verwendet. Dann gab es noch einen zweiten Schicksalsschlag den man aber nicht ahnt in den Aufnahmen, da er nach dem letzten Fototermin passiert ist. Der hat mich sehr beschäftigt.

Hast du aus den Schicksalen deiner Protagonisten Lehren für dein eigenes Leben gezogen?
Nicht eigentlich, da ich meine Lernerfahrungen im eigenen Leben mache, ganz direkt, oder durch meine Lektüre. Ich lese wahnsinnig gerne und recht viel—Zeitungen und Belletristik. Und das gibt mir mehr Lehre fürs Leben als die Biografien von diesen Leuten. Aber eine Beobachtung konnte ich doch machen, nämlich dass es oft die freundschaftlichen Beziehungen sind, bei denen der Eros nicht im Spiel ist, die zu den dauerhaftesten zählen.

Ausgestellt wird die Serie „As TIme Goes By 1972 bis 2014" bis am 16.5. 2016 in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur.

Folge Till auf Twitter: @Trippmann

Folge Vice Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland

Im soeben erschienenen Buch „As Time Goes By" hat Barbara Davatz ihr fotografisches Projekt gebündelt. Das Buch ist im Shop von Edition Frey erhältlich. Wir haben Auszüge daraus.

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Nicola und Kurt 1982

Kurt und Nicola 1988

Barbara und Nicola 1997

Anna und Kurt 1997

Barbara und Pius 2014

Nicola und Angela 2014

Anna und Beat 2014

Elias und Kurt 2014

Andrea, Anna, Leila, Andi 2014

Beni, Charlotte, Lou-Salomé, Natalie 2014

Buch Cover "As Time Goes By" Edition Patrick Frey