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Der blutige Fingerabdruck von Coltan

Wir sprechen mit Dr. Melcher, dem deutschen Experten für Blutmineralien.

Dr. Melcher entnimmt eine Zinnprobe aus einer Mine in Ruanda.

Coltan—dieser so unschuldig anmutende, glitzernde Stoff und Hauptthema des VICE Guide to Congo—hat einen Bürgerkrieg finanziert und mehr als fünf Millionen toter Kongolesen auf dem Gewissen. Das brachte Dr. Frank Melcher dazu, eine Methode zu entwickeln, die es den westlichen Industrien erschwert, sich auf Kosten von Arbeitern an Blutmineralien zu bereichern. Häufig sind Kinder in den Minen beschäftigt, während die Rebellengruppen die Mineralien zu Dumpingpreisen an die großen Industrien verkaufen. Der geologische Fingerabdruck des deutschen Coltan-Experten Dr. Melcher ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Zwischen Probenentnahme und -analyse nahm er sich die Zeit, uns den Mechanismus zu erklären.

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VICE: Wann waren Sie zum ersten Mal im Kongo?
Frank Melcher: Ich bin seit vier Jahren mit dem analytischen Herkunftsnachweis von Coltan beschäftigt. Nachdem unter anderem auch deutsche Firmen ihre Afrikageschäfte (aufgrund von Problemen mit Importen von Coltan) eingestellt hatten, wurde die BGR (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover) vom BMWi (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie) und BMZ (Bundesministerium für technische Zusammenarbeit und Entwicklung) beauftragt, an einer Möglichkeit zu arbeiten, nachzuweisen, woher das Coltan kommt. Auch der Druck von Seiten der UN war äußerst wirksam. Damals dachte man darüber nach, ob man den Blut-Coltan-Handel verhindern könnte, wenn man die Handelswege zurückverfolgen könnte. So kamen wir auf das Projekt. Außerdem wurde von der UN eine Möglichkeit verlangt, die Rohstoffherkunft zu kontrollieren.
Die Weltmarktpreise sind rapide angestiegen und das Image des Kongo-Coltans ist schlecht—nun bleiben die Afrikaner in ihren Hinterhofmärkten auf dem Coltan sitzen.

Wie sieht die Lage im Moment aus?
Im März und April war ich das letzte Mal im Kongo und habe dort auch so einen „Hinterhof“—man nennt sie Comptoirs—besucht. Das sind keine kleinen Firmen, sondern technisch gut ausgerüstete Verbände, die von verschiedenen Quellen Konzentrate der Erze aufkaufen. Sie verarbeiten sie weiter zu einem Endkonzentrat. Sie verbessern also ihre Qualität, um sie exportieren zu können. Die Weiterverarbeitung zu Tantalpulvern und Drähten passiert dann vor allem in Ostasien, Malaysia, China, vielleicht noch in Russland. Es gibt nicht viele dieser Abnehmer. Diese Comptoirs sind finanzkräftige Firmen, sie beschäftigen oft mehrere 100 Leute, die das Erz aufbereiten. Die haben nun seit dem Dodd-Frank Act ein massives Problem. Haben Sie davon schon gehört?

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Abbau von Zinn und Tantal

Nein.
Das ist ein Teil des neuen amerikanischen Finanzmarktgesetzes, das aufgrund der Bankenpleite formuliert worden ist. In diesem Gesetz steht, dass jede Firma, die in den USA an der Börse notiert ist, in Zukunft nachweisen können muss, dass ihre Rohstoffe nicht aus einer Konfliktregion kommen. Das können Sie sich anhand des Beispiels Siemens vorstellen: Siemens hat über 100.000 Zulieferer und die müssen alle auditiert werden, um nachweisen zu können, woher die verschiedenen eingesetzten Rohstoffe kommen. Es muss lückenlos geschehen. In einem PC stecken 30 bis 40 verschiedene Metalle. Nach dem Dodd-Frank Act muss sichergestellt werden, dass sie nicht aus einer Konfliktregion kommen. Deswegen kaufen die Firmen Coltan und Zinn gar nicht erst aus dem Kongo.

Bei einem Unternehmen wie Siemens ist es klar, dass sie alles nachweisen müssen, aber wie sieht es auf den russischen und chinesischen Schwarzmärkten aus, die nicht gerade für ihre ethischen Standards bekannt sind?
Ob es da wirklich drauf ankommt, kann man nicht sagen, aber wenn alle großen Firmen tatsächlich diesem Dodd-Frank Act folgen, kann man nachweisen, wer ihnen das Material zuliefert. Es ist im Idealfall bis zu den Minen zurückverfolgbar. Wenn das läuft, kann auch eine chinesische Zinnschmelze, die Bauteile für Handys herstellt, nichts mehr verschleiern. Aber auch nur, wenn es wirklich befolgt wird. Im Prinzip sitzen die Leute im Kongo gerade auf ihren Rohstoffen fest, die Kriminalität steigt und die Leute versuchen, sich anderweitig zu bereichern. Sie warten darauf, dass ihnen irgendwer hilft, ihre Erze zu vertreiben.

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Was halten Sie vom Solutions for Hope Project, der gemeinsamen „Pro sauberes Coltan aus dem Kongo“-Initiative von AVX/intel/HP?
Das kann meiner Meinung nach nicht funktionieren. Wenn man sieht, wie das dort abgebaut und gehandelt wird, kann man nicht nachvollziehen, wie dieses Material aus der Problemregion im Ostkongo sauber auf den Markt kommen kann. Es gibt viele Initiativen, die sich damit auseinandersetzen, z.B. das Tagging-System der ITRI, die Rohstofftransparenzinitiative der ICGLR (Internationale Konferenz der Große-Seen-Region), EITI, unser Fingerprint-System, die zertifizierten Handelsketten und die Guidelines der OECD. Wir versuchen alle, eine Lösung zu finden. Aber die Region muss es selber wollen und umsetzen, wir können sie nur darin unterstützen. Zunächst muss politisch umgesetzt werden, was bereits gut funktioniert, aber zu den Minen gelangt man nur schwer. Da sieht die Situation sehr schlecht aus. Wenn AVX sagt, sie haben eine Mine im Kongo, die nur für sie liefert, und alles Material, das in Zukunft in AVX-Kondensatoren ist, sei konfliktfrei, kann ich nur den Kopf schütteln. Da etwa 20-25% des eingesetzten Materials bereits recycelt wurde, kann man nicht ausschließen, dass es nicht in irgendeiner Art und Weise bereits mit Konflikt-Coltan in Berührung gekommen ist. Aber es ist gut, dass sie sich jetzt alle in eine andere Richtung entwickeln.

Klingt nach einer guten Chance für China, um an billiges Coltan zu kommen.
Mit Sicherheit ist sehr viel, was in den letzten Jahren aus dem Kongo exportiert wurde, von den Chinesen gekauft worden. Aber die kaufen ohnehin nur von den Comptoirs—das ist auch nicht verboten, es ist nur illegal, wenn das Material vorher geschmuggelt worden ist. Deswegen ist das Tagging-System sehr wichtig, man kann damit relativ problemlos den genauen Ursprungsort herausfinden. Diese Tags werden ständig mit einer Datenbank abgeglichen. Das Tagging-System kann einen Sack ermitteln, der geschmuggelt worden ist, da die Datenbanken der Tags sehr genau sind—wobei es dauern wird, bis wir das Tagging-System flächendeckend nutzen können. In Ruanda ist es allerdings bereits erfolgreich. Das Hauptproblem ist eher, dass aus dem Kongo kaum noch was rausgeht, weil die Welt davon ausgeht, dass das alles Konflikt-Coltan ist—was natürlich nicht stimmt. Viele Gegenden sind legal am Abbau beteiligt. Wir von der BGR finden, dass das eine Katastrophe ist. Man kann nicht alle über einen Kamm scheren. Aber das Einzige, was die Industrie derzeit machen kann, ist, eben nicht aus dem Kongo zu fördern, da sie sonst in Reputationsverlustgefahr kommen.

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Ein Comptoir in Bukavu (Süd-Kivu, Kongo)

Da kommt Ihr geologischer Fingerabdruck genau richtig. Aber ist eine genaue Feststellung nicht problematisch, bei der großen Menge an verschiedensten Coltanvorkommen?
Stellen Sie sich das wie eine Gendatenbank vor: Wir nehmen Proben aus allen Bergbaugebieten und analysieren sie. Die Beprobung ist eigentlich das Hauptproblem. Sie unterscheiden sich, man braucht also eine Vaterprobe. Jedes Coltan hat eine einzigartige Zusammensetzung. Wenn zwei aber vermischt werden—kleine Teile des Materials werden in Big Packs zusammengemischt—wird das schwieriger, aber es ist immer noch möglich, die Endglieder zurückzuverfolgen. Wenn auf einem Container steht, dass das Coltan z.B. aus Mosambik oder Ruanda kommt, gilt es nachzuweisen, ob es nicht doch ein Konfliktmineral ist. Da gibt es ganz eindeutige Parameter. Woher genau es aus dem Kongo stammt, ist dann schon ein wenig mühsamer nachzuweisen. Wenn man alle Vaterproben geprüft hat, kann man mit einer relativ großen Wahrscheinlichkeit sagen, ob die Aufschrift des Sacks stimmt oder nicht. 100% Gewissheit hat man nie. Zusätzlich haben wir Partner vor Ort in der Große-Seen-Region, mit denen wir die Methode des Herkunftsnachweises in der Region aufbauen.

Was häufig kritisiert wird, ist der Preis und Zeitaufwand des Fingerabdrucks hoch.
Das stimmt leider. Es ist eine sehr zeitaufwändige Art, nachzuweisen, woher das Coltan kommt. Aber auch das Tagging ist zeit- und kostenaufwendig. Jeder Produzent zahlt zusätzlich über 500 US-Dollar für das Tagging einer Tonne Zinnerz und für Coltan noch deutlich mehr. Die BGR entwickelt im Auftrag des BMZ das Fingerabdrucksystem und finanziert die komplette Datenbank. Während der Projektlaufzeit von vier Jahren kostet der Fingerabdruck die Regierungen, Firmen und die Endverbraucher dadurch nichts. Aber man kann in der „scharfen“ Phase natürlich nicht jedes Kilogramm kontrollieren, da muss erst mal ein Verdacht aufkommen. Wenn aber eine Probe gezogen wird, muss die regionale Initiative für illegalen Rohstoffexport den Betrag für die Untersuchung bereitstellen.

Nehmen wir an, Sie ziehen eine scharfe Probe aus der Konfliktregion im Kongo, kann es nicht dennoch sein, dass nur wenige Meter weiter eine „faire“ Mine existiert, deren Coltan ähnliche oder gar gleiche Eigenschaften aufweist? Wie differenzieren Sie zwischen den beiden Proben?
Der Abgleich der „scharfen Probe“ mit der Datenbank der Vaterproben sagt uns nur, ob das Material aus einer bestimmten Mine stammt, und nicht, ob diese Mine konfliktfrei ist. Wir sind zum Glück nicht alleine, wir haben die belgische Initiative (IPIS), die kongolesischen Behörden und die UN-Truppe der MONUSCO, die kartieren den Status Quo der Minen im dreimonatigen Abstand. Sie prüfen die Besitzverhältnisse und die Sicherheitslage in den Minen und zeigen auf, welche Gruppe gerade die Mine kontrolliert oder ob ein freier Zugang besteht. Es gibt dafür auch eine Karte, die man sich beim kongolesischen Bergbauministerium runterladen kann. Man sieht, welche Lokalität gerade von den Mai-Mai, der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) oder der FARDC (Armee der Demokratischen Republik Kongo) besetzt ist. Wenn eine Mine gerade von der FDLR kontrolliert wird, in drei Monaten aber von den Mai-Mai besetzt wird, ändert sich die Zusammensetzung des Materials ja nicht. Sollte aber die kongolesische Armee diese Mine befreien und sie damit in legalen Besitz bringen, gehen wir davon aus, dass die Probe kein Konfliktmineral mehr ist. Ich finde es zwar nicht in Ordnung, dass die Minen von der Armee kontrolliert werden, aber immerhin werden die Verhältnisse geklärt—das Hauptproblem ist, ob es zum Abbauzeitpunkt ein Konfliktmineral war. Dabei hilft das Tagging-System, das aufweist, wann es wo abgebaut wurde. Die Tag-Nummer kann das belegen.

Das heißt, Sie haben Insider stationiert, die die Verhältnisse überprüfen?
Ja, genau. Außerdem unterhält die BGR ein Projekt zusammen mit dem kongolesischen Bergbauministerium. Wir haben ein Büro in Bukavu mit drei deutschen Mitarbeitern, die von kongolesischen Behörden und Organisationen unterstützt werden. Sie liefern die Proben ab, ich bekomme sie dann wöchentlich zugesendet und teste hier in Hannover ihre Eigenschaften. Das läuft schon ganz gut und wir denken, in drei Jahren sind wir mit den Analysen fertig.

Wie lange dauert es, eine Analyse zu erstellen?
Die Analyse geht schnell—alles in allem etwa eine Woche—das Probennehmen allerdings nicht.

Experten sagen, dass sich das Tantal-Recycling in Form von Handys nicht lohnt, was kann man als Verbraucher tun?
In einem Handy ist nicht mal ein Milligramm Tantal. Ich selbst habe mich mal mit diesem Thema auseinandergesetzt und dafür Europas größten Recyclingunternehmer, Umicore aus Belgien, kontaktiert und mich mit Spezialisten in Verbindung gesetzt. Man erklärte mir, dass in einem Handy 40 Metalle enthalten sind. Wenn man den Wert der einzelnen Edelmetalle auflistet, sind Gold und Platin ganz oben, danach kommt das Kupfer. Tantal dagegen ist ziemlich weit am Ende. Die Industrie nimmt natürlich erst die beiden wertvollsten Metalle, weil das lukrativer ist. Bei diesem Vorgang gehen die restlichen Metalle verloren, sie werden in eine Schlacke überführt, also noch weiter verdünnt. Man könnte zwar aus dieser Schlacke noch Tantal gewinnen, aber das ist mit enormen Energie- und Kostenaufwand verbunden. Also, selbst wenn wir 20% aller gebrauchten Handys recyceln würden, würden die Firmen nur das Gold und Platin wiederverwenden.