Als ich in Karasjok ankomme, muss ich erst einmal anhalten, um die Landschaft zu bewundern. Hier, im Nordosten Norwegens, ist es unfassbar still. Alles ist wunderschön weiß, das Licht magisch und vor allem ist es extrem kalt. Ich fühle mich wie in einer anderen Welt. Plötzlich läuft ein Rentier mitten auf die Straße und trottet gemächlich an mir vorbei.Lene Anti hat mich hierher eingeladen. Die 20-Jährige stammt aus Karasjok und macht gerade eine Ausbildung zur Rentier-Hirtin für das Geschäft ihres Vaters. Ich soll ein paar Tage mit ihr in der Hirtenhütte verbringen, in der sie die kommenden sieben Tage mit ihrem Freund Matthe Ailo lebt, ebenfalls Rentier-Hirte.
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Karasjok gehört zum Siedlungsgebiet der indigenen Bevölkerung Nordskandinaviens, der Samen, zu der auch Lene und Matthe gehören. Sápmi, wie die Samen ihre Heimat nennen, erstreckt sich über den nördlichen Rand Skandinaviens von Norwegen, über Schweden, Finnland, bis hin zur russischen Halbinsel Kola. Heute aber leben die meisten der schätzungsweise 50.000 bis 100.000 Sámi, wie die Samen sich selbst bezeichnen, in größeren nordischen Städten.
Die Kultur und Sprache der Sámi wurden lange unterdrückt
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Ich bin zwar in Norwegen aufgewachsen, in der Schule spielte das Thema aber keine Rolle. Wir haben mehr über die nordamerikanischen Ureinwohner und die grönländischen Inuit gelernt als über die Sámi, die in unserem Land leben. Ich erinnere mich, dass immer mal wieder Menschen im Fernsehen samisch gesprochen haben. Als Kind habe ich mir dabei nichts gedacht. Je älter ich wurde, desto neugieriger wurde ich auch. Die einzigartige Kultur der Sámi und die spektakulären Landschaften von Sápmi faszinieren mich.
Auch wenn es langsam besser wird, ist die Kultur der Samen immer noch gefährdet. Vier von zehn samischen Sprachen, die es heute noch gibt, sind vom Aussterben bedroht. Die Menschen, mit denen ich bei meiner Reise durch Sápmi gesprochen habe, sagen, dass es sie sehr stolz mache, Sámi zu sein. Andere würden jetzt auch an ihrer Kultur teilhaben wollen. Das entschuldigt natürlich nicht alles, was im Laufe der Geschichte falsch gelaufen ist.Zurück in Karasjok. Als ich nach einstündiger Bergauffahrt an der Hütte ankomme, begrüßt mich Matthe Ailo. Wir setzen uns aufs Sofa und für einen Moment genieße ich nur die Stille. Plötzlich erklingen im Hintergrund die bekannten Geräusche von Keeping up with the Kardashians, als einer meiner Gastgeber den Fernseher einschaltet. Die Hütte im Nirgendwo hat zwar kein fließendes Wasser und Strom gibt es nur vom Generator, aber der Fernsehempfang ist tadellos.Lebensmittel, Benzin und Alkohol würden sie meistens in Finnland kaufen, sagt Matthe, dort sei es viel günstiger. Bis zur Grenze sind es 20 Kilometer. "Am Wochenende gehen wir dort feiern. Da steht die nächstgelegene Bar. Die meisten Menschen dort sprechen Nordsamisch, du merkst also gar nicht, dass du die Grenze überquert hast."
"Manche fragen, ob wir noch in Zelten leben"
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Der 16-jährige Alexander Hætta spürt die Grenze schon. "Es ist, als würde es Norwegen und Sápmi geben", sagt er. Ich treffe ihn und seinen Freund Egil Stueng, 17, an einer von zwei Tankstellen, die es in Karasjok gibt. "Man hat das Gefühl, die Kommunen Karasjok, Kautokeino und Tana seien etwas auf sich allein gestellt, wenn man das mit dem Rest von Sápmi vergleicht. Die Menschen im Rest der Region sprechen nicht oft samisch", sagt Alexander. Sein Kumpel schaut ihn an und nickt. "Manchmal, wenn ich Leute aus dem Süden treffe, fragen die mich, ob wir immer noch in Zelten leben", sagt Egil und lacht.Das passiere zwar nicht täglich, aber komme schon mal vor. "Wir werden zwar nicht mehr systematisch diskriminiert, aber bis zu einem gewissen Grad findest du das immer noch", sagt Egil. "Es fällt einem nicht sofort ins Auge. Manchmal ist es nur der negative Ton, in dem Leute dich ansprechen."Ich fotografiere beide vor der Tankstelle, dann laden sie mich zu einer Spritztour auf ihren Motorschlitten ein. Wir fahren schnell los, denn eigentlich ist es verboten, ohne Helm zu fahren, und die Polizei ist ständig unterwegs. Wir düsen los zum Fluss. Es ist 40 Grad Minus und wir fahren so schnell, dass die Luft wie Nadeln in meinen Wangen sticht.
In der Mitte des zugefrorenen Flusses halten wir an. Die beiden hätten gerne noch ein Foto. Als ich abgestiegen bin, fahren beide Kreise mit ihren Schneemobilen. Kurz danach liegen beide schon im Schnee und lachen, die Motorschlitten sind umgekippt.
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Sie stehen wieder auf und während wir in der Dunkelheit auf dem Eis stehen, frage ich sie, warum sie nicht wie viele Gleichaltrige in die Stadt ziehen. "Du kannst hier jederzeit fischen, Ski fahren oder mit dem Motorschlitten zur Tankstelle heizen. Hier kannst du frei sein", sagt Egil. "Ich liebe es hier."Scroll runter, um mehr von den Fotos zu sehen, die Hedda Rysstad in Sápmi geschossen hat.Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.