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Shrimps

Wegen deiner Shrimpcocktails haben Leute anderswo Hunger

Unser Appetit auf Shrimps ist größer als je zuvor. Um unseren dekadenten Hunger stillen zu können, zerstört Aquakultur in Bangladesh traditionelle küstennahe Gemeinschaften.

Wenn es um gehobene Küche geht, haben nur wenige Speisen den Klang und das Prestige von Garnelen. Besonders beliebt sind die Krebstiere—eiskalt und rosa-pink serviert—auch in Cocktails. Doch Prestige hat nun mal seinen Preis, und da stellen auch Garnelen keine Ausnahme dar. Ganz im Gegenteil, die Preise für das Schalentier sind in diesem Jahr noch weiter in die Höhe geschossen, nachdem eine ansteckende Erkrankung einen Großteil der weltweiten Bestände vernichtet hatte. Doch trotz der hohen Preise ist der Appetit von Amerikanern nach Garnelen so groß wie noch nie: Im Jahr 2012 wurden in den USA durchschnittlich 1,7 Kilo pro Person verputzt, zweimal so viel wie noch 1984.

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Um die steigende Nachfrage aus den USA und Europa zu bedienen, wurden massenweise neue Garnelenfarmen in Entwicklungsländern wie Vietnam, Thailand und Honduras errichtet. Fischzuchtfarmen, auch Aquakulturen genannt, sind laut der FAO das am schnellsten wachsende Lebensmittelproduktionssystem der Welt. Doch diese Entwicklung hat ihren Preis. Denn Garnelenzucht verdrängt nicht nur traditionelle Industrien in der Dritten Welt, sondern ist auch verantwortlich für große Umweltschäden (etwa durch den Einsatz von Antibiotika und Chemikalien) und eine geringere Artenvielfalt. Doch während die ökologischen Schäden durch Garnelenzucht Umweltorganisationen wie NRDC auf den Plan gerufen haben, sind den Folgen für die Menschen in der Region—darunter Zwangsarbeit, Landenteignungen und der Verlust von Arbeitsplätzen—bisher kaum Beachtung geschenkt worden.

Das zumindest behaupten Kasia Paprocki und Jason Cons in einem jüngst veröffentlichten Bericht. Paprocki, Doktorandin an der Cornell University, beschäftigt sich schon seit über neun Jahren mit ländlichen Gemeinden in Bangladesch. Als ihr Mitglieder einer Bauernbewegung von den immensen Schäden berichteten, die in den Küstengebieten des Landes durch Garnelenzucht entstehen würden, beschlossen Paprocki und Cons—Professor an der University of Texas in Austin—gemeinsam über Garnelenzucht in Bangladesch zu forschen, die mittlerweile schon die zweitgrößte Exportindustrie des Landes darstellt. Dabei stießen sie auf Fälle von Landnahme, eine erhöhte Gesundheitsgefährdung für Arbeiter sowie die Erosion der traditionellen Familienstruktur. Wir haben uns mit Paprocki getroffen, um mehr über ihre Forschungsergebnisse zu erfahren. Außerdem wollten wir besser verstehen, warum der schier unersättliche Garnelenhunger in der westlichen Welt den Produktionsländern oft nur Unheil bringt.

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MUNCHIES: Erzähl uns von deinen ersten Eindrücken nach deiner Ankunft in Bangladesch. Kasia Paprocki: Ich hatte vorher schon viel über die Probleme von Garnelenzucht gehört. Trotzdem war ich über die dortigen Zustände echt geschockt. Zum Vergleich: Polder 22 ist eine Insel mit einer aktiven Bauernbewegung, die sich seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts (als die ersten Farmen in der Region auftauchten) gegen kommerzielle Garnelenzucht zur Wehr setzt. Das hat sich ausgezahlt. Die Insel ist herrlich grün, Reisfelder und Bäume bestimmen das Landschaftsbild, überall grasen Nutztiere und Kinder spielen auf den Straßen. Aber direkt gegenüber liegt Polder 23. Auf dieser Insel, die im Zentrum der Untersuchungen von Paprocki und Cons steht, werden Garnelen gezüchtet, mit verheerenden Folgen für die Umwelt. Alle Bäume sind abgestorben, nichts scheint dort mehr zu wachsen. Stattdessen graue Garnelenteiche so weit das Auge reicht und hier und da ein paar kleine Hütten, in denen nachts ein Wärter schläft, um unliebsame Wilddiebe zu verscheuchen. Jeder, der schon mal da war, beschreibt den Ort als bedrückend.

Die Liste an schwerwiegenden, sozialen Problemen, die du in dieser Gemeinde aufdecken konntest, suchen ihresgleichen. Welche Folgen findest du besonders alarmierend? Als schlimmstes soziales Problem empfinde ich die Tatsache, dass viele Menschen aus ihren Dörfern gedrängt werden, seitdem dort Garnelenzucht zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor geworden ist. Rund die Hälfte (manche sagen sogar bis zu 80 Prozent) der Bauern in Bangladesch besitzen kein eigenes Land. Das bedeutet, dass sie ihren Lebensunterhalt als Tagelöhner oder Farmpächter verdienen, vor allem durch den Anbau von Reis. Doch Reisanbau ist zwischen zehn- und hundertmal so arbeitsintensiv wie Garnelenzucht. Mit anderen Worten, es gibt einfach nicht mehr genügend Arbeit, weswegen viele landlose Bauern in die Stadt ziehen müssen, wo sie als Rikscha-Fahrer anheuern, in Textilfabriken arbeiten oder schwere Steine schleppen.

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Im Zuge deiner Untersuchungen hast du herausgefunden, dass Landbesitzer gewaltsam Kleinbauern von ihrem Grund und Boden vertreiben, um Garnelenfarmen zu errichten. Gibt es denn gar keinen Rechtsschutz für Kleinbauern? Es gibt zwar auch in Bangladesch Gesetze gegen Landraub, die werden aber nur in den seltensten Fällen durchgesetzt. Und wie in vielen anderen Teilen der Welt haben auch in Bangladesch Großgrundbesitzer viel mehr zu sagen als Kleinbauern. Wenn dein Feld gerade mal ein Fünfzigstel der gesamten Ackerfläche ausmacht und dein Verpächter auf seinem Grundstück lieber einen Garnelenteich errichten will, sind dir in den meisten Fällen schlichtweg die Hände gebunden. Die Bauernvereinigung, von der ich zuvor schon sprach, wehrt sich bereits seit Jahren gegen diese Entwicklung, und das zum Teil mit Erfolg, wie man auf Polder 22 sehen kann. Außerdem klären sie vor Ort die Leute über ihre Rechte auf und setzen sich für ein Umdenken ein.

Die Regierung hat vor Kurzem eine neue Richtlinie verabschiedet, die scheinbar einige dieser Probleme angehen soll. Sie wurde noch nicht veröffentlicht, darum kann ich momentan noch nicht mehr dazu sagen. Wir müssen also abwarten, was passiert…

Was kannst du uns zu den Sorgen der Menschen sagen, die du im Rahmen deiner Untersuchungen interviewt hast? Wie reagieren sie auf die wachsende Dominanz der Garnelenindustrie? Das Hauptproblem besteht darin, dass immer mehr Menschen von derselben Industrie abhängig sind, die ihrerseits den Gesetzen des Marktes unterworfen ist. Ein Beispiel: Früher konnten die Bauern ihre Familien noch selbst versorgen und kamen mit dem, was im eigenen Dorf produziert wurde, wunderbar aus. So gab es nicht nur Reis zu kaufen (der das ganze Jahr über vorrätig war), sondern auch Benzin zum Kochen, frisches Gemüse (aus Gärten, in denen mittlerweile nichts mehr wächst) und Trinkwasser (aus nahegelegenen Kanälen, die jetzt zu salzig sind). Heute müssen sie für alles in die Stadt fahren. Und auch wenn Bauern in manchen Fällen mehr Geld als früher haben (vor allem dann, wenn ihnen eine eigene kleine Parzelle gehört), geht es ihnen heute deutlich schlechter, wenn sie mal über keines verfügen.

Machen sich amerikanische und europäische Supermarktketten mitschuldig, indem sie Garnelen aus Bangladesch kaufen? Absolut! Allein im letzten Jahr haben die USA Garnelen aus Bangladesch im Wert von fast 40 Millionen Euro importiert. Auch wenn die Zahlen in den letzten Jahren rückgängig waren, was vor allem mit dem Import von sehr kostengünstigen Hybrid-Sorten aus China, Vietnam und Thailand zusammenhängt, ist der Handel weiterhin sehr stark.

Warum ist westlichen Verbrauchern nicht bewusst, was sie mit ihrem Garnelenkonsum anderswo in der Welt anrichten? Und was können verantwortungsbewusste Verbraucher tun, die auf Garnelen nicht verzichten wollen? Ich glaube, dass sich die Verbraucher in den USA und Europa über viele schreckliche Dinge nicht bewusst sind, die mit ihrem Essen und dessen Herstellung verbunden sind. Das macht Ausbeutung im globalen Nahrungsmittelsystem erst so heimtückisch. Darum ist es umso wichtiger, gut informiert darüber zu sein, wo dein Essen herkommt und wie es produziert wird. Wenn du schon unbedingt Garnelen essen musst, tust du auf jeden Fall gut daran, Produkte aus tropischen Ländern zu meiden und stattdessen nach wild gefangenen Sorten Ausschau zu halten. Meiner Mutter würde ich beispielsweise raten, Garnelen aus dem US-Golf zu kaufen, die, soweit ich weiß, unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten „safe" sind.

Danke für das Gespräch.