So leben die Menschen an der Grenze zu Nordkorea
Alle Fotos: Ashley Crowther

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So leben die Menschen an der Grenze zu Nordkorea

Der Atomkonflikt mit Nordkorea droht jederzeit zu eskalieren, der Alltag in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul geht trotzdem weiter. Der Fotograf Ashley Crowther dokumentiert das Leben dort und zeigt uns seine besten Fotos.

20 Raketen, der bisher heftigste Atomtest und ein interkontinentaler Flugkörper, der die USA erreichen kann – 2017 entwickelte Nordkorea sein Nuklearwaffenprogramm entscheidend weiter. Deswegen ist auch immer wieder darüber diskutiert worden, wie man mit dem Einsiedlerstaat und seinem unberechenbaren Oberhaupt umgehen soll.

60 Kilometer südlich der Grenze zwischen Nord- und Südkorea sei die Stimmung aber gar nicht so angespannt, wie es oftmals berichtet wird. Das sagt der australische Fotograf Ashley Crowther, der in Seoul lebt: "In Südkorea gibt es keine Anzeichen für einen bevorstehenden Krieg. Das Leben geht hier ganz normal weiter."

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Um mehr über den Alltag im Angesicht des nordkoreanischen Säbelrasselns herauszufinden, haben wir Crowther darum gebeten, uns einige seiner 2017 geschossenen Bilder zu zeigen, die ihm besonders stark im Gedächtnis geblieben sind.

Demonstration vor dem Gyeongbukgung-Palast

Einige Tage nach einem Raketentest nördlich der Grenze fand eine Demonstration vor dem Gyeongbukgung-Palast statt. Der Mann, der die Flagge schwenkt, gehört zu einer nationalistischen Gruppierung, die einen Erstschlag gegen Nordkorea fordert, wenn die Atomtests nicht aufhören. Im Grunde wollen sie einen zweiten Koreakrieg. Meiner Meinung nach sieht man bei dieser Demonstration aber gut, wie weit junge und alte Südkoreaner bei diesem Thema auseinanderliegen: Bei dem Protest war kein einziger junger Südkoreaner anwesend.

Restaurantbesitzer Seong-yoel Lee

Seong-yoel Lee besitzt ein kleines Restaurant in der ländlichen Provinz Gangwon-do. Gastfreundlichkeit ist in Südkorea sehr wichtig. So lud mich Lee direkt ein und wir unterhielten uns bei einer Schüssel Nudelsuppe. Er erzählte mir, dass er sich wegen der steigenden Lebenshaltungskosten Sorgen mache. "Ich habe kein Geld mehr, schau dich doch mal in meinem Restaurant um", sagte er. Zwar gehört Südkorea zu den reichsten Ländern der Welt, aber dank Niedriglöhnen und begrenzten Ressourcen kommen viele Südkoreaner trotzdem kaum über die Runden – und können sich teilweise auch nur noch selten Restaurant-Besuche leisten.

Junge Südkoreaner beim Militärdienst

In Südkorea muss jeder junge Mann zwei Jahre zum Militär. Dann wird man zum Beispiel an der Grenze zu Nordkorea postiert oder als Sicherheitskraft eingesetzt. Offiziell heißt es, dass die jungen Erwachsenen so für einen Angriff Nordkoreas trainiert werden sollen, aber viele Pflichtsoldaten sprechen auch davon, dass sie Sklaven der Regierung seien. Bei Stundenlöhnen von manchmal nur 45 Cent ist das kein Wunder. Kritiker dieses Systems sagen zudem, dass junge Südkoreaner so weiter in die strenge Hierarchie der Gesellschaft gepresst würden, in der sie älteren Menschen und Vorgesetzten gehorchen müssen.

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Seoul in seiner voll Pracht

Fast die Hälfte der insgesamt gut 51 Millionen Südkoreaner lebt in der Hauptstadt Seoul und der umliegenden Metropolregion. Junge Leute ziehen von nah und fern in den Ballungsraum, um dort zu studieren, Karriere zu machen oder einfach nur in der Großstadt zu leben. Der Konkurrenzkampf ist dementsprechend groß und den ländlichen Gegenden Südkoreas geht es immer schlechter.


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VICE: Machen sich die Südkoreaner wegen der Bedrohung durch Nordkorea Sorgen?
Ashley Crowther: Vor allem junge Südkoreaner vergleichen Nordkorea oft mit einem bellenden Hund – große Klappe, nichts dahinter. Ich glaube, dieser Vergleich ist historisch bedingt: Seit dem Koreakrieg hat es ständig Drohgebärden von nördlich der Grenze gegeben, denen keine Taten folgten. Wie in den meisten industrialisierten Gesellschaften macht man sich hier mehr Sorgen um die Karriere, Beziehungen, gute Noten und Geld.

Das soll jetzt aber nicht heißen, dass den Südkoreaner der Konflikt komplett egal ist. Junge Menschen wollen, dass der Präsident alles dafür tut, um einen Krieg zu vermeiden. Viele ältere Südkoreaner sind allerdings davon überzeugt, dass man sofort reagieren muss. In anderen Worten: Sie wollen einen von den USA angeführten nuklearen Erstschlag. Unterm Strich lässt sich in der südkoreanischen Medienlandschaft zu jeder Zeit irgendwo ein Beitrag zum Thema Nordkoreapolitik finden.

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Eine ältere Südkoreanerin in der U-Bahn

Wie in vielen Ländern Asiens hat man auch in Südkorea großen Respekt vor dem Alter. Manchmal gilt es sogar als unhöflich, wenn man älteren Menschen widerspricht, obwohl sie falsch liegen. Diese Denkweise ist immer noch stark in den Köpfen der Südkoreaner verwurzelt.

Heeja Choi, 72 Jahre alt, in ihrer Wohnung

Die 72-jährige Heeja Choi trägt ihr Make-up auf, während nebenher eine Dokumentation über Nordkorea läuft. Sie gehört zur Nachkriegsgeneration und hat zum Konflikt zwischen Nord- und Südkorea keine Meinung. Direkt nachdem ich dieses Foto geschossen hatte, drehte sie sich zu mir um und sagte: "Die Situation hier ist gerade sehr gefährlich, aber das ist sie schon immer gewesen. Es ist kompliziert."

VICE: Stellen die westlichen Medien den Koreakonflikt und seinen Einfluss auf das Leben in Südkorea richtig dar?
Freunde und Bekannte aus der westlichen Welt fragen mich immer, ob alles OK sei oder ob ich nicht nach Hause kommen wolle. Das zeigt mir, wie viel Angst die westlichen Medien mit ihrer Berichterstattung schüren. Andererseits lese ich auch oft Artikel, in denen sich mit vernünftigen Argumenten gegen einen Krieg ausgesprochen wird. Ein zweiter Koreakrieg hätte auf jeden Fall gravierende Folgen – wie eine Flüchtlingskrise oder Millionen Tote. Immer wenn die US-Regierung ihre Kriegsrhetorik auspackt, wirkt das extrem destabilisierend und beweist, wie wenig Verständnis es für die Situation hier auf der Halbinsel gibt. Es gibt keine einfache Antwort. Das wissen auch die Südkoreaner. Deswegen gehen sie ganz normal ihrem Alltag nach.

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Eine Aufzugsassistentin richtet sich das Haar

Die Arbeitskultur Südkoreas verlangt einem viel ab. In Sachen Arbeitsstunden liegt das Land weltweit auf Platz drei. Im Durchschnitt arbeiten Südkoreaner mehr als 2.000 Stunden pro Jahr, viele machen kaum oder nicht bezahlte Überstunden. In einigen Unternehmen dürfen Angestellte erst nach Hause gehen, wenn ihre Vorgesetzten Feierabend machen – egal, wie spät das auch sein mag.

Der Chojidong-Bezirk

Gentrifizierung ist auch in Seoul ein Thema. Der Chojidong-Bezirk wird zum Beispiel bald an das schnelle Netz der öffentlichen Verkehrsmittel angeschlossen. In den kleinen Geschäften auf dem Foto gehen vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen einkaufen. Bald werden sie jedoch für Luxuswohnblocks plattgemacht. Was dann mit der armen Bevölkerung geschieht, interessiert fast niemanden mehr.

Ein Mann in einer U-Bahn-Station von Seoul

Dieser alte Mann lief im Zentrum von Seoul durch eine U-Bahn-Station und fragte laut rufend, ob irgendjemand seine Frau gesehen habe. Dabei zeigte er ein Foto von ihr herum. Es brach mir richtig das Herz, den alten Mann in seiner Hilflosigkeit zu sehen.

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