Im Wiener Suchtbehandlungszentrum Schweizer Haus Hadersdorf findet man keine Alkoholiker, die in den 2000ern Jugendliche waren. Das sei typisch, erklärt man mir. Alkoholiker würden meist viele Jahre trinken, bis sie tatsächlich Hilfe in Anspruch nehmen. Auch, weil die Sucht gesellschaftlich akzeptiert sei und der körperliche Verfall langsamer stattfinde als beim Konsum anderer Rauschmittel. Einen Anstieg an jüngeren Klienten gebe es im Zentrum nicht.Auch Dr. Olaf Rossiwall, Facharzt für Psychiatrie und Obmann der Interessengemeinschaft Anonyme Alkoholiker, erklärt auf Anfrage per Mail, die Anonymen Alkoholiker würden in Österreich, "wie in vielen weiteren westlichen Ländern eher an Überalterung leiden"; was freilich nicht heißt, dass man sich mehr junge Betroffene wünsche, sondern nur, dass diese das Angebot weniger in Anspruch nehmen würden.Herr Frank ist 56, seit einem halben Jahr in der Entzugsklinik in Hadersdorf und lacht, als ich ihn zur "Generation Komasaufen" befrage. Auch sie hätten bis zum Umfallen gesoffen, erzählt er, und zu Hause sogar eigene Bars gebaut sowie Betten hineingestellt für die, die zusammenbrachen. Wer nicht dabei war, war Außenseiter – also sei jeder dabei gewesen.Eigentlich ist es ganz einfach: Eine "Generation Komasaufen" gab es nie.
Mit 16 begann er zu trinken, völlig aufhören möchte er damit nie. Alleine zu Hause habe er es aber nie getan – immer nur mit Freunden. Mit 16 wie mit 56. Drei seiner Freunde von damals seien bereits an den Folgen des Alkohols gestorben. Selbst sein Vater, Jahrgang 1940, habe jeden Abend getrunken und sei mit seinen Arbeitskollegen auf dem Pferd zum nächsten Kirtag geritten, um sich Freitag bis Sonntag zu besaufen, ohne dazwischen nach Hause zu kommen. Eine Woche vor meinem Gespräch mit Herrn Frank verstarb sein Vater an Leberzirrhose."Ich will Schnaps! Schnaps! Alles was ich will ist Schnaps, der weiß, wo die Sonne lebt."
Erste Erfahrungen mit Alkohol machen viele in Österreich früh: 88 Prozent der österreichischen Schülerinnen und Schüler im Alter von 15 bis 16 Jahren gaben in einer 2016 veröffentlichten europaweiten Studie an, schon einmal Alkohol konsumiert zu haben. Im Durchschnitt hatten sie in den vergangenen 30 Tagen sieben Mal Alkohol getrunken (natürlich sind darunter auch Problemkonsumenten – der Großteil konsumiert aber relativ unbedenklich).Das ist nicht verwunderlich. Alkohol spielt in Österreich eine große Rolle im sozialen Leben von Erwachsenen – und so natürlich auch beim Erwachsenwerden, wo man sich an älteren Mitmenschen orientiert. Kulturell verankerter Alkoholkonsum bringe es mit sich, "dass auch viele Kleinkinder schon früh einmal einen Schluck Bier oder Wein bei Erwachsenen kosten", so Uhl."Unerwartet ist es in einer Kultur wie der österreichischen nicht, dass die Mehrzahl der 16-Jährigen bereits einmal Alkohol getrunken hat, sondern dass ein nicht unbedeutender Prozentsatz das noch nicht getan hat."
- "Wo man trinkt, da laß Dich ruhig nieder!" von Carl Maria Haslbrunner, 1948"Wo man trinkt, da laß dich ruhig nieder,
denn der Alkohol veredelt das Gemüt,
bring dir Heiterkeit und kräftigt deine Glieder."
- "Krügel vor'm Gsicht" von Helmut Qualtinger, 1962"A Krügerl, a Glaserl, a Stamperl, a Tröpferl
Da werd'n uns're Äugerln gleich feucht
Da warmt si' des Herzerl,
Da draht si mei Köpferl,
Die Fußerln wird'n luftig und leicht
Dann muaß i der Musi' an Hunderter reib'n,
I bin in mein' Himmel – und dann geh' i speib'n"
- "Heut sauf i mi an" von Reinhard Fendrich, 1980"Heut sauf i mi an und rauch mi ein
lasst mi in Ruh, i find nix dabei."
- "Schnaps" von Wanda, 2014"Ich will Schnaps!
Schnaps!
"Alles was ich will ist Schnaps, der weiß, wo die Sonne lebt."
- "Spliff" von Bilderbuch, 2015In einer Kultur wie der österreichischen sei es nicht ungewöhnlich, "dass die Mehrzahl der 16-Jährigen, die bereits Bier und Wein trinken dürfen, auch schon mindestens einmal Alkohol getrunken hat, sondern dass ein nicht unbedeutender Prozentsatz das noch nicht getan hat beziehungsweise nicht zugibt", schreibt Suchtforscher Uhl in seiner Studie aus dem Jahr 2012.Natürlich hat übermäßiger Alkoholkonsum auch negative Auswirkungen auf das Gehirn von Menschen – und wie prognostiziert stieg in den vergangenen Jahren auch die Zahl der an Demenz erkrankten Österreicherinnen und Österreicher. Doch Alkoholkonsum und damit verbundene Effekte und Erkrankungen sind nur in begrenztem Ausmaß der Grund für diese Entwicklung. Menschen werden heutzutage immer älter; und je älter ein Mensch wird, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken.Das heißt nicht, dass man die Gefahren, die von Alkohol ausgehen, unterschätzen sollte. Geschätzte 370.000 Österreicherinnen und Österreicher sind alkoholkrank. Die Zahl derer, die in gesundheitsgefährdendem Maße Alkohol trinken, ist sogar noch weit höher. Das Problem des übermäßigen Alkoholkonsums betrifft dabei aber nicht hauptsächlich Jugendliche, sondern in einem weit höheren Maße Erwachsene. Und es war auch nicht nach den 00er-Jahren verschwunden, nur weil die Medien langsam aufhörten, so intensiv darüber zu berichten. Wie so oft lauern die echten Probleme nämlich dort, wo niemand hinschaut.Folge VICE auf Facebook, Instagram und Twitter."Das letzte Bier sitzt tief in mir
Doch bereuen nicht mit mir."