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Parteiflaggen und Wahlkampftalk auf der „Freiheit statt Angst“-Demo

Die Atmosphäre bei der alljährlich stattfindenden „Freiheit statt Angst“-Demo erinnerte eher an Straßenfest als an Anti-Überwachungs-Protest. Vor allem wurde die Demo aber für den Wahlkampf instrumentalisiert.

Von der riesigen Bühne auf der Karl-Marx-Allee neben dem Alexanderplatz schallt bereits Musik über die Straße. Überall Menschen, Luftballons und der Geruch von Sonnencreme und Zigarettenqualm. Die Atmosphäre bei der alljährlich stattfindenden „Freiheit statt Angst“-Demo erinnert eher an Straßenfest als an Anti-Überwachungs-Protest.

Die Masse der Oppositionsparteifahnen und das Zischen der Aufblasmaschinen, die Helium in riesige Luftballons der Grünen pumpen, macht aber vor allem eins klar: Es ist Wahlkampf, Leute.

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Entsprechend sagt mir auch Franzi von der Linksjugend, dass das heute Teil der Wahlkampfvorbereitung ist. „Wir nutzen die Demo, um uns klar gegen einen Überwachungsstaat und den Verfassungsschutz auszusprechen.“ Was genau ihr Problem mit dem Verfassungsschutz ist? „Na ja, der agiert quasi wie ein Spionageorgan und macht alles andere, als die Verfassung zu schützen. So wie er im Moment funktioniert, sind wir dagegen.“

Weiter erklärt sie mir, warum die digitale Freiheit, für die sie heute mitkämpft, so wichtig ist: „Heute hast du ja nicht mehr die Situation, dass dir jemand wie in Spionagefilmen hinterherläuft.“ Den Platz hat eben das Ausspähen von Daten im Internet eingenommen. „Ich möchte einfach sicher sein, dass meine E-Mails wirklich geschützt sind und dass niemand sich ansehen kann, wann ich an wen wie viel Geld überweise.“

Auf der Bühne ist man mittlerweile zu den obligatorischen Vor-Demo-Rednern übergegangen. Kurz bevor die Masse sich zum Protestzug formiert, entdecke ich FDP-Fahnen. So viel Mut muss doch belohnt werden, denke ich, und bewege mich auf die Partei zu, die von den meisten Anwesenden wohl eher als mitschuldig gesehen wird. „Wir sind die einzigen, die standhaft geblieben sind“, antwortet Hartmut von den Jungen Liberalen auf die Vorwürfe. „Nicht so wie die SPD und die Grünen, die vor ein paar Jahren die ganzen Sicherheitsgesetze verabschiedet haben.“ Immerhin wehren sie sich ja gegen die Vorratsdatenspeicherung und es sieht so aus, als wäre sie in ein paar Jahren Geschichte.

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Und warum sind die JuLis dann hier, wenn doch alles so gut läuft? „Das Thema Überwachungsstaat ist natürlich nicht vom Tisch.“ Das müsse man allerdings auf internationaler Ebene klären, erste Ansätze von Guido Westerwelle, das in die UN zu tragen, gäbe es schon.

Nachdem Hartmut mit seinem glattgebügelten Wahlkampftalk fertig ist, bewegt der Demonstrationszug sich langsam. Wirklich langsam, denn heute sind laut Veranstalter rund 20.000 Menschen gekommen. Die Menschenmasse schiebt sich vorbei am rosafarbenen Shoppingcenter, an den pinkfarbenen Überresten des Barbie-Hauses und Touristen, die auf ihren Segways über den Alexanderplatz segeln.

Zwischen den wehenden Fahnen der Piratenpartei treffe ich Simon wieder, mit dem ich vor ein paar Monaten beim Polyamorie-Treffen in Berlin gesprochen habe. Er sagt mir, dass er seit 2007 bei jeder „Freiheit statt Angst“-Demo dabei ist. „Aber diesmal ist es natürlich besonders wichtig, weil ein Skandal nach dem anderen ans Licht kommt und die Bundesregierung es einfach einfach nicht für nötig hält, darauf zu reagieren.“ Der frauenpolitische Sprecher der Piraten ist sichtlich sauer. „Es werden Gesetze gebrochen, es werden Daten abgeschöpft, die nicht abgeschöpft werden dürfen. Und trotzdem wird die Affäre heruntergespielt und für beendet erklärt. Das darf man nicht einfach so stehen lassen, egal, wie man parteipolitisch angebunden ist.“

Nach rund zwei Stunden kommt die Spitze des Zuges wieder vor der Bühne in der Karl-Marx-Allee an. Die ersten rennen schon zu den Bierständen. Plötzlich schallen die Bläser einer Ska-Band schrill durch die Boxen. Gute Motivation, schnellstmöglich abzuhauen. Gegen Überwachung demonstrieren gerne, aber schlecht abgemischter Ska—nein, danke.

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Fotos von Max Thesseling

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