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Popkultur

Fragen, die 'Planet Ottakring’ aufwirft

Wenn Ottakring tatsächlich so ist, wie es im Film dargestellt wird, mache ich in Zukunft einen großen Bogen darum.

Als ich zum ersten Mal eines der Planet Ottakring-Filmposter in einer U-Bahn-Station gesehen habe, dachte ich an nichts Gutes. Ein Grafitti-Tag als Logo ist schon sehr 00er-Jahre und der Titel ließ mich eher an eine Film-Adaption von Wien – Tag & Nacht denken. Im Endeffekt musste ich mich zwar nicht ganz vom Gegenteil, aber zumindest von etwas nicht ganz so Schlimmen überzeugen lassen. Niedrige Erwartungen können einem mittelmäßigen Film manchmal ganz guttun. Planet Ottakring versucht aber eben auch gar nicht, mehr zu sein, und muss das auch nicht.

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Als ich vor ein paar Jahren nach Wien gekommen bin, wurde mir von Anfang an klar zu verstehen gegeben, dass Favoriten hier das heiße Pflaster sei—von Ottakring und seinem allgemeinen öffentlichen Image habe ich erst viel später gehört. Ich mochte und mag den 16. eigentlich ganz gern. Eine Freundin wohnte dort eine Zeit lang und schwärmte immer von den Einkaufsmöglichkeiten. Ich war auch mal auf Lokaltour in der Ottakringer Straße und hatte so ziemlich den besten Abend meines Lebens. Aber wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich nach Planet Ottakring nie wieder einen Fuß in den 16. setzen, ganz einfach weil ich nicht lebensmüde bin.

Irgendwo ist es schon ganz cool, einen Film zu sehen, der nicht ganz so billig rüberkommt und trotzdem mitten in Wien spielt, wenn auch nur auf ein bestimmtes Areal begrenzt—einfach, weil man so öfter mal sagen kann „He, das Eck kenn ich!" und harter Dialekt auf Leinwand eher ungewohnt ist. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass hier ein leicht überspitztes Bild gezeichnet wird.

Wenn jemand nur eine Sache aus der Botschaft dieses Films mitnehmen sollte, dann wohl, dass Ottakring ein ganz eigenes, gesetzloses Ghetto ist, das von korrupten Kredithaien und kleinkriminellen Gangstern kontrolliert wird. Ein bisschen so wie Gotham, nur ohne Superhelden. Ausnahmslos jeder ist hoch verschuldet und kratzt am sozialen Abgrund. Bei verspäteter Rückzahlung an die regierende Mafia-Mutter schickt diese ihre Handlanger, die einem mal so richtig schön das Gesicht brechen. Mit Stöcken und Messern, bis einer blutet. Normal halt. Das Leben in Ottakring ist hart und wenn du überleben willst, musst du Drogen dealen oder auf den Strich gehen. Das Ganze ist ohne Frage unterhaltend und einen Kinobesuch wert, weil leichte Kost, es wirft aber trotzdem einige Fragen auf.

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Achtung, dieser Artikel enthält Spoiler!

Stellen sich Wiener so soziale Brennpunkte vor?

Foto: Prisma Film/Paul Ploberger

Hauptprotagonist ist Sammy—seines Zeichens Bad Boy, leidenschaftlicher Unterhemd-Träger, Drogendealer und bald schon moderner Robin Hood, er wird es nämlich sein, der der Kredithai-Terrorherrschaftein Ende setzt. An seiner Seite steht Valerie, eine junge VWL-Studentin aus Berlin, die für ihre Masterarbeit einen sozialen Hot Spot in Europa untersuchen möchte—also Ottakring. Zu diesem Zeitpunkt noch ein bisschen unklar ist, ob das Ganze nicht doch auch Satire sein will.

Weil Valerie ein cutes Girl ist und anscheinend nicht nur Wirtschaft sondern auch die Bravo studiert, ist sie in erster Linie tollpatschig—und hält Ottakring eben für einen sozialen Brennpunkt. Da wird umgeworfen, gestolpert, gestoßen und gekippt ohne Ende—sowohl, was ihren Körper, als auch was unser Verständnis von „Krisengebieten" angeht.

Man fragt sich, wie Valerie es überhaupt so weit geschafft hat, ohne draufzugehen. Und man fragt sich, wie Valerie wohl in jenem Teil der Welt, der nicht Wien oder Berlin ist, überleben würde.

Wollen wir insgeheim alle Deutsche sein?

Foto: Prisma Film/Paul Ploberger

Valerie ist das klassische gute Mädchen, das den bösen Jungen gut findet. Es ist quasi die Wiener Version von Türkisch für Anfänger. Sie ist aber auch die kluge, starke, weibliche Identifikationsfigur des Films—und auch die einzige Deutsche. Das entspricht so ziemlich dem verhassten, aber gleichzeitig auch bewunderten Klischee unserer nördlichen Nachbarn, das in Österreich überall von der Hauptuni bis zur Piefka-Saga herrscht: Deutsche sind artikulierter, klüger, redegewandter und irgendwie nerven sie uns vor allem deshalb, weil wir selbst alle wie Herbert Prohaska reden. Das würden wir natürlich so direkt niemals zugeben, aber dass wir selbst in einem österreichischen Film die Schlaue nicht in den eigenen, sondern in den Reihen unserer großen Sprachgeschwister suchen, sagt trotzdem einiges aus.

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Sind alle Ottakringer schlecht erzogen?

Foto: Prisma Film/Paul Ploberger

Folgender Dialog ereignet sich bei der Ankunft der weiblichen Hauptfigur im Bezirk: Valerie ist mitsamt Gepäck auf dem Weg in ihre Unterkunft. Zwei pubertierende Jungs tauchen plötzlich auf.

„Gib uns deinen Koffer."

„Auf keinen Fall."

Die beiden nehmen sich den Koffer einfach, weil warum auch nicht.

„Wenn du deinen Koffer wieder willst, zeig uns deine Muschi."

„Ja komm schon, zeig uns deine Muschi."

Wenn das in Ottakring ganz normal ist—und genau so kommt es hier rüber—, dann herrschen dort ernsthafte Benimmprobleme (wenn nicht sogar noch ein bisschen mehr). Eine Aufforderung zur Muschi-Beschau ist jedenfalls nicht gerade höflich.

Warum immer Schubladen-Schwule?

Man hat sich wirklich sehr viel Mühe gegeben, jedes noch so erschöpfte Klischee in diesem Film unterzubringen. Der schwule Barkeeper Hasan ist nämlich vor allem eines: schwul. Das ist nicht nur seine sexuelle Orientierung, sondern seine Haupteigenschaft als Figur. Er ruft die weibliche Hauptprotagonistin fortlaufend „Schwester", fuchtelt wild mit Knickhänden durch die Luft und kümmert sich in in der Bar vorrangig um die Deko.

Natürlich ist es nett, einen schwulen Nebencharakter zu haben, in diesem Fall fühlt es sich aber mehr wie ein sehr angestrengter Versuch an, die ach so ausgeprägte Diversität von 1160 zu präsentieren. Was es bräuchte, wäre endlich mal wieder ein Film, der Homosexuelle—wenn sie im Mainstream-Kino schon immer nur als Sidekicks auftreten dürfen—nicht ständig auf die leidigsten Stereotypen reduziert. Betrachtet das als Wettbewerb, liebe heimische Drehbuchautoren.

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Ist „Standard" ein Ottakringer Modewort?

Foto: Prisma Film/Paul Ploberger

Die Handlanger der Kredithai-Tante sind logischerweise ihre Neffen und ein bisschen wie Erkan und Stefan, nur dass sie Kevin (ja) und Denis heißen. Letzterer beendet jeden, wirklich jeden Satz mit „Standard" und einem darauffolgenden, grindigen Ausspucken, das man eigentlich nur als Schlatzen bezeichnen kann. Es könnte zwar auch sehr unangenehmes Schmatzen gewesen sein, aber so oder so hab ich diese angebliche Ottakringer Eigenheit als sehr unangenehm empfunden. Standard, pssfffhh.

MOTHERBOARD kennt das, wenn man Schmatzgeräusche nicht packt.

Zahlt sich Arschloch sein doch aus?

Foto: Prisma Film/Paul Ploberger

Sammy trägt fast ausschließlich Unterhemden, ist ein Schläger, hat die billigsten Anmachsprüche aller Zeiten—und pudert während des Films trotzdem mit drei verschiedenen Mädchen, wobei eine davon sein Booty Call, eine seine heimliche Ehefrau und die dritte eben besagte deutsche Studentin ist, die es eigentlich von Berlin her besser wissen müsste und sich trotz all dieser Umstände Hals über Kopf in ihn verliebt. Wie kann sowas passieren?

Nach einer geschlagenen Stunde (ich habe gestoppt) voller Ottakringer-Bier, Dragee Keksi und sehr, sehr vielen Zigaretten trägt er dann zum ersten Mal etwas, das kein Unterhemd ist. Ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht, dass es Menschen gibt, an denen ein einfaches T-Shirt irgendwie falsch aussehen kann.

Nach dem Sex kommt sogar seine Oma ins Zimmer und kommentiert den Arsch der Dame mit „Herzigs Popscherl", welche vollkommen OK damit scheint. Als er seine geliebte Katze Erika begraben muss, kommt nur ein „Ich begrabe eine Muschi". An einer Stelle sagt er sogar „Ich bin doch kein Scheiß-Gutmensch". Für alle, die es bis dahin noch nicht mitbekommen haben, zählt er am Ende des Films sogar selbst noch mal detailliert auf, warum er eigentlich alles andere als ein guter Fang ist. Trotz dieses Maximums an Arschloch-Verhalten bekommt er das Mädchen und wird von ganz Ottakring als Revoluzzer und neuer Che Guevara gefeiert. Es ist der alte Hollywood-Kniff: Ergötze dich eineinhalb Stunden am Bösen und wir richten's in den letzten 10 Minuten, indem wir nachträglich alles verurteilen (auch, wenn das so ziemlich das einzig Hollywoodhafte an Planet Ottakring ist).

Eines ist jedenfalls sicher: In Planet Innere Stadt wäre das nicht passiert.

Franz findet Ottakring trotzdem noch gut: @FranzLicht