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Der Staat sollte an Drogen verdienen

Wir haben mit Selim Özdogan über seinen neuen Roman gesprochen. Wenn es nach ihm gehen würde, sollte man den Drogenhandel verstaatlichen, um so etwas wie ein Starbucks-Franchise für Marihuana zu vermeiden.

Ob er wisse, warum ich ihn ausgerechnet hier treffen wollte, frage ich Selim Özdogan kurz nach unserer Begrüßung, als wir den Weg in Richtung Görlitzer Park einschlagen. „Weil es hier ein massives Dealeraufkommen gibt?“, grinst er.

Wir haben uns verabredet, um über seinen neuen Roman DZ zu sprechen. Darin geht es um zwei Brüder, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten: Damian ist in die fiktive, titelgebende Region in Südostasien ausgewandert, in der alle Drogen legal sind, und schlägt sich dort als Dealer durchs Leben. In der EU, wohin Damian über ein verschlüsseltes Netzwerk Drogen vertickt, lebt sein Bruder Ziggy hingegen ein angepasstes Leben: Frau, Kind und eine feste Anstellung.

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Wir setzen uns in ein Café. Ich bestelle eine Kaffee, Selim nur eine Apfelschorle. Betrunken, erzählt er, war er das letzte Mal vor zehn Jahren. Dass er mit dem Rauchen aufgehört hat, ist noch länger her. „Aber Drogen, was ist damit?“, hake ich nach. Selim weicht aus. Früher habe er alles ausprobiert, gibt er vage zu. Ich weise darauf hin, dass ihm die Schilderungen von Rauschzuständen sehr authentisch geraten sind.

Er erzählt von Tom Wolfes Buch The Electric Kool-Aid Acid Test:

„Als ich von den LSD-Erfahrungen las, dachte ich mir: Shit, der macht das gut. Der weiß, wovon er redet. Später las ich ein Interview, in dem Wolfe sagte, dass er nie Acid genommen hätte. Er ist bekannt dafür, viel und gründlich zu recherchieren. Wenn du dich gründlich mit dem Thema beschäftigst, kannst du darüber genauso authentisch schreiben, denke ich.“

VICE: Waren es denn eher private oder politische Gründe, die dich zum Schreiben des Romans bewogen haben?

Ich habe mich aus privatem Interesse mit dem Thema beschäftigt und dachte mir, dass ich doch auch gleich ein Buch darüber schreiben könnte. Das war Ende 2008, als Spice, ein Cannabis-Ersatzprodukt, durch die Medien ging. Ich konnte nicht glauben, dass Spice wirklich rein pflanzlich sein kann und habe angefangen, im Netz zu recherchieren. Damals fing das mit dem Online-Drogenhandel richtig an und ich war live dabei.

Als bei Damians und Ziggys Mutter Diana Krebs diagnostiziert wird, beginnt Ziggy, in Drogenforen zu recherchieren. Einerseits weil er hofft, darüber Kontakt mit seinem Bruder aufnehmen zu können; andererseits möchte seine Mutter vor ihrem Tod noch ein paar letzte LSD-Trips erleben. Er muss Überwachungssysteme umgehen, seine E-Mails verschlüsseln und muss aufpassen, nicht zu viel über seine Identität preiszugeben. Die Schilderungen erinnern stark an das, was wir als Dark- oder Deepweb kennen. 

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Hast du für den Roman im Darknet recherchiert? 

Ja. Es war auch verlockend, ich bin aber froh, dass ich nichts bestellt habe.

Wieso?

Sagen wir so: Ich musste nie etwas bei SilkRoad bestellen. Ich gehöre zu den Leuten, die fast von Anfang an—nur zu Recherchezwecken—einen Account bei SilkRoad hatten. Ich habe auch einen Account bei SilkRoad 2.0.

SilkRoad 2.0?

Es ist noch nicht online, aber laut Betreiber ist die Plattform zu 90 Prozent fertig. Ich glaube, dass der Drogenhandel zwar grundsätzlich Zukunft hat, aber unbedingt dezentralisiert werden muss. Mit SilkRoad zum Beispiel hatten wir eine zentrale Plattform.

SilkRoad wurde aber hochgenommen und Atlantis hat von selbst dichtgemacht.

Da ist es ähnlich wie mit den Drogen: Wenn etwas verboten wird, tauchen sofort zwei, drei Alternativen auf. Der Markt wird größer, weil wir Sachen verbieten. Die Leute wissen jetzt außerdem, wie viel Geld sich damit machen lässt und welche Fehler der Betreiber von SilkRoad gemacht hat.

Ähnlich sieht es in der DZ aus. Was sich zuerst liest wie ein liberales Paradies entpuppt sich als neoliberale Hölle. Die Drogenkonzerne haben das Sagen, kontrollieren die Distributionswege und liefern sich erbitterte Konkurrenzkämpfe um jede neue Substanz. Wer sich Brot und Spiele gönnen oder gar um den kapitalistischen Irrsinn herum manövrieren möchte, muss den Preis bezahlen. Für viele ist es das eigene Leben. Die DZ hat weniger den Charakter von William S. Burroughs Interzone als eher den von Aldous Huxleys Schöne neue Welt.

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Das Gegenstück, die EU, in der Ziggy lebt, ähnelt hingegen dem, was George Orwell in 1984 beschreibt. Kaum ein Fleck, der nicht von Überwachungskameras gefilmt wird, kaum ein vorschnell geäußerter kritischer Gedanke, der nicht schwerwiegende Folgen haben könnte. Alkohol und Koffein sind noch erlaubt, Tabak aber ist so teuer, dass kaum noch jemand raucht. 

Es ist wohl nicht unwahrscheinlich, dass dein Roman als Propaganda für Drogen gelesen wird. Die Drogen wmk und Metaphorizin zum Beispiel sind zwar fiktiv, ihre Wirkung aber dürfte für einige Menschen verlockend sein.

Vielleicht. Es macht aber Spaß, sich Drogen auszudenken. Außerdem leben wir in einer Welt, in der ich—wenn es hochkommt—von 75.000 bis höchstens 150.000 Menschen gelesen werde. Die kriegen dann vielleicht Bock drauf, Drogen zu nehmen. Aber wir leben auch in einer Welt, in der Fußball von Biermarken gesponsert wird. Es wird den Leuten immer Bock gemacht, Drogen zu nehmen. Das ist mit Medikamenten auch so: Das eine nennen wir Medizin, das andere Drogen. Es gibt mittlerweile rund 150 Menschen, die in Deutschland Marihuana auf Krankenschein kriegen. Die Grenzziehung ist willkürlich. Der Vorwurf würde mich nicht treffen. 96 Prozent der Deutschen trinken Alkohol. Wir sind eine Drogengesellschaft. Wir nennen es nur nicht so.

Grafik von Maximilian Plenert von alternative-drogenpolitik.de

Laut einer Studie des britischen Forschers David Nutt zieht Alkohol schlimmere körperliche, psychische und soziale Konsequenzen nach sich als zum Beispiel Cannabis oder MDMA. Nach Crack, Heroin und Meth kommt es an vierter Stelle. Hier in Berlin bieten sogar Bäckereien Spirituosen an. Reflektieren wir unseren Umgang mit Alkohol genug?

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Nein, nein, nein! Es steckt eine riesige Lobby dahinter, da wird viel Geld rein gebraten. Zudem ist es gesellschaftlich akzeptiert. Es gibt ein hanebüchenes Argument gegen LSD: Die Menschen würden glauben, sie könnten fliegen.

Abgesehen davon, dass niemand genau weiß, wie viele Fälle es davon weltweit gegeben hat, ist es viel gefährlicher, wenn Menschen Alkohol trinken und glauben, sie könnten Auto fahren. Das passiert tausendfach, jeden Abend. Ich werde immer gefragt, warum ich denn nicht trinke. Unser Konsum wird nicht ausreichend reflektiert. Das trifft auch in anderen Fällen zu. Du kannst die absonderlichsten Sexualpraktiken ausüben und wirst vielleicht als Freak abgestempelt. Aber erzähl doch mal jemandem, dass du keinen Sex vor der Ehe haben willst. Dann bist du der absolute Volltrottel. Konsum musst du in dieser Gesellschaft nicht rechtfertigen, sondern nur den Verzicht.

Woher kommt diese gesellschaftliche Anerkennung von Alkohol?

Es hat Tradition und funktioniert zudem als soziales Schmiermittel. Wenn wir abends ausgehen und alle nüchtern sind, passiert weniger soziale Interaktion. Weißt du, wann das deutsche Reinheitsgebot eingeführt wurde?

Äh … Fünfzehnhundertirgendwas?

Um Sechzehnhundert, glaube ich. Hast du dir schon mal die Frage gestellt, warum es existiert?

Puh, nein.

Das wird auch nicht hinterfragt, sondern einfach so hingenommen. Welche Zusatzmittel gab es damals denn? Keine Konservierungsstoffe und so weiter, so viel ist klar. Meine Theorie ist: Dem Bier wurden damals noch andere psychoaktive Mittel beigefügt. Alraunen, Nachtschattengewächse und so weiter.

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In DZ wird ebenfalls kritisiert, dass jegliche Form von körperlicher Modifikation erlaubt und akzeptiert wird, Bewusstseinserweiterung mithilfe von Drogen jedoch nicht. 

Es ist mir unverständlich, wieso die Veränderung der Gedankenwelt bestraft wird, du mit deinem Körper jedoch machen kannst, was du willst. Wir leben in einer körperbetonten Gesellschaft. In den USA ist Dicksein ein Ausschlusskriterium für Präsidentschaftskandidaten. Alles, was in die Eso-Ecke geht, mit Bewusstseinserweiterung zu hat, wird belächelt. Wir leben in einer rationalen Welt, da hat das keinen Wert. Gut aussehen, schlank sein, ins Fitnessstudio oder in die Sauna gehen, diese Mittelschichtswerte, das schon.

Parallel zur Veröffentlichung des Romans hat Selim diverse Statements zur Drogenpolitik veröffentlicht. In diesen warnt er vor allem vor neuen psychoaktiven Substanzen und sogenannten legalen Highs. 

Was meinst du genau, wenn du von legalen Highs sprichst?

Es gibt mehr als 200 kontrollierte Drogen, also solche, die von der Gesetzgebung erfasst werden. Heutzutage ist die Anzahl von Drogen, zu denen es keine gesetzliche Regelung gibt, erstmals höher.

Es gibt also eine rechtliche Grauzone. Welche Gefahr besteht denn bei diesen neuen Substanzen und vor allem: Für wen besteht diese Gefahr?

So wie in der Gesetzgebung argumentiert wird: den Konsumenten. Wir wissen ungefähr, was Cannabis macht. Über diese ganzen neuen Cannabinoide wissen wir aber so gut wie nichts. Eine Cannabis-Überdosierung kann zwar unangenehm sein, aber ich habe noch von niemandem gehört, der danach zwei Stunden bewegungslos auf dem Küchenboden gelegen hätte. Das passiert aber, die Stoffe greifen das Herz-Kreislaufsystem an, Überdosierung kann sogar zum Tod führen.

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Worin liegt dann aber der Reiz?

Nehmen wir mal an, ein Gramm—fünf Konsumeinheiten—von einer dieser Substanzen wird im Darknet für 20 Euro angeboten. Es gibt Staffelpreise. Bestellst du hundert Gramm, kostet ein Gramm heruntergerechnet nur noch drei Euro—obwohl die Leute das selbst in irgendwelchen Laboren eingekauft haben. Es geht hier also um Gewinnspannen von weit über tausend Prozent.

Und für die Konsumenten?

Die Stoffe sind leicht erhältlich und die Qualitätssicherung ist eine andere als auf der Straße, da du dich mit anderen Kunden über die Shops austauschen kannst. Zudem sind die neuen Stoffe im Gegensatz zu den konventionellen Drogen frei anbietbar, und es drohen keine strafrechtlichen Konsequenzen. Es gibt so viele Stoffe, dass die Polizei das nicht mehr handhaben kann.

In der DZ stirbt keiner der Charaktere an Drogen. Menschen werden vielmehr aus wirtschaftlichen Interessen umgebracht. In Europa wird dagegen Maß gehalten. Unter der Diktatur der Angepassten scheinen die Figuren alles andere als glücklich mit ihrem Leben.

Beide Welten haben ihre Schattenseiten. Sie sind die logische Konsequenz aus dem Dilemma, vor dem wir jetzt stehen, betont Selim. Wollen wir den Drogenhandel eindämmen, rechtfertigen wir damit automatisch ein Überwachungssystem. Legalisieren wir sie aber, würden sofort die Konzerne den neuen Markt an sich reißen. Wenn diese dann zum „Starbucks des Marihuana“ aufgestiegen sind, da ist sich Selim sicher, würden sie sich einen Dreck um das Wohl der Konsumenten zu scheren.

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Gibt es denn keinen Weg, einerseits nicht zur Überwachungsgesellschaft zu mutieren und andererseits nicht in die neoliberale Hölle abzurutschen?

Ganz grundsätzlich: Ich bin Schriftsteller. Ich stelle nur die Fragen. Mit den Antworten müssen sich Mediziner und Juristen beschäftigen, nicht ich. Die zu geben, das ist nicht mein Beruf, und ich habe Angst vor meinen Kollegen, die meinen, sie würden Antworten geben können. Zwei Dinge aber, die ich wichtig finde: Wir brauchen mehr Bildung in Sachen Drogen. Ich habe in meiner Jugend gelernt, dass Drogen böse sind. Niemand hat gesagt: „… aber es fühlt sich super an!“ Es wird immer noch ein einseitiges Bild gezeichnet. Zum anderen müssten wir diese Sachen aus dem kapitalistischen System entkoppeln.

Wie können wir denn aber Drogen legalisieren, ohne dass sie vom Kapitalismus vereinnahmt werden?

Dass der Staat einen immensen Einfluss hat, sehen wir ja beim Rauchen. Das öffentliche Bewusstsein ist gelenkt und verändert worden. Es gibt weniger Orte, an denen du rauchen kannst und somit weniger Gelegenheiten dazu. Beim Alkohol besteht dieses Interesse aber nicht. Wenn wir Marihuana legalisieren würden, dürfte es nicht verschiedene Marken geben. Der Staat und nicht die Konzerne sollten daran verdienen. Ich sehe keine andere Möglichkeit.

Das klingt hart nach Enteignung. Eigentlich sogar kommunistisch.

Ja, so war das ja: Die hatten weniger Marken und die haben beschissener geschmeckt. [lacht] Deswegen ist der Ostblock zusammengebrochen: Die wollten mehr zu rauchen und bessere Hosen tragen. So ist das zumindest in meinem Kopf. Spaß beiseite: Es hat was Kommunistisches, ja. Wir müssten dazu natürlich dem Staat vertrauen. Aber bevor nun die Konzerne das Marihuana bekommen, könnten wir es verstaatlichen. Das wäre ein Ansatz, der sich auch auf andere Dinge übertragen ließe. Aber bei einem so heiklen Thema … Ja, da wäre ich für die kommunistische Variante.

Als wir das Café verlassen, regnet es in Strömen. Im Park haben sich einige Menschen unter die Bäume geflüchtet, sie halten hilflos ihre Jacken über die Köpfe, um nicht nass zu werden. Dealen ist bei diesem Wetter kein Zuckerschlecken. Selim und ich verabschieden uns dort, wo wir uns zwei Stunden vorher getroffen haben, und ich trete den Heimweg an. 

Als ich von der U-Bahnstation Warschauer Straße über die Warschauer Brücke zur S-Bahn trotte, schlägt mir der intensive Geruch von Gras entgegen. Das biertrinkende Pärchen neben mir scheint das nicht zu stören. „Wir leben in einer Drogengesellschaft“, hat Selim gesagt. Ich stimme ihm innerlich zu und ziehe an meiner Selbstgedrehten, während sich wahrscheinlich ein paar hundert Meter weiter auf dem RAW-Gelände ein paar Touristen eingefärbte Kopfschmerztabletten als Ecstasy verkaufen lassen.

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