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Es gibt kein Gesetz, das Burkas in der Schule verbietet

Ein Rechtsexperte erklärt, warum man in Deutschland auch vollverschleiert zum Unterricht gehen darf.

Junge Frauen mit Kopftüchern am Kölner Hauptbahnhof | Foto: imago/Future Image

Deutschland macht gerade Jagd auf das Gespenst Burka—wieder einmal. Die Debatte mutet an, als würde man an jeder Straßenecke verschleierten Frauen begegnen. Im aktuellen Deutschlandtrend der ARD sagten 81 Prozent der Befragten, sie fänden es gut, muslimischen Frauen die Vollverschleierung in der Öffentlichkeit zu untersagen. Jeder zweite Befrage war für ein generelles Verbot, jeder dritte für ein teilweises Verbot, zum Beispiel im öffentlichen Dienst und in Schulen.

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Tatsächlich geht es aber nicht um ein Massenphänomen, sondern um Einzelfälle, wie den einer Schülerin in Osnabrück. Das Sophie-Scholl-Abendgymnasium hatte ihr verboten, mit Niqab, einem Gesichtsschleier mit Augenschlitz, den Unterricht zu besuchen. Integration sieht anders aus, als einer jungen Frau den Zugang zum Gymnasium zu verwehren. Die 18-Jährige zog vor das Verwaltungsgericht, das ihren Antrag ablehnte, unter anderem, weil sie nicht persönlich zur Verhandlung erschien. Grund hierfür war laut Gericht das hohe Medieninteresse.

Aber kann ein Verwaltungsgericht überhaupt etwas entscheiden, das ein Grundrecht wie die Religionsfreiheit beschneidet? Wir haben mit Staats- und Verwaltungsrechtler Hans Markus Heimann über die Rechtslage gesprochen. Sein Buch "Deutschland als multireligiöser Staat" ist ein rechtlicher Reality-Check, der hinterfragt, warum Deutschland ein multireligiöser Staat ist, die Gesellschaft aber noch lange nicht.

VICE: Ist es gesetzlich gerechtfertigt, dass eine Frau nicht am Unterricht teilnehmen darf, weil sie einen Gesichtsschleier trägt?
Hans Markus Heimann: Aus meiner Sicht fehlt es hierfür derzeit an einer gesetzlichen Grundlage. Einen ähnlichen Fall hat in Bayern vor Kurzem ein Gericht entschieden: Eine Rechtsreferendarin klagte, weil sie im Gericht ihr Kopftuch ablegen sollte. Es gibt aber in Bayern kein Gesetz, das Referendarinnen das Tragen eines Kopftuchs im Gericht verbietet. Genau so ist es in diesem Fall: Das Verbot eines Gesichtsschleiers in der Schule muss der Gesetzgeber anordnen. Ohne ein solches Gesetz muss ein Verwaltungsgericht ein solches Verbot, das in die Grundrechte eingreift, als rechtswidrig ansehen.

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Das Verbot in Osnabrück ist also nicht rechtens?
Nein.

Die Schulbehörde begründet das Einschränken der Religionsfreiheit damit, dass der Staat seinem Bildungsauftrag wegen eines Gesichtsschleiers nicht mehr richtig nachkommen könne. Kann der Bildungsauftrag Anlass genug sein, ein Grundrecht zu begrenzen?
Der staatliche Bildungsauftrag ist in Artikel 7 des Grundgesetzes aufgeführt und steht damit auf derselben verfassungsrechtlichen Ebene wie die Religionsfreiheit. Ein Grundrecht kann eingeschränkt werden, wenn der Eingriff einem anderen verfassungsrechtlichen Ziel dient, das wichtiger erscheint. Die Begründung für ein Verbot des Gesichtsschleiers im Unterricht ist also vertretbar—und ich finde sie auch zutreffend. Aber wie gesagt: Darüber muss der Gesetzgeber im Parlament diskutieren und entscheiden, das dürfen nicht die Schule oder die Verwaltungsgerichte allein.

Nun fordern Politiker ein Verbot der Vollverschleierung. Ist das in Deutschland mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit vereinbar?
In meinen Augen ist es das nicht. Ich denke, ein solches Gesetz würden die Richter am Bundesverfassungsgericht verwerfen. Ein ganz allgemeines Verbot des Tragens eines Gesichtsschleiers ist nicht mit der Verfassung vereinbar.

In Frankreich gilt ein solches Gesetz. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärte es für zulässig. Warum?
Ich finde die Entscheidung der Richter in Straßburg wenig überzeugend. Sie argumentieren mit der "Gewährleistung von Mindestanforderungen für das Zusammenleben", die mit Vollverschleierung nicht gegeben sei. Das hat es beim Bundesverfassungsgericht bisher nicht gegeben.

Die Innenminister von CDU und CSU reden auch von einem Teilverbot, zum Beispiel in Behörden. Ist das verfassungsrechtlich tragbar?
Für diese Situationen kann es wichtige Gründe geben, auf die sich der Eingriff in die Religionsfreiheit stützen kann. Beispielsweise könnte ein Verbot der Burka am Steuer eines Fahrzeugs mit der Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer gerechtfertigt werden. Auch hier braucht es aber eine gesetzliche Grundlage. Es muss festgelegt werden, wo die Vollverschleierung erlaubt sein soll und wo nicht. Bis dahin hat die Schülerin in Osnabrück gute Aussichten auf Erfolg.