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DIE MUSIKAUSGABE

Cass McCombs sagt, das hier sei sein letztes Interview

"Er kann langsam keine Presse mehr sehen", sagt mir Cass McCombs Agentin Jessica. "Aber weil du's bist, sage ich mal: vielleicht."

Porträt von Molly Matalon

Aus der Music Issue 2016

"Er kann langsam keine Presse mehr sehen", sagt mir Cass McCombs Agentin Jessica, als ich zur Erscheinung seines neuen Albums Mangy Love ein Interview vereinbaren will. "Aber weil du's bist, sage ich mal: vielleicht." Kennengelernt habe ich Cass 2005 bei einer Weihnachtsfeier in London, als er Pressearbeit für sein zweites Album, PREfection, machte. Er hatte einen Underground-Hit namens "Aids in Africa", veröffentlicht bei Monitor Records—einem Label, das ein Typ betreibt, der "Baby Leg" genannt wird.

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Cass war noch am Anfang seiner Karriere und eine geheimnisvolle Figur. Es kursierten Geschichten über den jungen Musiker, den Kritiker als "seltsam" und "streitlustig" beschrieben und der angeblich Journalisten hasste. Schwierige Menschen reizen mich schon immer, und bezaubert von seinen schönen Songs—bekiffte Country-Blues-Gospel-Hybride wie "I Went to the Hospital"—wurde mir klar, dass ich mich in jemanden verliebt hatte, den ich noch nicht kannte.

Als sein PR-Mensch uns bei der Party einander vorstellte, bekam ich trotz meines

Schwipses

den deutlichen Eindruck, dass dieser "schwierige" Typ eigentlich sehr entspannt und charmant war. Und er hatte so durchdringende blaugrüne Augen.

Seither habe ich eine seltsame Journalist-Fan-Freund-Beziehung zu ihm. In den letzten acht Jahren habe ich ihn häufig interviewt, und mit Jessicas Segen fliege ich Anfang September nach San Francisco, um es noch einmal zu tun. Laut Cass soll es das letzte Mal sein. Jemals. Mit überhaupt jemandem. Cass wird keine Interviews mehr machen, denn er hasst es und er hasst, wie er in ihnen rüberkommt.

Cass schreibt mir, ich solle bei Mill Valley Music vorbeikommen, also tippe ich die Adresse in mein Navi und fahre die zwei Stunden von San Francisco nach Santa Cruz. Die Straße windet sich durch eine beeindruckende Landschaft, die mich an die Anfangsszene aus Shining erinnert, in der Jack Torrance seine Familie in das Hotel bringt. Und für Cass nehme ich die Entfernung gern in Kauf.

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Bei Mills Music angekommen, begegne ich niemand Geringerem als Mr. Mills. Der Mann hat noch nie von Cass McCombs gehört. Ein SUV hält vor dem Haus, und ich erwarte, dass Cass aussteigt, doch es ist einer von Mills' Musikschülern. Ich habe mich vertan. Mill Valley Music stellt sich als Plattenladen heraus, der nun eine mehr als zweistündige Fahrt entfernt ist. Er liegt gleich bei San Francisco—nicht auf einem Berg in Santa Cruz.

Die New York Times nannte Cass "einen der größten Songschreiber seiner Zeit".

Ich rufe Cass an. Er findet es wohl schade, aber auch nicht schlimm. "Das tut mir leid", sagt er. "Aber wir können zum Strand fahren. Ich hab eine Kühlbox voll Bier." Ich kehre nach San Francisco zurück und treffe mich mit ihm im Dolores Park, wo er in einer Cap, Sonnenbrille und neuen Levi's auf mich wartet.

Mangy Love ist Ende August erschienen und hat ein überwältigendes positives Echo gefunden. Die New York Times nannte Cass "einen der größten Songschreiber seiner Zeit", doch bis zu einem solchen Lob in Mainstream-Medien hat es neun Alben gebraucht. Aber das ist egal, denn das Lob macht ihn nicht glücklich. Er findet es sogar ein bisschen peinlich, überhaupt in den Medien zu sein.

Kurz nach dem Erscheinen des Albums hatte er ein Interview mit dem MTV-Veteranen John Norris. Cass sagt, die Unterhaltung habe angenehm begonnen—ein witziges, entspanntes Gespräch—doch am Ende hätten sie es zusammengeschnitten, und er sei wie ein nerviger Weltverbesserer rübergekommen. In dem Interview spricht er sehr ernst darüber, dass es in der heutigen Musik keine emotionale Ehrlichkeit gibt. Ich sage ihm ehrlich, dass ich das Interview großartig fand. Es erinnert mich an Zeiten, als Künstler wie Elliott Smith oder Kurt Cobain mit Journalisten aufrichtig über Themen sprachen, die ihnen das Gefühl gaben, Außenseiter zu sein.

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"Die Leute sind pleite, sie leiden, und vielleicht ist das hier ein Weg, ihnen zu helfen", sagte er zu Norris, als das Gespräch auf politisches Bewusstsein in diesem US-Wahljahr kommt. "Und es kann schon helfen, einfach einen Song zu schreiben, in dem eine Stimme laut wird, die nicht so oft Gehör findet."

"Mann, es ist furchtbar", sagt er und verzieht peinlich berührt das Gesicht, als wir zum Strand fahren. "Wenn ich meine Zitate in einer Zeitschrift oder online sehe, fühle ich mich, als würde ich mein früheres Selbst verraten. Du siehst dich durch die Augen anderer Leute, statt dich zu sehen, wie du wirklich bist." Doch in vieler Hinsicht ist er die Person aus diesen Interviews: nachdenklich, sensibel und besorgt.

"Warum sind Rasta- und Gospelmusik besser als all euer Bourgeois-Bullshit zusammen?"

In dem MTV-Interview sprach er über seine Verbindung zu HeadCount, einer politisch unabhängigen Non-Profit-Organisation, die Demokratie fördern will und mit Musikern zusammenarbeitet. Doch er überlegt, sich bei dieser Wahl aufgrund seiner pazifistischen Ansichten zu enthalten. Er fühle sich weder von Trump noch von Clinton vertreten. Grundsätzlich verrät er nur ungern etwas über sein Privatleben oder seine Ansichten. Die ehrlichen Aussagen gegenüber Norris und dem MTV-Publikum bereut er. Denn wenn er mal persönlich wird, dann ist er immer ehrlich.

Um ihn für unser Interview—sein letztes Interview—positiv zu stimmen, starte ich eine Aufnahme-App auf meinem iPhone und lege es aufs Armaturenbrett seines Subaru Outback. Das Auto ist voll mit Platten, Büchern, Kassetten und einer Kühlbox mit Bier. Dann beginnen wir eine lange Unterhaltung über Musik.

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Wir reden zuerst über Songs auf einer Kassette, die er gerade gekauft hat, produziert von der Rex Foundation, der Non-Profit-Organisation von Grateful Dead. Der Häftlingschor San Quentin Mass Choir singt Gospellieder wie "He's All I Need", doch die Instrumentierung klingt wie etwas aus Mangy Love.

Neben den Stimmen der Häftlinge und ihrer Geistlichen windet sich im Hintergrund eine Art trippy Psych-Gitarrenjam mit West-Coast-Flair. Cass' musikalische Wurzeln sind kirchlich. Er sang in einem katholischen Kirchenchor, wo er mit fünf Klavier spielen lernte. Dann lernte er Saxofon und dann Gitarre. Dann hatte er eine Glaubenskrise. "Ich hatte einen Zusammenbruch und erkannte, dass ich den Leib Christi nicht in mich aufnehmen und sicher wissen konnte, dass er mich erlösen würde", sagt er. "Heute würde ich sagen, ich habe diesen Glauben nicht mehr. Aber mir gefällt immer noch Musik von Kirchenchören."

Der Einfluss der Gospelmusik, die er mir als "Musik, die die Seele berührt" beschreibt, ist auf dem neuen Album deutlich zu hören. Nicht mit ganzen Kirchenchören als Backgroundgesang, sondern reduziert und andächtig. Dieses Element zieht sich durch seine Werke; man nehme nur "County Line" von seinem Album Wit's End von 2011. Er sagt mir, es sei gerade sein mangelnder Glaube, der ihn weiterhin in religiöser Musik Inspiration finden lasse. "Es ist sehr wichtig, die eigene Komfortzone und alles, was uns als Kultur und Religion definiert, zu verlassen und auch mal andere in ihrer Kirche zu besuchen.

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"Viele weiße Leute wollen partout nichts machen, das einen religiösen Kontext hat, und meine Antwort auf diesen betonten, lautstarken Atheismus ist: 'Warum ist Gospel 100 Prozent besser als die Musik, die ihr hört? Warum sind Rasta- und Gospelmusik besser als all euer Bourgeois-Bullshit zusammen?'"

Es gibt natürlich noch weitere Einflüsse bei Cass, darunter Coil, Hot Tuna, Throbbing Gristle und Aretha Franklin (die hier vermutlich zum ersten Mal in einer Reihe genannt wurden). Er erwähnt auch Vassar Clements, der Cass sehr ermutigte, als er ihm vor langer Zeit einmal backstage im Fillmore in San Francisco begegnete. „Er setzte mich in seine Ankleide und sagte: 'Du lernst jetzt also Musik machen, was, Junge? Bleib dabei und hör nicht darauf, was die Leute sagen.' Er wollte mir sagen, dass er wusste, wie entmutigend es sein kann, Musiker zu sein. Also beschloss ich, mich noch mehr anzustrengen."

Wir leeren zwei Lagunitas und verlassen unser Endlosgespräch über Musik. Die Sonne versinkt am Ocean Beach, und wir reden über das Burning Man, das eben zu Ende gegangen ist. Wir finden, es hat spirituell einen guten Vibe, weil es ums Teilen geht und weil es etwas Gesetzloses hat. Cass meint jedoch, es habe eigentlich keinen Sinn, wenn es nur für ein Wochenende sei. Nach einer Weile fährt er mich zu meinem Mietauto, und ich kehre ins Hotel zurück, um das letzte Interview zu transkribieren. Ich habe selbst auch einen ganz guten spirituellen Vibe. Bis mir klar wird, dass es die letzten zwei Stunden des Interviews nicht aufgezeichnet hat. Ich hämmere gegen die Wand.

Am nächsten Morgen schreibe ich Cass kleinlaut. "Hey. Du meintest doch, das sei dein allerletztes Interview … Können wir's noch mal machen?"

"Hahaha. Ich weiß nicht, Mann. Vielleicht will mir das Universum auf diese Art mitteilen, dass ich endlich die Schnauze halten soll."