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Menschen auf der Flucht

Tod im Asylbewerberheim

Im Asylbewerberheim ist ein Toter für mehrere Wochen unentdeckt in seinem Zimmer verfault. Ich habe sein Heim besucht, das eklig stank und heruntergekommen ist, und mit Leuten gesprochen, die den Toten kannten.

Hisham Yazbek. Foto vom Journalistenbüro Ginzel Kraushaar Datt

Leipzig hat einen Asylbewerber weniger. Hisham Yazbek ist tot. Laut Angaben der Staatsanwaltschaft ist der 34-jährige Libanese an der Überdosis eines Heroingemischs gestorben und lag eineinhalb Monate unentdeckt in seinem Zimmer. Gewissermaßen also als Karikatur seiner selbst, so wie sich Nazis und der rechte Mob das Bild des „Asylanten“ gern ausmalen: als drogensüchtigen und kriminellen Ausländer. Ich würde es gern genauer wissen und fahre zu dem Asylbewerberheim, in dem Hisham jahrelang gewohnt hat.

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Zum Glück ist in Deutschland auch gerade Wahlkampf. Je näher ich dem Asylbewerberheim am nordöstlichen Stadtrand von Leipzig komme, desto größer wird die Dichte der NPD-Wahlplakate, zuletzt stapeln sie sich an den Laternenmasten. „Geld für Oma statt für Sinti und Roma“ oder „Maria statt Scharia“, Hauptsache, es reimt sich. Wer in Österreich auf solch populistische Sprüche zählt, wissen wir. „Asylantenflut stoppen“ fällt klar aus der Reihe, der propagandistische Evergreen ist für die Nazis aber selbstverständlich ein Muss.

Hisham hat in einem der beiden grauen Blöcke gewohnt, die ich von der Straße aus gut als Asylbewerberheim erkennen kann. Sie sind so abgefuckt, dass kein Deutscher darin wohnen würde, aber sie sind ganz offensichtlich bewohnt. Wegen der doppelten Umzäunung und der Eingangsschleuse, an der ich meinen Pass abgeben muss, könnte man auch denken, es ist ein Knast, aber selbst Knäste sehen besser aus. Wer rein und raus geht, hat die Betreiberfirma, ein privater Sicherheitsdienst, offenbar ganz gut im Blick.

Der Rest ist eine Katastrophe. Auf dem Gelände riecht es nach Müll. Das Fenster im Aufgang 9, am hinteren Gebäude, ist behelfsmäßig mit Holz abgedichtet. Richtig renoviert wurde hier offenbar das letzte Mal zu DDR-Zeiten. Es gibt keine Klingeln und auch keine Namensschilder an den Metalltüren, hinter denen die Unterkünfte liegen.

Ich klopfe an jeder Tür, aber niemand macht auf. Hinter der Tür im fünften Stock rechts hat Hisham etwa sechs Wochen lang tot in seinem Zimmer gelegen. Ohne dass die Heimleitung darauf aufmerksam wurde, obwohl die Bewohner von Aufgang 9 mehrmals auf den Gestank und Fliegenschwärme im Haus aufmerksam gemacht hatten.

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Auf dem Gelände treffe ich Ahmed. Er hat gesehen, wie der Leichensack am 13. Juni von der Polizei aus dem Gebäude getragen wurde. Aber er kannte Hisham nicht. „It’s a shit story“, sagt er ernüchternd und nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Life is shit here.“ Noch nie hat er mit so vielen Kakerlaken und anderem Getier gelebt, aber trotzdem sitzt er hier fest. Es geht nicht vor und nicht zurück. Auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Libyen ist er hier vor eineinhalb Jahren gelandet—er kann nicht zurück, denn dort würde er umgebracht werden, glaubt er. Vorwärts kommt er nicht, weil er keine Aufenthaltsgenehmigung bekommt.

Ahmed

Die Zustände in der Torgauer Straße 290 sind bekannt. Die Unterkunft war 2011 beim „Heim-TÜV“ komplett durchgefallen und wurde als „unangemessen“ eingestuft. „Die zwei Gebäude sind abgewohnt und unhygienisch. Auf die sozialen Bedürfnisse der Bewohner wird nicht eingegangen“, heißt es dort. Die Unterkunft sollte sofort geschlossen werden. Passiert ist bisher nichts. Die Stadt hatte damals die Idee, die Flüchtlinge nicht mehr kaserniert in Sammelunterkünften unterzubringen, sondern sie zukünftig dezentral in Wohnungen quer über die gesamte Stadt verteilt wohnen zu lassen. Aus dem Vorhaben ist bis heute nichts geworden. Nicht zuletzt weil der Leipziger Bürgermob dort mobil machte, wo die Flüchtlinge zukünftig leben sollen. Jetzt sollen zu den 230 noch einmal 135 bis 173 Flüchtlinge dazukommen.

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Hisham—Foto vom Journalistenbüro Ginzel Kraushaar Datt

Hisham hat mehrere Jahre in der Torgauer Straße gewohnt. Ich will schon nach 20 Minuten raus aus der Trostlosigkeit. Ich rufe den Ausländerbeauftragten Martin Gillo an, der den Heim-TÜV in Auftrag gegeben hatte. Von dem Tod Hishams hat er auch erst kürzlich erfahren. Die Stadt Leipzig, die für das Wohl der Flüchtlinge zuständig ist, hatte so lange wie möglich Stillschweigen bewahrt. Gestern hieß es dann, sie „bedauere“ den Vorfall.

Der CDU-Politiker Martin Gillo

Gillo findet klare Worte: „Wenn einem jungen Menschen mit viel Engagement und Hoffnung der Weg zu einer sinnvollen Tätigkeit genommen wird, dann ist es nachzuvollziehen, dass derjenige sich in Alkohol oder Drogen stürzt.“ Das sei leider eine der „bedauerlichen Konsequenzen einer Zermürbungsstrategie“—gemeint ist das deutsche Asylverfahren.

Durch einen glücklichen Zufall treffe ich bei einer Autowerkstatt in der Nähe des Heims Ali Abou Khalil. Er ist 2003 vor dem Bürgerkrieg aus dem Libanon geflohen und saß drei Jahre zusammen mit Hisham im Asylbewerberheim. „Ich hab’s geschafft“, sagt er und zeigt mir seinen Perso. Seine deutsche Freundin hat ihn aus der Heimhölle rausgeheiratet. Hisham wollte letztes Jahr auch heiraten, erzählt mir Ali. Nur leider sei Hashims Freundin damals kurz vorher gestorben—an Drogen, glaubt er.

Von da an hat er Hashim nur noch irgendwo auf der Straße schlafend rumhängen sehen. Länger im Krankenhaus wäre er auch mal gewesen und im Knast. Wie nah ihm diese Geschichte geht, merkt man nur daran, wie erleichtert er ist, wenn er über etwas Anderes reden kann. Über sein Auto, über die Bremsen, die er gerade neu gemacht hat, und zwar so begeistert, dass ich selbst fast vergesse, warum ich eigentlich da bin.

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Hisham hat es nicht geschafft. Man muss hart sein, wenn man im Asylbewerberheim überleben will, weiß Ali. Hisham war über zehn Jahre hart, wenn man so will. Er war 1978 in Berlin geboren, kehrte mit seiner Familie zwischenzeitlich zurück in den Libanon, hat dort eine Tischlerlehre gemacht und kam dann 2001 wieder nach Deutschland, um Deutscher zu werden und hier zu arbeiten und daheim seine Familie zu unterstützen.

Abends treffe ich den Journalisten Arndt Ginzel. Er sieht ganz schön mitgenommen aus. Er hatte mir Anfang der Woche von der Geschichte erzählt und am Wochenende Hishams Mutter in Beirut besucht. Sie hat immer gewollt, dass Hisham zurückkommt, erzählt Arndt, auch wenn er in den ersten Jahren immer schöne Fotos aus Leipzig geschickt hat. Arndt hat die Fotos abgelichtet. Wie ein Tourist steht Hashim vor dem Leipziger Hauptbahnhof. Auf dem anderen ist er mit drei jungen Frauen unterwegs, wieder auf einem anderen sitzt er lässig auf einer Parkbank.

Es existiert auch ein Bericht über den Zustand seiner Leiche, die mehrere Wochen in seinem Zimmer faulte und von Maden befallen war. Die Details sind so eklig, dass ich sie eigentlich nicht aufschreiben will. Genauso widerlich ist vor diesem Hintergrund die Tatsache, dass so etwas unter der Obhut eines der reichsten, sichersten und friedlichsten Länder der Erde passiert. Dessen Regierungsvertreter zudem noch quer durch die Welt reisen, um in Sonntagsreden von Menschenrechen zu erzählen, während sie Flüchtlinge in Heimen buchstäblich verrotten lassen.

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Physisch und oft auch psychisch. Asyl in Mitteleuropa, das ist für viele Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten oft der letzte Strohhalm. Wer diese Hoffnung aufgibt, hat oft nichts mehr, woran er oder sie sich klammern kann.

Hashim liegt jetzt auf einem Friedhof in Beirut. Das Geld für den Transport und die Beisetzung hat ein muslimischer Verein in Deutschland zusammengesammelt, damit Hashim wenigstens eine anständige Bestattung bekommt. Ali hat auch was dazugegeben. Sonst wäre Hashim in einem namenlosen Grab irgendwo in Leipzig gelandet.

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