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Das ist der beste Wissenschafts-Hoax, den wir seit Langem gesehen haben

Hatten Schäferhunde eine Mitschuld an der Nazi- und SED-Diktatur? Eine deutsche Fachzeitschrift behauptet das.
Ein Wachhund in einem DDR-Gefängnis in Bautzen | Foto: Imago/Werner Schulze

Was hätte die deutsch-deutsche Teilung für Spuren hinterlassen, wenn sie nicht 40, sondern 280 Jahre gedauert hätte? Aus Sicht der Hunde hat sie das nämlich—denn es ist ja bekannt, dass ein Menschenjahr sieben Hundejahre dauert. Auch sonst hatten Hunde unter der Trennung schwer zu leiden: Wer weiß heute noch, dass der erste Mauertote ein Polizeihund namens Rex war? Und dass der Dritte Weltkrieg nur durch den Leinenzwang für die Wachhunde der NVA-Grenztruppen verhindert wurde? Und: Dass diese Hunde nicht nur genauso eingesetzt wurden, sondern sogar direkt von den KZ-Hunden der Nationalsozialisten abstammten?

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Mit diesen und andere faszinierenden Denkanstößen überraschte die aktuelle Ausgabe der historischen Fachzeitschrift Totalitarismus und Demokratie. In der im Dezember erschienenen Nummer fand sich nämlich unter anderem auch ein Beitrag mit dem Namen „Der deutsch-deutsche Schäferhund – Ein Beitrag zur Gewaltgeschichte des Jahrhunderts der Extreme" von Christiane Schulte, der sich ausgiebig mit so drängenden Fragen wie „Waren deutsche Hunde immer schon deutsche Täter?" beschäftigt.

Das einzige Problem: Die Autorin Christiane Schulte existiert nicht, und der ganze Artikel ist ein einziger Haufen ausgedachter Schwachsinn. Mit der Veröffentlichung ist die renommierte Zeitschrift auf eine ziemlich gut gemachte Stinkbombe von einer Gruppe kritischer Wissenschaftler hereingefallen—und zwar so heftig, dass die Erhebung dieses Streichs zur Uni-Legende vorprogrammiert sein sollte.

Und das, obwohl die Autoren überall im Text Signale versteckt haben, die den Leser eigentlich hätten warnen müssen (Kommissar Rex zum Beispiel taucht gleich im ersten Absatz auf). Ein anderes schönes Beispiel: Anhand des „Rasse- und Zuchtarchivs Umpferstedt" will die fleißige Forscherin herausgefunden haben, dass derselbe Züchter, der 1940 einen Schäferhund namens „Siegfried" an das Konzentrationslager Buchenwald geliefert hatte, dann 1946 einen Enkel des Rüden für das sowjetische Speziallager am selben Ort bereitstellte—der aber den für die neue Zeit günstigeren Namen „Iwanow" trug. Fazit: „Die Implikationen dieser bisher unerforschten Kontinuität für eine Gewaltgeschichte des ,Jahrhunderts der Extreme' sind immens." Offensichtlich fanden die Lektoren von TuD das auch.

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Solche Juwelen finden sich auf den knapp 15 Seiten noch einige. Zum Beispiel, wenn es um die Trennung in Hundejahren geht: „Die Mauer, die menschliche Familien für zwei Generationen auseinanderriss, trennte die Hundepopulationen für über 20 Generationen." Oder dazu, wie das grausame „Eugenik"-System der DDR-Hundezucht immer wieder Material für die Grenze lieferte: „Ob altdeutscher Einhoder oder Kettenhund mit spitzen Ohren—an den Leinen der Grenze war fast jedes Tier zu gebrauchen." Außerdem nimmt die Autorin praktisch jeden Hundeschiss zum Anlass, um sich in grandiosen pseudo-wissenschaftlichen Formulierungen wie der folgenden zu versteigen: „Die Hunde, als quasi abgeleitete Staatsorgane, mussten somit die staatliche Trennung Deutschlands mit durchleiden und sogar durchsetzen. Sie waren auch in dieser Weise Teil der deutschen Nationalgeschichte als ,imagined community"'.

Hinter dem ganzen Spaß steckt aber ein ernstes Anliegen: Mit der Satire-Aktion wollte die Gruppe um die fiktive Christiane Schulte darauf hinweisen, dass in der deutschen Wissenschaft gerade einiges schiefläuft. In einem auf heise.de erschienenen „Aufklärungsartikel" erklärt die Gruppe, warum ihr Fake so gut funktioniert hat: „Der Grund dafür war, dass der Text mit den „Human Animal Studies" (HAS) das Vokabular der neuesten akademischen Mode aufgriff und gleichzeitig altbekannte Rhetorik zum „,DDR-Unrechtsstaat' reproduzierte." Und weiter: „Akademische Mode kombiniert mit politischem Konformismus – der Vortrag parodierte zwei klassische Strategien akademischer Ein- und Unterordnung und erschien gerade deshalb als ,kritisch' und ,innovativ'."

Dabei haben die Satiriker es vor allem auf zwei Strömungen abgesehen—eine alt, eine hochmodern—, die sie beide für realitätsfern und gefährlich halten: Die Extremismustheorie und die sogenannten „Human-Animal-Studies". In einer E-Mail an VICE erklärt eine der Autorinnen: „Es geht darum, dass die Extremismustheorie keine wissenschaftliche Methode ist. Sie sieht, was sie sehen will: Ob Hund, ob Mensch, Nazis und Linke sind irgendwie dasselbe und vor allem Böse. Das ist eine academic fashion aus den 1950ern, die sich spätestens mit Stalins Tod erledigt haben sollte. So sagte jedenfalls Hannah Ahrendt, die diese Theorie weit differenzierter vertreten hat als ihre Nachfolger heute." Dass man sich bei der Zeitschrift Totalitarismus und Demokratie offenbar auch von der „Kontinuität" der Hundefamilien in NS-Deutschland und der DDR (von „Siegfried" zu „Iwanow") überzeugen ließ, ist vielleicht ein gutes Beispiel dafür.

Und Human Animal Studies? Zugegeben, eine ganze Konferenz über „Auswirkungen der SED-Ideologie auf gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnisse in der DDR", das klingt zwar etwas schrullig, aber jetzt nicht unbedingt problematisch. (Diese Konferenz wurde vom Center for Metropolitan Studies an der Technischen Universität in Berlin im Juli 2014 tatsächlich abgehalten und war der erste Ort, an dem die Autoren ihre steilen Thesen in Form eines sehr erfolgreichen Vortrags der Öffentlichkeit präsentiert haben.)

Die anonyme Autorin ist anderer Meinung: „Natürlich hat auch der Umgang von Menschen mit Tieren eine Geschichte", schreibt sie. „Aber die Idee einer ‚Agency' ist ein Zirkelschluss. Jeder sieht, dass ein Tier sich bewegt und Dinge tut, auch mal beißt und bockt—das ,Agency' zu nennen, sagt nichts Neues." Stattdessen dienten die „HAS" eigentlich nur dem Zweck, radikal zu klingen, ohne wirklich radikal zu sein: „Problematisch ist daran vor allem der für die Human Animal Studies charakteristische Relativismus, der menschliches und tierisches Leben auf eine Stufe stellt—was nicht die Stärkung von Menschenrechten, sondern deren Auflösung bedeutet", schreiben die Autoren dazu auf heise.de.

Man merkt, es steckt viel echte Wut auf das Establishment hinter dem Streich. Was aber nichts daran ändert, dass das Produkt, die Gewaltgeschichte des deutsch-deutschen Hundes, ein ziemlich großartiges Beispiel für Wissenschafts-Satire geworden ist. Der Verlag hinter der Zeitschrift Totalitarismus und Demokratie hat den Artikel zwar mittlerweile kommentarlos aus seinem Online-Angebot gelöscht. Wenn ihr Zugang zu einer Universitätsbibliothek habt, könnt ihr euch aber immer noch die Druckversion besorgen: Sucht einfach mal nach Totalitarismus und Demokratie, 13 (2015), Seiten 319-334. Es lohnt sich sehr.