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Popkultur

Ich hasse den Facebook Messenger

Facebook hat die mobile Nachrichtenfunktion komplett in die Messenger-App verlagert. Viele ärgern sich über diese Zwangsbeglückung und lassen online ihrem Unmut freien Lauf. Das ist auch gut so.

Foto: VICE Media

Vergangenen Donnerstag wurde ich beim Versuch, eine neue Nachricht in meiner Facebook-App zu lesen, nach vielen ignorierten „Hallo Verena, wir verschieben die Nachrichten“-Meldungen, die ein Hamster mit Taschenuhr offensichtlich weniger nervig machen sollte, endgültig dazu gezwungen, mir den Facebook Messenger herunterzuladen. Ich habe mich lange gegen die eine weitere unnötige App auf meinem Handy geweigert, weil es mir zu egal war, ob ich meine Facebook-Nachrichten hier oder da lese und die Facebook-App einwandfrei funktioniert hat. Wie heißt es so schön—Never Change A Winning Team.

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Nun sagt mir aber der nette Hamster mit fröhlichem Gesicht, der seine Taschenuhr gegen einen Koffer ausgetauscht hat, dass die Nachrichten umgezogen sind und ich kann mich zwischen „mehr erfahren“ und „App installieren“ entscheiden. Natürlich habe ich die App installiert, weil ich weiterhin meine Facebook-Nachrichten möglichst unumständlich am Handy lesen und versenden können möchte. Kurz dachte ich mir, dass die App ja vielleicht auch gar nicht so blöd ist, denn sie braucht angeblich weniger Bandbreite und weniger Akkulaufzeit als die Facebook-App—und Akku ist in meiner Welt ein so seltenes Gut, wie es Erdöl in den nächsten 50 Jahren sein wird.

Die Nutzungsbedingungen habe ich vor dem Download nicht gelesen, mache ich rein aus Bequemlichkeit eigentlich nie. Meiner Meinung nach ist in Sachen Datenschutz, vor allem bei Facebook, eh schon alles zu spät. Es ist im Grunde schon normal, Apps den Zugriff auf die Kamera, die Bilder oder die Kontakte zu erlauben—und das ist auch okay, vorausgesetzt, die Apps benötigen den Zugriff auch wirklich. Der Messenger will Zugriff  auf viele Funktionen, die für eine reine Nachrichten-App auf den ersten Blick überflüssig scheinen. Zum Beispiel will die App jederzeit selbstständig Audioaufnahmen machen dürfen, SMS lesen, bearbeiten und versenden können oder—mein persönliches Highlight—den Zugriff auf geschützten Speicher „testen“. Für welchen wahnwitzigen Notfall Facebook den Zugriff auf den geschützten Speicher meines Handys „testen“ will, ist mir rätselhaft.

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Screenshot: VICE Media

Natürlich ist das völlig absurd und auch ein bisschen gruselig—und fast hätte ich mich dazu verleiten lassen, mich ganz in Gutmenschen-Manier über Facebook, den Handel mit Daten und überhaupt alles zu beschweren. Was mich aber wirklich ärgert, ist die Messenger-Zwangsbeglückung und offenbar stehe ich nicht alleine da. Nur die wenigsten befürworten den Messenger, manchen ist er schlichtweg egal, und ausgesprochen viele User äußern ihren Unmut in der Bewertungs-Sektion des App-Stores. Die aktuelle Version des Messengers hat nur einen von fünf Sternen und es häufen sich erboste Kommentare.

Wahrscheinlich ist in einer Woche den Usern der Messenger egal—genau so wie es war, als WhatsApp von Facebook gekauft wurde und sich jeder einen Tag lang ganz fest vorgenommen hat, WhatsApp zu löschen oder eine Riesenpanik wegen Graph Search ausgebrochen ist. Die meisten erinnern sich in einem Monat nicht einmal mehr, wie die alte Nachrichtenfunktion überhaupt ausgesehen hat—so wie es immer nach einem Facebook-Update ist. Trotzdem sollte das kein Grund sein, den Mund zu halten, wenn man sich eigentlich beschweren sollte. Denn dass Internetprotest nicht immer umsonst ist, zeigt die Tatsache, dass Facebook vor fünf Jahren einmal eine umstrittene Änderung der Nutzungsbedingungen zurückgezogen hat, nachdem die Nutzer offenbar protestiert haben. Auch die aktuelle Sammelklage gegen die Facebook-Nutzungsbedingungen von Datenschutz-Aktivist Max Schrems und den mittlerweile 12.000 Menschen, die sich der Klage angeschlossen haben, zeigt, dass (nicht vorhandener) Datenschutz längst kein unsichtbares Problem mehr ist, gegen das man sich nicht wehren kann.

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Screenshot: VICE Media

Ob man es macht oder nicht, bleibt jedem selbst überlassen. Facebook kann sich eine Zwangs-App wie den Messenger erlauben, weil sie wissen, dass sie entweder ohnehin heruntergeladen wird oder dass sich deswegen zumindest nur die wenigsten User von Facebook abwenden werden.

Ich jedenfalls habe Facebook meine Seele bereits am 21. Oktober 2008 verschrieben und Mark Zuckerberg soll sich keinen Zwang antun, wenn er mein Normalo-Leben per Audiomitschnitt miterleben will. Vielleicht sind wir aber auch schon alle längst die Hauptdarsteller unserer eigenen kleinen Truman-Show und unterschätzen Facebook. Vielleicht ist Facebook eine kleine Parallelwelt, in der wir alle leben und uns so zeigen können, wie wir in Wahrheit nicht so ganz sind.

Was aber auch in einer virtuellen Parallelwelt nicht anders als in der echten Welt sein sollte, ist, dass Protest möglich sein muss und dass man—auch wenn es banal klingt—nicht gezwungen werden sollte, eine App herunterzuladen, die offensichtlich nur ein weiterer Versuch von Facebook ist, möglichst viele persönliche Daten von unseren Handys zu fischen, der für viele Menschen zu weit geht.

Nachdem wir den Artikel veröffentlicht haben, habe ich eine E-Mail von jemandem erhalten, dessen Namen ich noch nie zuvor gehört hatte. In der Mail stand „Hallo Verena, hast du heute einmal kurz Zeit für ein Telefonat? Viele Grüße, Stefan“. Mein erster Gedanke war „Keine Ahnung, wer du bist. Viele Grüße, Verena“—bis ich das große Facebook-Logo in der Signatur sah. Kurz dachte ich, Facebook will, dass wir den Artikel zurückziehen und erpresst mich damit, alle meine Nachrichten öffentlich zu machen oder meine Facebook-Existenz für immer zu löschen.

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Was mich dann aber tatsächlich erwartet hat, war ein dreißigminütiger Monolog über den Facebook Messenger. Der nette Herr begrüßt mich mit den Worten „Die Schlagzeile ist ja schon heftig" aber klingt irgendwie selbst ein bisschen amüsiert. Als Hauptgrund für die Umstellung auf den Messenger hebt er immer wieder die höhere Leistungsfähigkeit hervor, denn wenn man schlechtes Netz hat stürzt die Facebook App einfach oft ab, meint er. „Die Menschen wollen verschiedene Apps für verschiedene Bedürfnisse. Der Messenger ist für viele ein E-Mail-Ersatz"—damit erklärt er mir weiter, warum der Messenger einfach super ist. Auf die Frage, wie er sich den aktuellen Unmut über den Messenger erklärt, meint er, der Mensch sei einfach ein Gewohnheitstier und die Aufregung legt sich bald wieder. Ich frage ihn, ob er wirklich glaubt, dass sich die User ärgern, weil sie Gewohnheitstiere sind oder vielleicht doch deswegen, weil sie gezwungen werden, die App herunterzuladen. „Ja, wir sind pushy. Uns ist bewusst, dass nicht jeder damit glücklich ist, weil man gezwungen wird, sein Verhalten zu ändern. Der Sturm wird sich ins Positive umkehren, wie in den USA.“

Auch zu den Nutzungebedingungen des Messengers hat er etwas zu sagen. „Bei Android als Entwickler muss man sogenannte Berechtigungspakete holen, man kann sich also keine einzelnen Berechtigungen besorgen. Die Benennung ist auch von Android vorgegeben. Natürlich sind da auch Berechtigungen dabei, die man nicht benötigt. Natürlich will der Messenger keine SMS verschicken oder lesen, man kann aber Freunde per SMS zum Messenger einladen, darum muss diese Berechtigung in dieser Form eingeholt werden. Die Funktionen sind nicht da, um einer Abhörwut nachzugehen, sondern sind notwendig.“ Das heißt also, der Messenger macht nicht jederzeit Audioaufnahmen, sondern benutzt beispielsweise dann das Mikrofon, wenn man Sprachnachrichten verschicken will.

Zu Datenschutz-Aktivist Max Schrems meint der nette Herr am anderen Ende der Leitung: „Eigentlich will ich mich dazu gar nicht weiter äußern. Er ist eine One Man Show, verspricht einfach aus dem Blauen 500 Euro. Die Klage wurde übrigens letzten Freitag abgewiesen. Ich will ihm nichts unterstellen, er macht das alles aber mehr aus Selbstprofilierung.“ Den Leuten von Facebook ist bewusst, dass die Außenwirkung „blöd“ ist, sie haben die Messenger App jedoch nicht eingeführt, um die Leute zu nerven, sondern sie sind für die Menschen da, meint er. „Unser ureigenes Interesse ist ja, dass die Menschen happy sind.“

Das glaube ich ihm sogar. Ich bin es jedenfalls, auch wenn ich mich gerade ein bisschen fühle wie in George Orwells 1984.

Verena auf Twitter: @verenabgnr