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Flüchtlinge in Deutschland

„It’s looking shameful for Germany!“

Flüchtlinge leben in überfüllten Lagern, teilweise ohne warmes Wasser oder psychologischer Unterstützung und müssen Jahre darauf warten, endlich anerkannt zu werden. Trotzdem scheint es viele Deutsche zu irritieren, dass sie es jetzt wagen, in den...

Obwohl ihm die Erschöpfung deutlich ins Gesicht geschrieben steht, klingt Brooks Stimme klar und deutlich aus dem Lautsprecher. „It’s looking shameful for Germany!“ In seinem gebrochenen Englisch lässt der Äthiopier seiner Verzweiflung freien Lauf: „Wir streiken seit sieben Tagen, aber es ist niemand gekommen, um sich um unser Leben zu kümmern. Die Leute hier auf dem Platz um uns herum interessiert es auch nicht. Shameful! Aber wir werden für unsere Freiheit kämpfen, und wir werden siegen!“

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Deutschland ist momentan ein ziemlich kaltes Land—im wahrsten Sinne des Wortes. Während Brook seine Rede hält, sind es gefühlte drei Grad auf dem Pariser Platz direkt vorm Brandenburger Tor, wo an die 30 Asylbewerber seit acht Tagen einen Hungerstreik veranstalten.

„Warum tun die sich das an?“, war deshalb auch so ziemlich mein erster Gedanke, als ich das Häuflein Menschen in billigen Anoraks unter ihren Regenschirmen auf dem nassen Pflaster kauern sah.

Mit besprühten Regenschirmen haben sie sich einen kleinen Kreis abgesteckt, in dem sie sich schon seit mittlerweile acht Tagen von Wind, Regen und Hunger quälen lassen. Weil das aber bis jetzt niemanden interessiert hat, haben sie am Montag beschlossen, auch keinen Tropfen Wasser mehr zu trinken. In der Folge haben gestern sieben der Flüchtlinge vor Erschöpfung das Bewusstsein verloren und mussten ins Krankenhaus gebracht werden.

Brook (stehend, mit Decke)

Brook Tadelie ist 24, sieht aber deutlich älter aus. Er lebt bereits seit einem Jahr und acht Monaten in Deutschland, seit er aus Äthiopien geflohen ist, weil er als Mitglied der Opposition Angst hatte, von den Mördern der Regierung umgebracht zu werden. Wie alle hier auf dem Platz hängt er seit seiner Ankunft im Asylsystem fest, ohne dass über seine Bewerbung irgendeine Entscheidung gefällt worden wäre. „Die deutsche Regierung ist sehr gegen Flüchtlinge“, erklärt er mir. „Wir dürfen nicht reisen, nicht arbeiten, nicht lernen, viele von uns haben Depressionen. Deutschland ist überhaupt nicht gastfreundlich.“

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Die „Non-Citizens“, wie sie sich selber nennen, hungern, um eine Anerkennung ihrer Asylanträge zu erzwingen. Manche von ihnen leben seit mehr als vier Jahren in deutschen Asylheimen, unter Bedingungen, die wiederholt als „menschenunwürdig“ bezeichnet werden. Solange ihre Anträge nicht entschieden sind, ist es für Asylbewerber fast unmöglich, Arbeit zu finden. Gleichzeitig schreibt das sogenannte Residenzrecht vor, dass sie das ihnen zugeteilte Bundesland nicht verlassen dürfen. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als tatenlos auf eine Entscheidung der Behörden zu warten—die Jahre dauern kann.

Tatsächlich kommt anscheinend die gesamte Truppe aus Asylheimen in Bayern, wo sie dieses Jahr bereits einen Hungerstreik und einen 300-Kilometer-Protestmarsch hinter sich haben, immer, ohne irgendeine Veränderung ihrer Situation oder auch nur Anerkennung ihrer Probleme zu erreichen. Deshalb hat man sich jetzt wohl für das Brandenburger Tor entschieden, in der Hoffnung, endlich Aufmerksamkeit zu erregen. Bis jetzt ziemlich erfolglos—die Bundesregierung ignoriert die Hungernden genauso wie der Großteil der Touristen, die über den Pariser Platz schlendern.

Die ganze Situation hat etwas Unwirkliches an sich. Die zwei Dutzend Männer und Frauen aus Afrika, Pakistan, Iran und Afghanistan haben mitten auf dem repräsentativsten Platz Berlins einen kleinen Kreis aus nassen Plastikfolien und Elend gebildet, um den eine Handvoll deutscher „Supporter“ herumstehen.

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Keine fünf Meter entfernt macht ein silbern besprühter Cowboy Faxen, auf der anderen Seite erklärt ein fröhlicher Schauspieler in NVA-Uniform interessierten Touristen die deutsche Geschichte.

Bei Anbruch der Dunkelheit beginnt eine Lichtershow auf dem Brandenburger Tor und der Fassade des Adlon-Hotels, für die sich eine Menge Menschen auf dem Platz versammeln—fast niemand scheint die Streikenden zu ihren Füßen zu bemerken. Zwei spanische Mädchen stellten sich direkt vor das Lager, um sich gegenseitig mit dem Brandenburger Tor im Hintergrund zu fotografieren.

Die einzigen, die der Kundgebung ihre ungeteilte Aufmerksamkeit widmen, sind die Polizisten in den sechs Bussen, die sich abwechseln, um das Lager herum Wache zu stehen. Ihre Hauptaufgabe scheint darin zu bestehen, es den Flüchtlingen so ungemütlich wie möglich zu machen: Sie durften keine Plastikplanen auf dem Boden ausbreiten (nur die Isomatte alleine war erlaubt), sie durften keine Planen über sich breiten (nur ein Regencape pro Person war erlaubt), und sie durften ihre Wechselklamotten nicht in Plastiksäcken verstaut unter den Regenschirmen trocken halten („das könnte ja alles Müll sein“, wie mir ein Polizist erklärte).

Diese Auflagen werden permanent kontrolliert, so dass im Laufe des Abends immer mehr Planen, Schlafsäcke und Plastiksäcke vom Platz in einen Lagerraum in der benachbarten Akademie der Künste gebracht werden mussten. „Die reine Schikane“, wie mir mehrere der deutschen Supporter empört erklärten. „Die sind nur hier, um Stress zu machen.“

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Die Flüchtlinge sahen das genauso. Houmer, der mir von einem Polizisten als der „Kundgebungsverantwortliche“ ausgewiesen wurde, erzählt mir, die Polizisten entschieden rein willkürlich, was erlaubt sei und was nicht. „Sie sind extrem streng, sie machen uns das Leben sehr schwer“, sagt er, während er damit beschäftigt ist, mehr „unerlaubte“ Ausrüstungsgegenstände einzurollen und vor dem Regen in Sicherheit zu bringen. Die anderen Flüchtlinge schauen nur erschöpft zu, wie immer mehr von ihren Habseligkeiten abtransportiert werden.

Jules Akili mit seinen Asylbewerber-Papieren

Warum tun die sich das an? Weil sie endlich legal hier leben wollen, beantwortet mir Jules Akili aus dem Kongo diese Frage. Jules lebt schon seit vier Jahren und acht Monaten in Deutschland, immer in Asylheimen. „Wir wollen nicht mehr in den Lagern leben, wir wollen das Essen nicht mehr, das sie uns geben. Wir wollen nur eine Aufenthaltserlaubnis, damit wir unser eigenes Essen verdienen können.“ So oder so ähnlich drücken es alle aus, mit denen ich an dem Abend spreche. Aber wie groß ist die Chance, durch einen Hungerstreik seinen Asylantrag gewährt zu bekommen?

Hans-Christian Ströbele besucht das Lager.

Nachmittags kam der Grüne Hans-Christian Ströbele vorbei, um sich die Situation einmal anzuschauen. Er schätzt die Erfolgsaussichten der Asylbewerber als „leider ziemlich schlecht“ ein. „Die Politik bewegt sich nicht. Und im Moment ist natürlich noch alles mit der Regierungsbildung beschäftigt.“ Wenn es nach ihm ginge, würde man den Menschen auf dem Platz zumindest helfen, indem man ihre Anträge gewissenhaft und schnell prüft. Solange das nicht geschieht, müssen die Asylbewerber weiter perspektivlos vor sich hinleben. Trotzdem scheint es viele Deutsche zu irritieren, dass sie es wagen, ihrem Gastgeberland irgendetwas anderes als dankbar zu sein.

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Als ich spät abends am Rand des Lagers stehe, kommen zwei blonde Jungs mit Brandenburger Akzent heran geschlendert. „Was machen die denn da?“ „Det is det türkische Opferfest, det is doch jetzt.“ Als ich erkläre, dass es sich um Asylanten im Hungerstreik handelte, wurde der eine ziemlich aggressiv. „Boa, weg mit euch! Sind erst paar Tage hier und dürfen schon streiken?” Der andere versucht, die Aufschrift auf einem Zelt zu entziffern: „Kein Mensch ist illegal.“ „Doch, die schon!“, bellt sein Kumpel, bevor sie endlich weiterziehen.

Aber es gab auch andere Reaktionen: Auf einer Seite hatten sich zwei Frauen und ein Mann mit einem Schild aufgebaut, um ihre Solidarität zu bekunden. Sie hatten von der Aktion im Radio gehört und wollten helfen. „Das ist einfach unmöglich, wie wir mit den Menschen umgehen“, ereifert sich eine von ihnen. Ihr Begleiter kann kaum an sich halten vor Wut über die deutsche Politik. „Es stünde Deutschland gut zu Gesicht, deutlich mehr Flüchtlinge aufzunehmen, schließlich haben wir selber Flüchtlingsgeschichte“, erklärt er mir. „Deutschland sollte mehr Menschlichkeit zeigen—aber es ist eben nicht so ein Land.“

Eine Polizistin schaut ihren Kollegen bei der Arbeit zu.

Etwas später stehe ich mit zwei Polizisten herum, deren Schicht gerade erst begonnen hat, und versuche, die Position der Flüchtlinge ein bisschen zu erklären. Die haben mittlerweile angefangen, einen Film von ihrem Protestmarsch zu zeigen, auf dem sie anscheinend beinahe täglich von Sondereinsatzkommandos der Polizei aufgehalten wurden, um ihre Personalien aufzunehmen. Dabei fangen die Kampierenden alle zusammen an, „Polizeikontrolle—Scheiße!“ und „Rassistische Polizei—Scheiße!“ zu rufen. Selbst ein Pakistaner, der weder Englisch noch Deutsch sprichtt, kann bei „Angela Merkel—Scheisse!“ mitrufen. Der eine der beiden Polizisten schien nicht besonders glücklich darüber zu sein und versuchte, den Umgang der Polizei mit den Flüchtlingen zu verteidigen.

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Tatsächlich setzt die Polizei nur das geltende Recht durch, wenn sie Asylbewerber immer wieder kontrolliert und sie zwingt, sich wieder in den Landkreis zu begeben, in dem sie registriert sind. Es ist aber diese Rechtslage, die von den Flüchtlingen als unmenschlich empfunden wird. Wenn jemand vier Jahre lang in Deutschland lebt, ohne auch nur das Recht auf einen Deutschkurs zu bekommen, dann kann man verstehen, dass er sich zu verzweifelten Schritten gezwungen fühlt. „Ich würde gerne arbeiten und dann Politikwissenschaft studieren, um meinem Land zu helfen“, hatte mir Brook erklärt. „Keine Schule, keine Arbeit, kein Garnichts. Alles ist schlecht“, pflichtete ihm seine Freundin Tikist Beley, eine Äthiopierin, die auch schon völlig erschöpft wirkte, bei.

Tikist Beley aus Äthiopien

Heute Morgen habe ich noch einmal bei Brook angerufen und erfahren, dass Tikist über Nacht zusammengebrochen und mit einem anderen Flüchtling ins Krankenhaus gebracht worden ist.

Wie die sieben von gestern wird auch sie wahrscheinlich auf den Platz zurückkehren, sobald sie aus dem Krankenhaus entlassen wird. Lange werden die Flüchtlinge ohne Wasser nicht mehr durchhalten. Alle haben sie mir erklärt, sie würden weitermachen, bis ihre Anträge anerkannt werden. Das ist angesichts der Position der Bundesregierung, die nicht einmal das zweite Bootsunglück vor Lampedusa zum Überdenken ihrer Flüchtlingspolitik bewegen konnte, wahrscheinlich ziemlich naiv. Aber den Menschen auf dem Pariser Platz scheint als letztes Verhandlungsmittel nur noch ihre Verzweiflung geblieben zu sein.

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Fotos: Maximilian Theßeling

Video: Kevin Sukowski

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