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Pegida hat kein Nazi-Problem

Es sind noch genügend Rechte da.

Bei der ersten Pegida-Demonstration nach dem Anschlag von Paris gab sich der Initiator Lutz Bachmann sichtlich Mühe, allgemeinverträgliche Worte zu finden. „Es ist mir völlig bewusst", liest er vor, „dass die Masse unserer muslimischen Mitbürger die schreckliche Tat von Paris und auch die Taten der IS auf der Welt genau so verabscheuen wie wir." Das ist in diesem Rahmen durchaus keine selbstverständliche Aussage, und die Menge reagierte darauf auch deutlich weniger enthusiastisch als auf die üblichen Stichworte.

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Bei ihrem 12. Abendspaziergang hat die Pegida in Dresden wieder ihren eigenen Rekord gebrochen. Es waren zwar nicht 40.000, wie Bachmann der begeisterten Menge noch am Schluss der Demo zurief, aber immerhin 25.000 Menschen, die gegen die „Islamisierung des Abendlandes" auf die Straße gingen.

Foto: VICE Media

Neben Bachmanns Zurückhaltung ist das ist der zweite Faktor, der dafür sorgte, dass die Pegida-Demonstration an diesem Montag etwas entspannter wirkte. Viele der neuen Mitläufer wussten offenbar nicht, dass man auf der Pegida keine Interviews gibt, und so fand sich eine ganze Menge Leute, die bereitwillig mit der Presse sprachen.

Das wird auch daran gelegen haben, dass Bachmann diesmal auf seine übliche Aufforderung, nicht mit der Presse zu reden, verzichtet hatte—er hat wohl gemerkt, dass das bei einer angeblichen Trauerveranstaltung für die Journalisten von Charlie Hebdo ziemlich unpassend wäre.

Stattdessen behauptete er jetzt, die Presse habe ihre Meinungsfreiheit der Pegida zu verdanken: „Unser Mut und unsere Standhaftigkeit ermöglichen es ihnen nämlich, dass sie so frei ihre Meinung über uns kundtun und verbreiten können." Weil, mit der Scharia würde das nicht gehen. Dass er damit plötzlich zugab, dass die deutsche Presse frei ist und nicht nur staatlich gelenkte Systemschreiberlinge beschäftigt, wie es die Pegida bis jetzt immer behauptet hat, störte in dem Moment keinen.

In gewisser Weise ist die Pegida also offener geworden. Das ändert aber nichts daran, dass sie weiter einen bestimmten Typ Mensch anzuziehen scheint—oder besser gesagt zwei Typen. Einmal die jungen Männer zwischen 16 und 25, die immer noch nicht mit der Presse reden, energisch an ihren Zigaretten saugen und auf Journalisten entweder pampig oder aggressiv reagieren.

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Foto: Lea Hepe

Und dann die älteren Männer, so ab 50, die dann doch ganz gerne was erzählen. Die Themen decken dabei ein breites Spektrum ab: Asylflut, Waffenexporte (sind sofort zu stoppen, damit keine Flüchtlinge mehr kommen), drogendealende Tunesier, Kriegsführung durch Migration, Asylschwemme, Cem Özdemirs geheimer Plan, Wien doch noch zu erobern, Asylmissbrauch, Schläfer, unsere Werte, warum der Islam ein Karzinom ist und wie die Araber-Clans Berlin regieren. Das sind alles Unterhaltungen, die ich innerhalb einer Dreiviertelstunde vor Demobeginn geführt habe.

Auf die Frage, was sich denn jetzt konkret ändern solle, haben die Teilnehmer aber meistens gar keine Antwort. Viele reagieren völlig überrumpelt von der Frage, andere fordern die Abschiebung von kriminellen Ausländern und Wirtschaftsflüchtlingen—alles Maßnahmen, die Sachsen schon energisch durchführt. Echte politische Forderungen sind selten, die meisten können nicht mal ansatzweise das offizielle Programm der Pegida zusammenfassen.

Foto: Lea Hepe

Daneben reden die Leute auf der Pegida vor allem über die Pegida. Diese Selbstbezogenheit ist eins der Hauptmerkmale dieser Bewegung, von oben bis unten: Die meiste Redezeit wird dazu genutzt, jede einzelne Stimme aufzuzählen, die die Pegida in der letzten Woche „beschimpft", „diffamiert" oder „ausgegrenzt" habe (diese Woche war es vor allem Roland Kaiser, von dem sie sich verraten fühlten), und gefühlt die Hälfte der Poster beschäftigt sich mit der Frage, ob der Träger jetzt ein Nazi sei, nur weil er Schweinefleisch grille/keine Burka tragen wolle/seine Heimat liebe.

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Tatsächlich jammert einem dieses „Bin ich jetzt ein Nazi?" von so vielen Postern entgegen, dass man am liebsten auf die Bühne springen und ihnen ermutigend „Ja!" zurufen will. „Ja, ihr habt es geschafft, ihr seid jetzt alle Nazis! Und jetzt geht nach Hause."

Aber das stimmt nicht. Die richtigen Rechtsextremen sind zwar auch da, aber sie sind längst in der Unterzahl. Die allermeisten hier sind einfach Menschen, die sich gerne beschweren, über alles Mögliche, und denen es scheißegal ist, dass sie dabei mit Rechtsextremen mitlaufen. Manchmal hat man das Gefühl, dass aus jeder Kneipe in Sachsen genau der Typ gekommen ist, dem zu Hause keiner mehr zuhören will, und jetzt stehen all diese Typen zusammen auf einem Skatepark in Dresden herum und labern sich gegenseitig die Ohren ab darüber, dass ihnen das Leben in Deutschland einfach zu verwirrend und gefährlich und dunkelhäutig geworden ist.

Und das sind die Umgänglichen. Dazwischen gibt es dann noch die vielen wirklich Verwirrten. Wie zum Beispiel der Typ, der ein riesiges Plakat hält, auf dem vier der Opfer von Paris abgebildet sind, original mit Blutstropfen und dem Schriftzug „Opfer der Fairständnis-Presse". Auf die Frage, was damit gemeint sei, fragt er misstrauisch, ob man von der Presse sei, und kneift dann beleidigt die Lippen zusammen. Nur, was hat er denn gedacht, wer mit ihm spricht? Glaubt dieser Mensch ernsthaft, dass irgendjemand freiwillig mit jemandem spricht, dessen moralischer Kompass so am Arsch ist, dass er ermordete Journalisten—dessen Angehörige ihm das ausdrücklich verboten haben—für seine Hetze gegen die Medien instrumentalisiert?

Auch wenn Lutz Bachmann in seinen Reden jetzt versucht, zumindest etwas Anstand zu wahren—die Pegida ist in ihrem Kern eine Versammlung von egomanen Unzufriedenen, denen man das Gefühl gibt, dass ihr beleidigtes, engstirniges und xenophobes Gemecker politische Betätigung ersetzt.

Erschöpft hat sich das Phänomen noch lange nicht. Aber was soll aus einer solchen Bewegung werden? Es ist jetzt schon klar, dass diese Klientel für eine Partei besonders interessant ist: die AfD. Auch wenn Friedrich das gerne anders gesehen hätte, hat Angela Merkel deutlich gemacht, dass sie die Leute nicht in der CDU haben will (die CSU wollte schon, aber die gibt es in Sachsen ja dummerweise nicht).

Dass die AfD sich nach Kräften darum bemüht, ist bereits bekannt. Auch an diesem Montag waren mehrere AfD-Abgeordnete auf der Demonstration, um sich mit Menschen zu unterhalten „und sich ein eigenes Bild zu machen", unter anderem der Fraktionsvorsitzende aus Thüringen, Björn Höcke. „Gespräche sollte man auf jeden Fall führen", erklärte Höcke. „Die Pegida muss dann letztendlich wissen, was sie will. Das muss sich entwickeln, das muss aber Pegida leisten, nicht wir." Wenn Anhänger von Pegida sich also demnächst auf die Suche nach einer Partei machen sollten, die ihre Auffassung von Politik teilt: Die AfD steht bereit.