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Alec Empire interviewt für uns einen Nazi-Jäger von Anonymous

Sie hatten einen Plausch darüber, wie man den Faschos im Internet ans Bein pisst.

Schon mitbekommen, dass Faschismus in Europa gerade ein Revival erlebt? Überlegt mal: Es ist gerade mal Mitte Juli und bislang haben wir schon polnische Nazi-Hooligans gesehen, die sich im Wald prügeln, griechische Rechte watschen Frauen im Fernsehen und in Gera feiern die Nazis ihr Festival des Hasses.

Das Hacker-Kollektiv Anonymous findet das ziemlich beschissen und hat deshalb schon vor Monaten eine Attacke gegen Pro-Nazi-Seiten eingeleitet. Sie nannten das Operation Blitzkrieg und etwas später starteten sie noch Nazileaks, das die privaten Daten von Nazis preisgibt und sie an den öffentlichen Pranger stellt.

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Wisst ihr, wer ein enger Freund von Anonymous ist? Alec Empire von Atari Teenage Riot. Deshalb hat er eines der Mitglieder von Anonymous interviewt, das bei Nazileaks mitmacht.

Leg los, Alec.

Alec Empire: Danke, dass du uns dieses Interview gibst. Ihr seid dafür bekannt, Websites und Online-Shops zu hacken, die von Nazi-Gruppierungen betrieben werden. Könntest du uns eine Einschätzung davon geben, wie viele dieser Seiten ihr schon erfolgreich attackiert und sabotiert habt?
Anonymous: Um ehrlich zu sein, kann ich das nicht. Außer den FuckNaziFriday-Leaks haben wir sehr viele Seiten einfach aus Spaß angegriffen, ohne es publik zu machen. Deshalb haben wir auch nicht mitgezählt.

Das Schlimmste ist, dass die Gruppen hinter den meisten Neonazi-Seiten, die ihr zerstört, es schaffen davonzukommen und oft sogar vom Gesetz geschützt sind. Denkst du manchmal, ihr müsstet einfach etwas unternehmen, vor allem jetzt, da Neonazis anscheinend immer mehr Leute rekrutieren können? Glaubst du, dass das Rechtssystem in Deutschland tatsächlich etwas gegen den Zuwachs dieser Gruppen unternehmen kann?
Es ist nicht nur die Pflicht des Rechtssystems, diese Gruppen aufzuhalten, sondern auch die Aufgabe der Gesellschaft, mit dieser Scheiße umzugehen und diese Gruppen davon abzuhalten, Einfluss zu gewinnen. Die Aktivitäten und die grausamen wie absurden Vorstellungen der Neonazis müssen ans Licht gebracht werden, damit man sieht, wie krank sie sind. Unser Hauptziel ist es, die Nazi-Szene und ihre Aktivitäten in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen. Ein wichtiger Teil ist es deshalb, so viele Namen ihrer Unterstützer und Sympathisanten wie möglich zu leaken, um ihnen zu zeigen, dass die Öffentlichkeit das mitbekommt. Es gab viel Kritik von Leuten, die glauben, es sei falsch Neonazis zu „zensieren“ und die meinen, unsere Gesellschaft solle Neonazis tolerieren. Ich habe dieses Argument in meinem Leben schon tausendmal gehört—besonders von solchen Leuten, die eher lethargisch sind und nie handeln …
Es mag überraschend sein, aber wir unterstützen Zensur nicht, denn wir stehen für Redefreiheit, außer wenn wir mit gefährlichen und kranken Ideologien konfrontiert werden. Wenn du einmal mit Zensur anfängst, wirst du irgendwann auch zensiert. Wir sehen uns selbst als politisch diametrisch gegenüber den Gruppen, gegen die wir vorgehen. Sie stehen für alles, wogegen wir sind, inklusive der Unterdrückung von Minderheiten und Zensur. Und natürlich ist es uns wichtig, Anderen zu zeigen, wie gegen Gruppen wie Nazis vorgegangen werden kann. Außerdem macht es Spaß! Als wir anfingen, mit Nazi-Seiten rumzuspielen, waren wir recht amüsiert, wie dumm und inkompetent sie sind.

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Finde ich auch. Ich meine, wie wollen sie den Leuten klarmachen, dass sie eine bessere Gesellschaft schaffen, wenn sie nicht mal eine eigene Website bauen können? Kannst du uns bitte ein bisschen mehr zu Nazileaks erzählen?
Anfangs ging es bei Nazileaks darum, Daten, die wir auf Nazi-Seiten gefunden hatten, zu leaken. Manche sind schon ein bisschen älter, andere wiederum ganz neu. Wir wollen klarstellen, dass Nazileaks nicht nur für unsere eigenen Zwecke ist, sondern allen dienen soll, die sich dafür interessieren. Es richtet sich auch an die Nazis selbst. Diese Idioten sollen verstehen, dass ihre Verschwörung nichts weiter als ein feuchter Traum ist. Und dass wir sie sie weiterhin verfolgen werden.

Es war ziemlich genial, dass ihr das Atari Teenage Riot/Anonymous-Video für den Song „Black Flags“ auf mehreren Neonazi-Seiten gepostest habt. Als wir das bei Twitter gesehen haben, haben wir das an unsere Fanbase weitergeleitet und alle fanden das super! Glaubst, dass Musik im Kampf gegen Nazis eine wichtige Rolle spielt?
(Lacht) Die Freude war ganz unsererseits. Die berüchtigten ATR auf den verdammten Nazi-Seiten zu spielen war toll! Musik ist ein gutes Medium, um so viele Leute wie möglich zu erreichen und die Botschaft zu verbreiten.

Es war uns wichtig, den Song umsonst zu veröffentlichen, damit Aktivisten ihn benutzen können. Dass ihr das Lied so genutzt habt, zeigt genau, dass wir, was das Urheberrecht angeht, offener sein müssen.
Stell dir vor, wenn die verschiedenen Anonymous-Aktivisten sich jedes Mal vorher um die rechtliche Lage kümmern müssten—das würde unsere Arbeit nahezu unmöglich machen. Ich führe das oft als Beispiel an, wenn ich mit anderen Musikern darüber rede, wie wichtig es ist, dass die Künstler selbst Kontrolle über ihre Musik haben und die Rechte nicht an die Musikindustrie weitergeben, die es unmöglich macht, dass Musik sich verbreitet. Die meisten Kanäle dieser Industrie wollen keine politischen Botschaften durch Musik verbreiten, weil sie befürchten, es könne das Mainstreampublikum verärgern. Ein freies Internet ist also für alle Musiker, die sich nicht anpassen wollen, lebensnotwendig. Ich finde das viel wichtiger, als sich auf „Musikpiraterie“ zu konzentrieren. Die meisten Musiker verstehen ganz offensichtlich nicht, warum es gerade für sie wichtig ist, die neuen Gesetze zu boykottieren.

Hörst du Musik, wenn du am Computer arbeitest und dich politisch engagierst? Oder brauchst du absolute Ruhe? Wirst du ganz eins mit der Maschine, so dass die Außenwelt, sogar der Raum, in dem du bist, nicht mehr existiert?
Manchmal brauchen wir beim Hacken absolute Ruhe. Die Datenbanken der Opfer sind nicht mit einem Mausklick zu hacken. Das dauert manchmal Tage oder sogar Wochen. Aber wenn wir dann die Daten veröffentlichen, feiern wir das mit Bier und lauter Musik. Wird der Kampf gegen die Neonazis jemals gewonnen werden? Die Faschos nutzen die gleiche Technologie wie wir, aber sie scheinen nicht verstanden zu haben, dass „weiße Überlegenheit“ eine dumme Idee ist.
Es ist Teil der menschlichen Natur, nur das zu verstehen/zu sehen, was wir wollen. Keine Technologie wird das jemals ändern. Darüber sind wir eigentlich ganz glücklich, weil es zu verschiedenen Meinungen führt, auch wenn die von unseren Ansichten abweichen. Damit müssen wir umgehen können. Das ist die Quintessenz von Pluralität und Demokratie. Und dafür stehen wir immerhin.