Weshalb sich ein Mann am Salzburger Hauptbahnhof selbst angezündet hat
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Weshalb sich ein Mann am Salzburger Hauptbahnhof selbst angezündet hat

„Plötzlich habe ich viel Feuer gesehen. Zuerst habe ich gar nicht verstanden was das ist, also dass da ein Mensch brennt. Der brennende Mann ist direkt auf uns zugerannt."

Der Hauptbahnhof in Salzburg hat sich verändert. Das wird mir klar, als ich am Osterwochenende aus dem Zug steige und seit Langem wieder einmal den Vorderausgang nehme. Früher saßen hier ein paar Punks mit ihren Hunden und der Südtirolerplatz, ein bisschen weiter hinten, war der Treffpunkt von ein paar wenigen Obdachlosen und Alkoholikern.

In den letzten Jahren war der Bahnhof eine große Baustelle. Steriler sollte es werden. Sauberer. Bänke hat man in der Planung vermutlich bewusst weggelassen, um auch die letzten Obdachlosen zu vertreiben.

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Dieser Plan scheint nach hinten losgegangen zu sein. Der Bahnhofsvorplatz ist voll von Menschen verschiedenster Nationen. Sogar das Polizeiauto, das verloren in der Menge steht, ist eines aus Bayern. Die Menschen, die sich hier treffen, wollen aber nicht verreisen, obwohl die meisten einen weiten Weg hinter sich haben.

Es ist ein buntes Treiben. Es ist laut, es wird viel getrunken. Und ja, manchmal wird auch gestritten. Das ist nicht immer schön und ging in Salzburg in den letzten Monaten sogar manchmal blutig aus.

Heute interessiert mich der Bahnhofsvorplatz aber aus einem anderen Grund. Ende Februar tauchte in mehreren Medien die Meldung auf, dass sich hier ein 42-Jähriger Marokkaner selbst angezündet haben soll. Seither hat man aber nichts mehr über diesen Fall gehört. Wie geht es dem Mann? Hat er überlebt? Und wie geht es jenen Kurdinnen und Kurden, die Augenzeugen dieser Verzweiflungstat wurden, weil sie zur gleichen Zeit eine Kundgebung gegen die Militärinterventionen in den Kurdenstädten der Südost-Türkei abhielten?

Es ist Samstag, der 27. Februar 2016. Seyit macht sich mittags mit einigen Freunden auf, um an der Demonstration unter dem Motto „Stoppt die türkischen Angriffe gegen Kurden" teilzunehmen. Geplant ist ein Sitzstreik vor dem Haupteingang des Salzburger Hauptbahnhofs. Das geht auch aus der Versammlungsanzeige, die am Tag zuvor beim Sicherheitsreferat der Polizeidirektion Salzburg eingegangen ist, hervor.

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Eigentlich hätte die Kundgebung bereits um 13:00 Uhr starten sollen. Einige Teilnehmer verspäten sich jedoch. „Die Demo hatte noch nicht wirklich angefangen", erzählt mir Seyit. Mittlerweile ist es 13:55 Uhr und die Gruppe wartet noch auf weitere Teilnehmer.

Nur etwa 50 Meter von der Gruppe entfernt, gleich auf der anderen Straßenseite, nahe der Oberbank, stehen zwei Männer. Einer hat zwei kleine Flaschen dabei. „Zwei so Plastikflaschen, Cola-Flaschen glaube ich", erinnert sich der Besitzer eines Kebapstandes, der zusieht, wie sich der Mann den Inhalt der Flaschen über Kopf und Oberkörper schüttet. „Ich habe geglaubt, der ist besoffen und schüttet sich Wasser über den Kopf." Tatsächlich ist in den Flaschen Benzin.

Auf der anderen Seite des Südtirolerplatzes bekommt davon niemand etwas mit. „Der Mann war nicht Teil der Demonstration. Ich selbst habe ihn auch nicht gesehen, bevor er zu brennen begonnen hat", erklärt Seyit.

„Plötzlich habe ich viel Feuer gesehen. Zuerst habe ich gar nicht verstanden, was das ist, also dass da ein Mensch brennt. Der brennende Mann ist direkt auf die Menschen, die sich gerade zur Demonstration gesammelt haben, zugerannt", erinnert sich der kurdische Aktivist.

Seyit und zwei weitere Männer reagieren schnell. Mit Jacken ringen sie den Mann zu Boden und versuchen ihn zu löschen. Seyit fäng selbst Feuer, verletzt sich am rechten Unterarm und an den Beinen und wird deshalb auch im Krankenhaus behandelt. Seine Brandwunden sieht man heute noch. „Gott sei Dank habe ich eine lange Hose angehabt, sonst hätte ich mir schlimmere Verbrennungen am Bein zugezogen. Dabei ist der brennende Mann auch an Polizisten vorbei gelaufen. Die sind aber selbst zurückgewichen und haben ihn nicht aufgehalten. Die hatten wahrscheinlich selber Angst", erzählt er mir im Gespräch.

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Als der Marokkaner am Boden liegt, kommt schließlich doch Polizei hinzu. Die Rettung wird verständigt, der Mann schwer verletzt mit dem Hubschrauber ins Wiener AKH geflogen. Seither liegt er dort im künstlichen Tiefschlaf auf der Intensivstation. 60 Prozent seiner Haut sind verbrannt.

„Meine Freunde und ich haben ihn aufgehalten und gelöscht, weil wir Angst hatten, dass er andere Leute, Frauen und Kinder, verletzten könnte. Da waren drei oder vier Kinderwägen. Wenn ein Kind verletzt worden wäre, wäre mein Leben zu Ende gewesen", erklärt Seyit seine geistesgegenwärtige Reaktion.

Achtung: Expliziter Inhalt. Das Video enthält Szenen, die auf manche Personen verstörend wirken könnten.

Seyit hat seit dem Vorfall Angst. Angst davor, dass wieder etwas passieren könnte: „Da draußen laufen so viele verrückte Menschen herum. Auch das, was jetzt in Brüssel passiert ist. Ich hab Angst auf der Straße. Wenn ich spazieren gehe, habe ich Angst. Ich schau immer, was mir für Leute entgegenkommen, was für einen Bart die haben." Seyit weiß, dass der Marokkaner vermutlich niemand anderen bewusst verletzen wollte.

Trotzdem ist es ihm wichtig, zu erklären, dass es für ihn als Kurden viele Menschen gibt, die gefährlich für seine Familie sein könnten. „Auch wenn es dieser Mann wahrscheinlich nicht direkt auf uns abgesehen hatte, bleibt trotzdem die Frage: Warum hat er es genau in diesem Moment gemacht und ist genau auf uns zugelaufen? Warum nicht davor oder danach? Warum nicht an einem anderen Ort?" Fragen, für die es keine Antworten gibt.

Sicher ist mittlerweile, dass der Marokkaner ein persönliches Motiv für seine Tat hatte. Er war verzweifelt. Erst im Dezember des vergangenen Jahres war er über Griechenland illegal nach Österreich eingereist, stellte jedoch keinen Antrag auf Asyl.

In Salzburg hatte er eine Freundin. Eine Österreicherin. Sie war schwanger, wollte sich jedoch von ihm trennen, wird mir von der Salzburger Polizeistelle erklärt. Das dürfte der Mann nicht verkraftet haben.

Anders als in anderen Medien berichtet, war der Marokkaner aber noch keine 42 Jahre alt. Recherchen von VICE ergaben, dass der Mann 1993 geboren wurde, also erst 22 oder 23 Jahre alt ist. Das bestätigt mittlerweile auch die Polizei. Gegen den jungen Mann hat die Staatsanwaltschaft Salzburg nun ein Ermittlungsverfahren wegen vorsätzlicher Gemeingefährdung eingeleitet.

Paul auf Twitter: @gewitterland