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Basel-Stadt braucht einen Platz für Fahrende

Heute sollte am Klybeckquai eine Gruppe Jenischer polizeilich geräumt werden. Aber dann zeigt sich, das alles viel komplizierter ist.
Titelbild von Sire Eris

Am Klybeckquai in Basel gibt es „gute" Zwischennutzungen, nicht so beliebte Zwischennutzungen (wer hat noch kein „Shift Mode=Shit Mode"-Graffiti an seiner Hausfassade?), den brutal auf die Hälfte geräumten und eingezäunten Wagenplatz. Ausserdem bieten die Häuschen, die aus der Art-Favela von 2013 zusammengebaut wurden, Unterschlupf für Grillabende und heimlich rauchende Zwölfjährige. Seit ein paar Tagen gehört zum Hafen-Universum auch eine Gruppe Jenische, Schweizer Fahrende.

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Heute früh um 5:00 Uhr kündigte die TagesWoche an, was gestern schon auf Facebook stand: Dass die Wohnmobile der Jenischen heute geräumt werden sollen. Die Jenischen hat vor der Räumungsankündigung kaum jemand bemerkt. Das liegt daran, dass die drei Wohnwägen, die paar Autos und Camping-Tische weder auffallend noch bedrohlich sind. Beim Areal passiert mich jemand vom Wagenplatz samt Fahrrad und einem Anhänger voller Essensvorräte. „Wieso stand in der BZ, dass die Wagenplatz-Leute gegen die Jenischen sind?"—„Das ist ein Missverständnis. Wir verstehen uns super. Hier sind alle gute Nachbarn!"

Fotos von Benjamin von Wyl

Als ich am Wohnmobil klopfe, bellen zwei Hündchen durch die halb offene Tür und Mela begrüsst mich sehr herzlich. Sie will sich aber erst noch ganz tagesfertig machen, bevor sie mit mir spricht. Also besuche ich vorher noch das Areal um die Marina-Bar und den Skate-Park Portland. Diese beiden und eine ganze Reihe weiterer Projekte gehören zum Zwischennutzungsverein „I_Land". Ein Handwerker und Aktivist erzählt mir ausführlich und mit glaubwürdigem Leiden vom Engagement hier, will aber nichts davon veröffentlicht haben. Immerhin hat's ihm gutgetan, dass er alles loswerden konnte.

Zurück bei Mela klappt sie für mich einen Stuhl aus und erklärt mir das Dilemma der Jenischen: Basel-Stadt ist verpflichtet Standplätze zur Verfügung zu stellen, Basel-Stadt stellt keine Standplätze zur Verfügung. Sie seien bewusst nur als kleine Gruppe hierhergekommen, denn sie wollen vor allem einen Dialog und Aufmerksamkeit für die Problematik. Wenn sie es wollten, wären auf dem Platz fünfzig Wagen, denn: „Bei uns geht das immer ganz schnell! Handy, Facebook, Mail und schon wissen alle, wer wo ist und ob es Platz gibt." Aber eben: Es geht primär um den Kampf für einen schönen und dauerhaften Standplatz in Basel. Es geht nicht zwingend um genau diesen Platz.

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Anders als ich es erwartet habe, gebe es seit 2005 wieder deutlich mehr Fahrende. Es gebe kaum Konflikte—auch zwischen Jenischen und Roma nicht—aber da sie nicht wie früher beim Bauern auf's Feld können, muss der Staat Alternativen bieten und am liebsten dauerhafte: „In Winterthur-Grüze hatten wir acht Jahre lang einen Standplatz gemeinsam mit alternativen Wagenleuten. Das hat gut funktioniert; ich bin dann auch da zur Schule gegangen."

Kurzfristige, gedrängte Plätze, „Ghettoplätze", seien für die Fahrenden nicht gut, aber fördern auch Vorurteile: „Jetzt stehen hier drei Wagen. Und du fühlst dich wohl, oder? Stell dir vor, hier stünden fünfzig Wägen? Wie wäre das? Bedrohlich? Wenn nicht bedrohlich, dann zumindest anders."

Dann erzählt Mela vom Brief, den sie vom Verein „I_Land" erhalten hat. Die schiere Existenz des Dokuments scheint absurd: „Immobilien Basel-Stadt", die Besitzerin des Areals, hat den Verein „I_Land", ihren Mieter, gebeten, eine formale Wegweisung und anschliessend eine Anzeige einzureichen. „I_Land" hat Angst um Vertragsverlängerungen und weitere Zwischennutzungsprojekte und droht formal, obwohl sie sich persönlich mit den Jenischen gut verstehen. Sollte das Areal nicht bis heute um 12 Uhr verlassen sein, will „I_Land" die Jenischen wegen Hausfriedensbruch anzeigen. Wie geht so eine Drohung zusammen mit der nachbarschaftlichen Wärme von der Mela erzählt?

Ich finde keine Verantwortlichen von „I_Land" auf dem Areal, nur eine Gruppe Segelfans, die in ihrer Freizeit zwei Katamarane renoviert. Sie berichten ebenfalls von der guten Nachbarschaft. Die Jenischen seien gute Leute. Sie wollen bezahlen für Strom und Wasser, haben selbst gefragt, ob sie ein zusätzliches ToiToi-WC mieten sollen. Aber die Segel-Gruppe ist nicht selbst im Verein „I_Land", sondern eine Art Untermieter und kann darum zum „Droh"-Brief nichts sagen.

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Auszug aus dem besagten Brief

Also rufe ich den Sprecher von „I_Land", Fabian Müller, an und er führt mir nochmal die Sachzwänge aus: Laut Zonenplan sei das hier kein Wohnareal. Ein Platz für Fahrende müsse aber in einer Wohnzone eingerichtet sein. „Ich selbst habe 2009 den Antrag für einen Platz für Fahrende gestellt. Wir wollten selbst hier eigentlich viel Angebote rund um's Wohnen bieten: Auf den Schienen sollte ein alter Eurocity-Waggon als Hostel dienen. Künstler sollten bei Art-Camping temporär bewohnbare Angebote schaffen. Aber hier sind keine Übernachtungen möglich."

Fabian Müller empfiehlt den Fahrenden, einen Platz zu besetzen, der nicht privat verwaltet wird. Denn sonst kann sich der Kanton Basel-Stadt hinter Privaten als Puffer verstecken. Müller—ich habe mit ihm etwa um 12.30 telefoniert; also nach Ablauf der gesetzten Räumungsfrist—geht aber nicht davon aus, dass „I_Land" tatsächlich eine Anzeige stellt: „Natürlich wollen wir keine Anzeige machen. Zum jetzigen Zeitpunkt sieht es nicht aus, als ob es zu einer Anzeige kommt."

Sicht von der Marina-Bar Richtung Portland

Die Pointe, die ich mir bis aufgespart habe: Regierungspräsident Guy Morin hat heute morgen der BZ Basel gesagt, dass er keine Räumung will. Der Witz ist so kompliziert, dass ich versuche ihn in Kurzform zu fassen: Der Kanton versäumt es Plätze für Fahrende zu schaffen, obwohl er das will. Fahrende kommen auf einen leerstehenden Asphaltplatz in der Industrie. Der Kanton zwingt seinen Mieter, „I_Land", Fahrenden eine Räumung anzudrohen, da sonst die „I_Land"-Projekte gefährdet sind. „I_Land" droht eine Räumung an, aber zeigt daneben viel Sympathie und Empathie für die Jenischen. Und am Tag der möglichen Räumung sagt Guy Morin, dass er keine Räumung wolle. Das ist Mindfuck.

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Aber unter Umständen ist dieses krude Spielchen von Regierung und Verwaltung gut für die Fahrenden, denn die einzige Essenz, die bleibt, wenn alle Intrigen verpuffen, ist: Basel-Stadt braucht einen schönen, dauerhaften Standplatz für Fahrende!

Benj auf Twitter: @biofrontsau

Vice Switzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelbild von Sire Eris; Wikimedia Commons; CC BY-SA 3.0