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Was die Kommentare zu Serdar Somuncu über uns Schweizer aussagen

Ein ausländischer Satiriker bezeichnet sein Schweizer Publikum als „aufrichtige Nazis". Wenn man sich die Reaktionen im Netz darauf anschaut, liegt er leider nicht weit daneben.
Screenshot Facebook

Fragt der Eine den Anderen: „Hörst du mich?" Sagt der Andere: „Nein!" Ein Brüller, nicht? Ich mag den Witz. Er lässt mich schmunzeln und zwar nicht nur den ehemaligen Germanistik-Studenten in mir, der den hintersinnigen, gesprächslinguistischen Widerspruch darin feiert. Der Joke passt darüber hinaus auch wunderbar zur aktuellen Diskussion um Serdar Somuncus Auftritt am Arosa Humor Festival.

Ein deutscher Satiriker mit türkischem Migrationshintergrund bezeichnet in einem improvisierten Part über Fremdenfeindlichkeit uns Schweizer als „aufrichtige Nazis". So jedenfalls erinnert sich Somuncu am Montag im Interview und so schreibt er es auch auf Facebook. Als Reaktion darauf, dass das SRF seinen Beitrag nicht ausstrahlte, was er als Zensur bezeichnet.

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Mittlerweile ist der rund sechsminütige Clip zwar online und somit für alle nachschaubar, dass er das Wort „Nazis" auf der Bühne gar nicht in den Mund genommen hatte. Die Schlagzeilen vom Deutsch-Türken, der die Schweizer als Nazis bezeichnet und dem SRF Zensur vorwirft wurden seither aber schon tausende Male angeklickt.

Und kommentiert wurden sie, von freien, aufrechten Schweizern. Von Menschen, die überzeugt sind davon, dass sie recht haben. Dass sie recht haben damit, dass das nicht lustig ist. Dass sie recht haben damit, dass das rassistisch ist. Oder dass sie recht haben damit, dass Somuncu am Besten dorthin zurückgehen soll, wo er hergekommen ist, in die Türkei (auch wenn er seit seiner Kindheit in Deutschland lebt und unter anderem im niederländischen Maastrich das Konservatorium besuchte).

Die „Das ist gar nicht lustig"-Fraktion

Screenshots von 20min.ch

Während man die Meinung Ersterer, der Humor-Kritiker, nicht teilen muss, so kann man dagegen wenig haben. Geschmack ist Geschmack und so. Unter diesen Artikel kann mir auch jemand schreiben, dass er den Blick besser findet. Diese Ansicht muss ich nicht teilen (und tue ich natürlich auch nicht). Ich kann sie ihm oder ihr aber auch nicht vorwerfen, höchstens fragen, ob er Artikel spannender findet, wenn darüber grosse, dicke Buchstaben prangen. Und was er oder sie sich davon verspricht, dass sie oder er das als Comment der Welt mitteilt.

Die „Der ist ja selber rassistisch"-Fraktion

Kommentar von blick.ch

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Diese Leute fühlen sich von Serdar Somuncu's bissigem Kommentar angegriffen und zu Unrecht verurteilt. Doch anstatt darzulegen, wieso falsch ist, was der Satiriker sagt, folgen sie dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung" und behaupten einfach, er sei ja hier der eigentliche Rassist. Weil er die Bevölkerung eines Landes kollektiv als ausländerfeindlich bezeichne. Und zwar nicht nur die Schweizer, sondern auch die Deutschen. Und die Rumänen bezeichnet er als Bettler und die Österreicher als Kanacken des deutschsprachigen Raums.

Screenshot von watson.ch

Was sie dabei vergessen: Auch wenn oder gerade weil Somuncu auf derbste Art und Weise der Reihe nach von Deutschen bis Albanern auf allen herumhackt und ein Nationenklischee nach dem anderen aus der Mottenkiste packt, macht ihn das nicht zum Rassisten. Der „Hassias" stellt kein Volk und auch keine Nation niedriger dar als die andere, sondern klatscht gleich mal alle auf den Boden.

Das macht ihn vielleicht zum Zyniker, zum Misanthrophen oder schlicht zum Hater, aber noch nicht zu einem Rassisten und zwar nicht zuletzt, weil Sonuncu kein ernst gemeintes Sachbuch geschriebenen hat wie Thilo Sarrazin, in denen er von Genen und Rassen schreibt. Und ja, auch Türken können Rassisten sein, wie zum Beispiel Akif Pirinçci—quasi das rechte Gegenstück zu Somuncu.

Die „Was masst sich der türke an über uns zu urteilen"-Fraktion

Dass es nicht überall auf der Welt gleich zu und her geht, ist nicht gerade die neueste Erkenntnis. Ebenso wenig, dass es in der Türkei, also dort, wo Serdar Somuncu geboren ist, um die Pressefreiheit alles andere als rosig steht. Heisst das also, dass der Türke sich glücklich schätzen sollte, überhaupt in der Schweiz frei sprechen zu dürfen?

Screenshot 20min.ch

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Implizit sagen die Verfasser ebensolcher Kommentare genau das. Dass ein Immigrant verdammt noch mal dankbar sein soll, dass man ihn aufgenommen hat und sich ja nicht anmassen sollte, hier auch noch freie Meinungsäusserung einfordern zu wollen. Und sowieso sollte Somuncu doch zuerst mal vor seiner eigenen Tür kehren, bevor er hier das Maul aufreisst. Nur blöd, dass er das bereits mehrfach getan hat (etwa in der heute Show).

Screenshot via 20min.ch

Screenshot via blick.ch

Ausserdem ist der Fall sowieso für viele Kommentatoren klar: Nur schon, dass ein Ausländer meint, er hätte das Recht über Schweizer Politik zu urteilen, ist Grund genug, dass er nicht gesendet werden sollte. „Als Ausländer geht ihn das nämlich gar nichts an?", sagen sie und haben dabei schon wieder vergessen, wie sie Somuncu vorher auf die Missstände in seinem Herkunftsland hingewiesen haben.

Vor rund 300 Jahren verfasste der grandiose Satiriker Jonathan Swift folgende Worte: „Die Satire ist eine Art Spiegel, in dem der Betrachter fast jedermanns Gesicht erkennen kann, außer dem eigenen." Satire soll der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, soll nicht nur amüsieren, sondern auch schmerzen, so sagt man weiter.

Macht Serdar Somuncu Satire? Und wenn ja: Taugt die überhaupt was? Schaut man sich die Kommentare so an, die Gehässigkeit und Verletztheit, die aus ihnen tropft, dann hat Somuncu zumindest nach der Definition von Swift den Tatbestand der Satire erfüllt. Und seine empörten Gegner nebenher noch der Überheblichkeit und des latenten Rassismus überführt. Er fragte, ob die Schweizer ihn hören können und die Schweiz sagte:„Nein!"

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Titelbild: Screenshot Facebook