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Ich habe durch Bitcoin mehrere Hunderttausend Euro verloren

Ein schlechtes Geschäft jagte das nächste, schnell war mein komplettes Geld in den Sand gesetzt. Ich war in einem Krypto-Teufelskreis gefangen.
BB
aufgeschrieben von Billy Bambrough
Eine Illustration zeigt einen jungen Mann umgeben von Kreditkarten, Kassenzetteln und Bitcoin-Münzen; er steht stellvertretend für einen anderen Mann, der beim Bitcoin-Handel sehr viel Geld verloren hat und das Ganze mit einer Spielsucht vergleicht
Illustration: Kim Cowie

Ich habe mich nie als spielsüchtig gesehen. Aber irgendwann wurde ich doch viel zu tief in das Spiel reingezogen.

Am negativen Höhepunkt meines finanziellen Treibens habe ich Bitcoin im Wert von umgerechnet fast 600.000 Euro verloren. Dabei wollte ich mit meinen Kryptowährungs-Geschäften eigentlich nur das wieder reinholen, was vorher bereits flöten gegangen war. 

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Damals, im Jahr 2017, war Bitcoin überall. Bei der Arbeit redeten die Kolleginnen und Kollegen über Kryptowährungen, große Zeitungen schrieben in aufregenden Artikeln, dass der neue Trend jeden unglaublich reich machen könne. In weniger als zwölf Monaten schoss der Bitcoin-Preis von unter 1.000 Dollar im Januar auf rund 20.000 Dollar am Ende des Jahres. 

Ich kam mit dem Thema Kryptowährung in Berührung, als meine Frau und ich 2017 die Doku Banking on Bitcoin anschauten. Darin wird erklärt, wie eine mysteriöse Person – oder eine Gruppe – namens Satoshi Nakamoto während der Finanzkrise 2008 Bitcoin erschaffen haben soll. Damit sollte gegen ein aufgeblähtes Bankensystem angekämpft werden, das von den Regierungen dieser Welt gefördert wird.

Diese Geheimniskrämerei um Nakamoto machte mich neugierig. Zudem waren die Gewinne theoretisch riesig. Ich wollte mitmachen und kaufte im Dezember 2017 zum ersten Mal Bitcoin und andere Kryptowährungen im Wert von umgerechnet ungefähr 41.000 Euro. Das waren die gesamten Ersparnisse von meiner Frau und mir, aber wir wollten nicht das verpassen, was uns als sicheres Geschäft erschien. Der Preis ging auch stetig nach oben.

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Nachdem der Boom von 2017 seinen Höhepunkt erreicht hatte, krachte der Bitcoin-Preis plötzlich in sich zusammen: Die Kryptowährung verlor 2018 90 Prozent ihres Werts. Ich bekam natürlich Panik und suchte verzweifelt nach einem Weg, meine herben finanziellen Verluste irgendwie wieder wettzumachen. 

Ungefähr zur gleichen Zeit fingen einige Offshore-Kryptowährungsbörsen an, ihren Nutzern anzubieten, mit Bitcoin-Derivaten zu handeln. So konnten sie quasi darauf wetten, ob der Bitcoin-Preis in naher Zukunft steigt oder fällt. Ein paar dieser Börsen erlaubten sogar sogenanntes Leverage-Trading, was im Grunde bedeutet, dass man seine Portfolios bis um das Hundertfache überziehen kann. In anderen Worten: Selbst unerfahrene Trader wie ich konnten so Positionen mit hohem Risiko aber auch hohem Ertrag aufnehmen und unter Umständen eine Menge Bitcoin verdienen.

Ich hatte keine Ahnung von Derivaten, Leverage oder dem Optionshandel. Aber einige Leute schienen damit Millionen zu machen und sagten, dass das sehr einfach sei. Zudem erschien mir das Ganze in den Anleitungen der Börsen ziemlich risikolos. Ich musste es einfach ausprobieren.

Ich verschob meine Bitcoins zu Deribit, einer Börse mit Sitz in Panama. Danach war es mir möglich, mit dem zukünftigen Preis von Bitcoin zu spekulieren – und dabei meine eingezahlten Bitcoins als Kapital zu nutzen. Börsen wie Deribit unterliegen größtenteils keinen Beschränkungen und Auflagen. Das kommt auch dadurch zustande, dass sie keine Dollar oder andere traditionelle Währungen annehmen, sondern nur Bitcoin.  

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Vieles davon war komplettes Neuland für mich, aber die Kryptowährungs-Community half mir gerne weiter. In einer Telegram-Gruppe für Trading-Tipps kam ich mit einem ehemaligen Wall-Street-Broker in Kontakt. Er beschrieb immer ganz genau, wann man wie viel kaufen, verkaufen und spekulieren sollte – und all das konnte man einfach so übernehmen.

"Wenn du einmal groß gewinnst, gehst du direkt davon aus, dass es noch mal klappt."

Nachdem ich ein paar Tausend Dollar mit seinen Tipps verdient hatte, verlangte der Ex-Händler aber plötzlich Geld für seine Empfehlungen. Da probierte ich es auf eigene Faust, auch weil es mir so leicht erschien.

Am Anfang lief es tatsächlich ganz gut. Ich setzte mit viel Leverage darauf, dass der Preis von Bitcoin steigen würde – und das tat er. Das brachte mir Bitcoin im damaligen Wert von über 16.000 Euro ein. 

Wenn du einmal groß gewinnst, gehst du direkt davon aus, dass es noch mal klappt. Also ging ich höhere Risiken ein. Obwohl ich ab und an noch Gewinn machte, hatte ich aber bald alles verloren, was von meinem Investment im Jahr 2017 noch übrig war. Ein riskanter Deal brach mir das Genick. Durch die Kombination aus verschiedenen schlechten Geschäften und meiner Unerfahrenheit verlor ich weitere 20.000 Euro. Ich steckte in einem Teufelskreis fest, aus dem es gefühlt kein Entkommen gab.

Um meinen Verlust wieder reinzuholen, erstellte ich einen sogenannten Repair Plan: Ich tätigte eine Reihe an Einzahlungen von insgesamt knapp 82.000 Euro. Dazu nutzte ich Teile meines Einkommens in Höhe von knapp 41.000 Euro und lieh mir zusätzlich 20.000 Euro von Freunden – sie wissen bis heute nicht, für was –, den Rest von meinem Bruder. Und das alles aufgrund meines Fehlglaubens, dass alles wieder gut werden würde, wenn ich nur einmal einen fetten Gewinn mache. 

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Zwar konnte ich meinen Freunden das Geld inzwischen zurückzahlen, aber bei meinem Bruder habe ich immer noch Schulden. Er glaubt bis heute, dass ich sein Geld bei Börsen verwalte. Ich dachte, dass ich bei meinen Geschäften ja irgendwann gewinnen muss. Aber mit jedem schlechten Deal schrumpften meine Anlagen weiter.

"Unterm Strich waren meine Trade-Geschäfte nichts anderes als Glücksspiel."

Insgesamt habe ich fast elf Bitcoins an Gebühren und Leverage-Verlusten an die Börsen Deribit und Binance zahlen müssen. Als Bitcoin im März 2021 seinen bisherige Höhepunkt erreichte und gut 50.000 Euro pro Bitcoin wert war, wären das umgerechnet also 550.000 Euro gewesen.

Ich bat die Börsen darum, meine Accounts zu sperren, um nicht noch mehr Geld zu verlieren. Anfangs kamen sie meiner Bitte nicht nach. Meine Versuche, mit Deribit über meine Situation zu sprechen, stießen nur auf Desinteresse und Geringschätzung. 

Unterm Strich waren meine Trade-Geschäfte nichts anderes als Glücksspiel. Die Börsen sehen sich aber nicht in der Verantwortung, ihre Kundinnen und Kunden zu schützen. Ende 2020 hörte ich endlich auf, als meine Accounts gesperrt wurden. Insgesamt habe ich in drei Jahren um die 143.000 Euro an Einlagen verloren.

So viel Geld in einem so kurzen Zeitraum zu verlieren, hat mir immerhin einen neuen, positiven Blick auf die Dinge gegeben. Vieles hat für mich jetzt einen ganz anderen Wert. Wenn ich Geld über habe, spekuliere ich nicht mehr damit. Ich will es lieber in talentierte Menschen investieren und etwas Gutes bewirken.

Bitcoin ist eine aufregendes technologisches Konzept, aber die Börsen sehen den Kryptomarkt eher als Casino. Und am Ende gewinnt immer die Bank.

In einem Statement gegenüber VICE schreibt Binance: "Als eine führende Börse nimmt Binance verantwortungsvolles Handeln sehr ernst und hat sich verpflichtet, die Userinnen und User über die Risiken des Handels aufzuklären. Wir bieten ihnen auch die Mittel, um einer Handelssucht vorzubeugen, indem wir Handelslimits setzen und es ermöglichen, sich selbst zu sperren."

Deribit schrieb VICE: "Wir sind uns des Problems bewusst und glauben, die Lösung dafür sind technische Schutzmaßnahmen in Kombination mit der Aufklärung der Investorinnen und Investoren. So ermöglichen wir es, verantwortungsvoll zu handeln. Da wir auch komplexere und risikoreichere Produkte anbieten, sind wir von der Wichtigkeit der Kundenaufklärung überzeugt und werden uns weiter darauf konzentrieren, unsere Bemühungen diesbezüglich zu erweitern."

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