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Warum 2015 für die Schweiz ein beschissenes Jahr war

Die SVP will nicht nur die Weltherrschaft, sondern auch die Spitze der Charts und Privatsphäre ist bald ein Fremdwort. Wir sind am Arsch.
VICE Media

2015 neigt sich dem Ende zu. Die Euphorie ist abgeflacht, die Neujahrsvorsätze gehören seit ungefähr 51 Wochen der Vergangenheit an und die Hoffnung, dass dieses Jahr alles besser wird als in jenem zuvor hat sich Monat für Monat mehr in Luft aufgelöst.

Es nützt alles nichts, wir müssen 2015 wohl als das abstempeln, was es war: Scheisse. Da man Tatsachen nunmal nicht einfach ignorieren kann, hier nochmal (fast) alle Gründe, das letzte Jahr mit einem gut gemeinten Alkoholrausch abzuschliessen:

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Die Musik war scheisse

Im Rennen um den meistdiskutierten Schweizer Song 2015 gibt es zwei Favoriten: den „Freiheitssong" der SVP und … „Welcome to SVP". Muss ich noch mehr schreiben? OK, über „Tubel Trophy" stand auch noch was in der Zeitung, aber da der Song mittlerweile 13 Jahre auf dem Buckel hat, unterstreicht das unsere These eigentlich nur noch. Und die lautet: In den Alpen nichts Neues.

Screenshot von SVP

Klar, Greis hat uns berührt und Serafyn bezaubert und Fai Baba uns den ersten Weihnachtssong made in Switzerland geschenkt, dessen man sich nicht schämen muss. Aber alles in allem präsentierte sich die CH-Szene so, wie sie es schon seit jeher tat: Sie plätschert vor sich hin und während die immergleichen Acts auf den immergleichen Festival- beziehungsweise Volksfestbühnen spielen—wovor wiederum die gewohnten Leute mit den immergleichen Plastik-Blumenketten stehen—, kämpfen die Subkulturen ums Überleben.

Schlacht um Schlacht wurde dabei verloren. Immer mehr Clubs schmeissen den Bettel hin (Kinski, Hinterhof, Nordstern) oder kämpfen mit Lärm- oder Geldproblemen. Dass das auch an den Bands und deren Arbeitsbedingungen nicht spurlos vorbei geht, versteht sich von selbst.

Die Wirtschaft ist am Arsch

Ja, auch die Wirtschaft hat 2015 ihr Fett weg bekommen. Zwar war es wohl ein legendärer Augenblick als auf Facebook der Post „1 Euro=1 Franken" seine Runden machte und wohl praktisch jeder nach Deutschland pilgerte um sämtliche Läden leer zu kaufen, doch nüchtern gesehen bedeutet das für die Schweizer Wirtschaft wenig Gutes.

Foto: quapan | Flickr | CC BY 2.0

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Klar, auch in uns stieg das dringende Bedürfnis, sofort auf die Bank zu rennen, um so viele Euros wie möglich zu ergattern und sofort unsere Fünf-Sterne-Luxusferien zu buchen. Aber nachdem die Euphorie nach ein paar Monaten vorbeigezogen war, müssen wir der harten Realität ins Gesicht blicken: Die Wirtschaft ist am Arsch—zumindest etwas mehr als sonst.

Die Schweiz litt bereits vor dem Beginn der Euro-Krise unter dem Einkaufstourismus, doch durch die Aufhebung des Euro-Mindestkurses im Februar brach das Horror-Jahr für jeden Schweizer Detailhändler an. Über zehn Milliarden Franken liessen Herr und Frau Schweizer beim Shopping in den Nachbarländern liegen. Ein Gutes hat die Situation aber: Es kann nur noch bergauf gehen.

Das Burkaverbot setzt sich durch

Das Egerkinger Komitee ist ein recht gefährliches Trio bestehend aus: Ex-Nationalrat Ulrich Schlüer, Alt-Nationalrat Thomas Fuchs und SVP-Nationalrat Walter Wobmann. Die drei SVP-Männer sind bereits für den Klassiker der Schweizer Kultur-Phobie verantwortlich: Die Minarett Initiative. Damit ist das Ghostly Trio der Schweizer Politik bereits in die Geschichte eingegangen.

Nun sammelt der „Think Tank" der islamophoben Schweiz Unterschriften für ein schweizweites Burkaverbot. Die drei treffen sich normalerweise in einer Beiz in Egerkingen—weil das so praktisch an der Autobahn liegt—und haben sich daher den geistreichen Namen „Egerkinger-Komitee" gegeben. Egerkingen wiederum hat sich als Gemeinde öffentlich von den drei Reitern der politischen Apokalypse distanziert und will diesen verbieten, ihren Namen in den Dreck zu ziehen.

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Die eifrig nach rechts rutschenden Tessiner sind da einiges empfänglicher für die Einflüsterungen der Achse des Bösen—um den drei Herren für 2016 einen alternativen Namen vorzuschlagen. Die Tessiner haben bereits 2013 ein Verhüllungsverbot an der Urne angenommen. Und auch der Kanton Glarus stimmt nächstes Jahr über ein kantonales Burkaverbot ab.

Foto von Michael Sonderegger

Im Herbst dieses Jahres trat das Tessiner Verbot nun in Kraft. Seitdem dürfen keine Ganzkörperschleier (Burka) oder Gesichtsschleier (Niqab) im öffentlichen Raum getragen werden—das gilt auch für Touristinnen. Wer dagegen verstösst, muss bis zu 10'000 Franken Busse bezahlen. Vermutlich wird das Tourismus-Jahr 2016 für das Tessin deshalb ein eher mageres, nachdem die überwältigende Mehrheit der Burka tragenden Frauen im Kanton reiche arabische Touristinnen sind—oder eben: waren. Es sei denn, der Typ, der alle Burka-Bussen aus der Portokassa bezahlen will, hält sein Wort.

Der Krampf namens Wahlen

Was war das für ein Gekrampfe! So früh wie in diesem Jahr ging das ganze Getue rund um die Nationalratswahlen noch nie los. Und auch noch nie schmissen die Parteien mit so viel Geld um sich: Mit 18 Millionen Franken hievten sie das Wahlgedöns fast auf amerikanisches Niveau.

Umso trauriger ist es, wenn man sieht, was mit dem ganzen Geld passiert ist: Nichts. Bis darauf, dass verbal auf Flüchtlinge eingeprügelt wurde, waren Themen rar. Kein Wunder—schliesslich waren die Parteien, allen voran die SVP, schwer damit beschäftigt Titelseiten zu kaufen und musikalisch die Skala der Fragwürdigkeit sprengende Songs zu produzieren.

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„Wo e Willy isch, isch ou e Wäg" trällerten die mächtigen Männer—und Natalie Rickli—auch bei ihrer absurden Wahlveranstaltung im Zürcher Hauptbahnhof. Und wofür das alles? Um alle Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt wurden, mit ein paar miesen K.O.-Tropfen-Witzen zu verhöhnen. Und natürlich um die Wahlen zu gewinnen.

Screenshot von Youtube

Beides hat bestens geklappt und so verabschieden wir uns aus dem Jahr 2015 mit einem nach rechts gerutschten Parlament, in dem sogar Menschen Platz finden, die lieber hunderttausende Franken hinblättern, als ein paar Flüchtlinge in ihrer Gemeinde aufzunehmen. Alles in allem also: Ein Wahljahr zum Heulen.

Adieu Privatsphäre

Der Nationalrat hat dieses Jahr das Nachrichtendienstgesetz gutgeheissen. Nicht schlimm, oder? Falsch. Ziemlich böse sogar: Gegenstimmen der Juso, der Grünen, der SP und diverser Organisationen versuchen bereits ein Referendum einzureichen. Mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz bewegen wir uns in Lichtgeschwindigkeit Richtung Überwachungsstaat.

Foto: greensefa | Flickr | CC BY 2.0

Der Bund darf jetzt nämlich Telefonate abhören, Räume verwanzen, Computer hacken und unzählige andere Dinge, die uns unserer Privatsphäre berauben. Warnte uns noch Edward Snowden vor dem bösen US-Staat, geschieht hierzulande genau dasselbe in einer vermeintlich legalen Verpackung.

Sollte das Referendum der Linken scheitern, grüsst ab 2017 George Orwell aus 1984. Während Herr und Frau Schweizer weiterhin stumm bleiben, wird Big Brother fleissig beim Surfen zuschauen—ein Recht auf Privatsphäre im Netz gibt es dann nicht mehr.

Das war es also mit dem Jahr 2015. Da bleibt uns wohl nichts anderes mehr übrig, als das vergangene Jahr an fragwürdigen Silvesterpartys schön zu trinken und zu hoffen, dass das nächste ein bisschen mehr zu bieten hat. Cheers!

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