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Popkultur

Der neue Brennerfilm ist Österreichs 'Birdman'

,Das ewige Leben' ist eine geniale, stimmungsvolle Geschichte von menschlichem und moralischem Verfall—und wir haben unheimliche Parallelen zum Oscar-Sieger erkannt.
Screenshot aus VICE Behind the Scenes: ,Das ewige Leben‘

Jetzt haben sie schon wieder einen gedreht. Simon Brenner ist der Phönix des österreichischen Kinokrimis und es ist schön zu wissen, dass er alle paar Jahre wiederaufersteht wie ein verkifft-versoffener Jesus der Detektive. Bei unserem Besuch am Set von Das ewige Leben letztes Jahr habe ich mit Regisseur Wolfgang Murnberger über die Rolle des Ermittlers gesprochen. Auf meine Frage hin—die es nicht in unser Video geschafft hat—, ob es überhaupt einen Darsteller gäbe, der Josef Hader als existenzialistischen Kriminalisten ablösen könnte, so wie bei James Bond auch immer die Hauptdarsteller wechseln, meinte Murnberger mit einem schiefen Lächeln und in einer fast morbiden Brennerischen Manier: „Natürlich, jeder ist ersetzbar, auch die Regie ist ersetzbar … aber Sean Connery wird trotzdem immer der Original-Bond bleiben."

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Wir können froh sein, dass wir uns solche traurigen Szenarien gar nicht erst ausmalen müssen, gerade weil der neue Brennerfilm echt verdammt gut geworden ist. In Das ewige Leben suggerieren Brenners jugendliche Flashbacks von den steirischen 70er-Jahren zwar ein wenig, dass das Wetter in der Grünen Mark dem von Kalifornien gleicht, aber sie zeigen uns auch einen ganz anderen Brenner. Einen Brenner, der tatsächlich auch Freunde und Hippie-Temperament gehabt zu haben scheint, und im krassen Gegenteil—bis aufs Kiffen—zu seinem gegenwärtigen Zustand steht.

Der körperliche und existenzielle Verfall des Ex-Polizisten/Rettungsfahrer/Kaufhausdetektivs—und „heruntergesandelt" ist hier ein völlig legitimer Begriff—spiegelt sich wunderbar im alten Haus seiner Kindheit wider, das er trotz seines österreichischen Nomadentums beschließt zu beziehen. Den Moder und die Mottenkugeln des verwahrlosten Geisterhauses kann man fast schmecken.

Foto: (c) Luna Filmverleih

Und so kommen wir zum Abgründigen. Jeder Brennerfilm braucht einen WTF-Aufhänger. Was bei Silentium die für Opernsänger in Gläser pissenden, philippinischen Jungfrauen waren, in Komm, süßer Tod die euthanasierenden Sanitäter mit ihren Wodka-Injektionen und im Knochenmann das wahre Gesicht der Backhenderl plus ein romantisches Gespräch über Penisentfernung, fällt bei Das ewige Leben eher unterschwellig schrecklich aus. So werden wir im neuesten Brennerfilm mit unangenehmen, inzestuösen Ahnungen konfrontiert, die eine ganz andere Art von Gänsehaut auslösen als Leichen im Wuzzler.

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Wir haben dieses Mal einen Brenner, dessen unerträglich gewordene Migräne sowie Versuche der Eigentherapie mit Schmerztabletten, Dosenbier und „Bleiimpfung" ihn in einen geistig umnebelten Black-Out-Wahn treiben. Da ich zur Zeit noch sehr gegenwärtig Birdman und dessen unzähligen Metaebenen zu verdauen versuche—Ocarina of Time hat im Vergleich weniger Levels—, fallen mir auf einmal erschreckend viele Parallelen zwischen dem Oscar-Sieger und dem „Penn-Ermittler" Brenner auf.

Foto: (c) Luna Filmverleih & Fox Searchlight

Sicher könnte man mir nun filmwissenschaftliches Wunschdenken oder Fantastereien vorwerfen, aber bei genauerer Betrachtung beider Filme, fallen immer mehr Parallelen auf und man kippt tiefer in den Hasenbau.

Brenner hat, neben einer fast unheimlichen Ähnlichkeit zur verranzten Birdman-Hauptfigur Riggan Thomson, auch eine Schlüsselszene mit einer auf die Schläfe gerichteten Handfeuerwaffe beim transformativen Bühnenauftritt von Riggan gemeinsam.

Brenner ist in Folge ebenfalls Opfer einer Wahnvorstellung, die seine Realität verzerrt und sich zum Ende hin tatsächlich mystisch zu bewahrheiten beginnt. Ein Kriminalfall, bei dem der Ermittler komplett falsch liegt, ist erstaunlich erfrischend.

Foto: (c) Luna Filmverleih

Außerdem wird Brenner im AMS ein „nichtexistentes U-Boot" geschimpft, ohne Sozialversicherung, Meldezettel oder anderer Identitätsdokumentation, die sehr stark an Riggans Worte aus dem finalen Hyperrealismus-Schauspiel erinnern: „I don't exist, I'm not even here!"

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Die Metaebene ist auch gegeben, wenn man bedenkt, dass Hader die Rolle vom Brenner auch stark an seiner eigenen Person angelehnt hat—was natürlich einen großen Teil der sympathischen Art der Figur ausmacht. Michael Keaton, der ein intellektuell ernstzunehmendes Award-Winning-Projekt in Angriff genommen hat, reflektiert sich auch genau in der Handlung, die Birdman ausmacht.

Außerdem geraten in beiden Filmen zwei Männer mittleren Alters wie brünftige Platzhirsche aneinander, und zwar wegen Frauen, die ihre Töchter sind oder sein könnten. Keaton und Hader sind natürlich auch große Idole von mir, die meine Kindheit tief geprägt haben. Nicht dass diese Information zur objektiven Argumentation meiner These etwas anfügt—aber irgendwie tut es das schon.

Screenshot aus VICE Behind the Scenes: ,Das ewige Leben'

Zum Ende von Das ewige Leben verläuft sich die im Schnitt sehr hochwertige österreichische Buchverfilmung leider in Burgtheater-Improv, deren Figurenmotivation irgendwie keinen Sinn mehr zu machen scheint.

Aber Roland Düringer, den ich schon im Aussteigerwahn verschwunden glaubte, ist echt gut. Ebenso Tobias Moretti, dessen steirischer Akzent ein bisschen wie aus einem Tiroler herausgequält klingt, beeindruckt als ein herzkranker Polizeichef, der sich mit sexuellen und kriminellen Anstrengungen seine eigene Omnipotenz zu beweisen versucht. Hier kommt auch Nora von Waldstätten ins Spiel, die inmitten der routinierten Altmännerproduktion ein wenig nervös erscheint. Vielleicht kommt mir das auch nur so vor, weil sie sich so sehr von den anderen, uralten Protagonisten abhebt.

Alles in allem ist Das ewige Leben ein schöner Teppich aus Menschlichkeit und Unmenschlichkeit. Als Krimihasser ist das eine kreative Realisierung des Genres, von dem wir uns ruhigen Gewissens mehr wünschen dürfen—vier Bücher gibt es ja noch. Also bitte, lieber österreichischer Tatort , geh doch endlich sterben, du hast keine Ausreden mehr.

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